Seite 2: Was für Peter Neururer gesprochen hätte
Aus ein bisschen Scheiße Gold zu machen, ist das Portfolio von Peter Neururer. Oder wie Journalist Ben Redelings immer mal wieder die Worte eines VfL-Bochum-Spielers zitiert: „Der holt dich zu sich und erzählt dir eine halbe Stunde lang, was für ein überragender Fußballer du bist. Stärken ohne Ende hättest du. Wenn das so weiter geht, und er wüsste bei bestem Willen keinen Grund, warum nicht, sei die Nationalmannschaft nur noch eine Frage von Stunden, maximal Tagen. Du gehst von ihm weg und glaubst tatsächlich, dass du einer der ganz Großen bist – im deutschen Fußball ohnehin und eigentlich auch im Weltfußball. In dem Bewusstsein spielst du dann in den kommenden Wochen…“ Ungewiss, ob das beim FC Schalke im Jahr 2020 funktioniert hätte, aber Nabil Bentaleb.
Dass sich Neururer im fragilen Vereinsgebilde um Sportvorstand Jochen Schneider nicht hätte behaupten können? Der Mann hat unter Martin Kind in Hannover gedient, hat auf Schalke für Günter Eichberg gearbeitet, er hat drei Jahre lang das VDV-Proficamp der arbeitslosen Vertragsfußballer geleitet. Kurzum und kaum zu glauben: Er hat schon schlimmeres gesehen. Dass der Fußballlehrer von 1987 die Methoden des modernen Fußballs nicht mehr beherrscht? Nicht umsonst betonen die Bundesligatrainer von heute die Bedeutung eines guten Trainerteams, 11FREUNDE zeichnet jedes Jahr das beste Trainerteam der Bundesliga aus, unter Neururer könnten Taktik- und Trainingsexperten in Ruhe arbeiten (zum Beispiel: Manuel Baum). Und dass Neururer, Peter der Große, nur für Unruhe gesorgt, unnötig viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte? Nun, nach Anblick der ersten beiden Schalker Spiele ist wohl unbestritten, dass es der Mannschaft nicht schadet, wenn sich die Blicke woanders hin richten.
So fing alles an: Peter Neururer (unten links) – leicht gelangweilt – beim DFB-Trainerlehrgang. Schon damals mit am Start: der unverkennbare Schnäuzer.
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Nach ersten Stationen bei TuS Haltern und Westfalia Weitmar übernimmt er 1987 beim Tabellenletzten der 2. Liga, Rot-Weiss Essen, das Traineramt von Horst Hrubesch.
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Doch schon nach neun Spielen geht es weiter zum Ligakonkurrenten Alemannia Aachen. Da kann man sich schonmal eins grinsen.
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Wissen nur wenige: Der frühe Peter Neururer war die Vorlage für Kalle Grabowski in „Bang Boom Bang“.
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Hier der Beweis: Neururer und Grabowski-Darsteller Ralf Richter gehen noch einmal die wichtigsten Szenen durch.
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Von Aachen geht es für Neururer zu Schalke 04, wo er mindestens genauso lässig sitzt wie seine Ballonseide.
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Also wirklich so richtig lässig.
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Obwohl er die Schalker vor dem Abstieg rettet und anschließend auf den zweiten Tabellenplatz der 2. Liga führt, entlässt ihn „Sonnenkönig“ Günter Eichberg im Oktober 1990. Als nächstes geht es zu Hertha BSC in die Bundesliga, wo Neururer Teamleiter Nello di Martino unauffällig zeigt, was er so von ihm hält.
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„Pass ma auf do!“ Man bekommt Peter Neururer aus dem Ruhrgebiet, aber nicht das Ruhrgebiet aus Peter Neururer.
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Wenn sich Peter Neururer heute so in Berlin auf eine Bank setzte – er fiele nicht auf.
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Mit dem 1. FC Saarbrücken steigt Neururer 1992 in die Bundesliga auf.
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Da kann man schonmal schmunzeln.
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Oder sich eine lustige Mütze aufsetzen.
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Dabei muss er seine Haarpracht doch nicht verstecken!
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Nach dem Erfolg mit den Saarbrückern steht das Telefon nicht still. Alle wollen sie Peter den Großen. Der erarbeitet sich in den Neunzigern mit diversen Kurzeinsätzen seinen Ruf als Feuerwehrmann.
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Deutsche Erlöser von Rio. Hier jetzt schon in Diensten von Hannover 96.
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„Komm, hör auf do!“ – Auch als Trainer ist Peter Neururer immer Fan geblieben. Selbstverständlich auch beim 1. FC Köln.
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Beim FC stellt Neururer seine Flexibilität unter Beweis.
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… was die Sponsoren auf seinem Hemdkragen angeht.
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Von wem wird Neururer hier gerade gesponsert? Wir können es nicht so genau erkennen.
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Auch Oliver Kahn und Lothar Matthäus wissen: der Platz in der Mitte ist für die größten Legenden reserviert.
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Was wenige wissen: Das mit dem Tanzen, das fing schon in Köln an!
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In Offenbach setzt Neururer als erste Maßnahme auf der Bank erst einmal die Schnurrbart-Pflicht durch. Co-Trainer Werner Kaspers gehorcht.
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Auch im neuen Jahrtausend ist die Lässigkeit Neururers stetiger Begleiter. Auch in Ahlen.
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Nirgendwo hält es Neururer länger als zwei Jahre aus. Bis, ja bis er 2001 beim VfL Bochum unterschreibt.
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Dort gelingt auf Anhieb der Aufstieg in die Bundesliga.
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Gute Laune allenthalben ist die logische Folge.
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Zumal der VfL zu Beginn der neuen Saison zwischenzeitlich sogar an der Tabellenspitze steht.
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Da gewährt man auch schonmal dem Gegner großzügig Schutz.
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Klar, das mit der Lässigkeit, das funktioniert auch in Bochum.
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Lässige Zigarette zwischendurch mit Heribert Bruchhagen.
Lustig: Neururers Krawatte.
Gar nicht nach lustig: Peter Neururer.
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Bisschen lustig: Neururer guckt Ärsche.
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Die Saison 2003/04 soll Neururers erfolgreichste werden.
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Am Ende der Spielzeit führt er die Bochumer auf Platz 5 und damit in den UEFA-Cup.
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Der Neururer-Shuffle ist geboren. Oder wie er selbst sagt: „Breakdance für Arme“.
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Und der Schnörres kommt ab!
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Wächst ja zum Glück schnell wieder nach. Alles easy.
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Peter Neururer auf der internationalen Bühne.
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Doch da kassiert der VfL in der Nachspielzeit des Rückspiels gegen Lüttich einen Gegentreffer, nachdem Edu über den Ball säbelt. Die Bochumer verpassen den Sprung in die Gruppenphase.
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Auch der Rest der Saison ist zum Verzweifeln. Die Bochumer stecken im Abstiegskampf, die Fans fordern das Ende von „Peterchens Talfahrt“.
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Aber: Niemand verzweifelt so schön wie Peter Neururer. Beweisstück A.
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Als der VfL am Ende der Saison 2004/05 absteigt, ist für Neururer dann nach vier Jahren Schluss an der Castroper Straße.
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Im November heuert er ein zweites Mal bei Hannover 96 an – in stabiler Russenhocke.
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Aber so richtig läuft’s weder bei Hannover…
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… noch beim MSV Duisburg.
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Es folgt: Arbeitslosigkeit. Zum ersten Mal in seiner Karriere bleibt Neururer über längere Zeit ohne Trainerjob. Da bleibt mehr Zeit für Hobbys. Porsche fahren zum Beispiel.
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Oder Saunieren. Mit Fußball. Und Boxhandschuhen. Und Boxhandschuhen?!
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Oder Reden. Seit der Saison 2012/2013 ist er als Experte bei Sport1 tätig.
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Beim VfL Bochum hingegen läuft es mal wieder nicht so dolle. Die Fans sehnen sich nach den alten Zeiten zurück.
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Und tatsächlich: Ihre Gebete werden erhört. Am 8. April 2013 übernimmt der Messias den akut vom Abstieg aus der 2. Liga gefährdeten VfL ein zweites Mal.
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Und holt gleich mal vier Siege aus den ersten vier Spielen.
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Nach Jahren sorgt Neururer mal wieder für so etwas wie Euphorie in Bochum.
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Unter dem neuen Hoffnungsträger ist das Ruhrstadion zum überhaupt erst zweiten Mal in der Vereinsgeschichte bei einem Zweitliga-Heimspiel ausverkauft.
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Tatsächlich packt die Mannschaft den Klassenerhalt. Zur Belohnung gibt’s blau-weiße Haare. Und Neururer träumt schon vom ganz großen Wurf.
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Doch es folgt erst einmal nur der Rauswurf. Weil Neururer sich in einem Streit zwischen Torwart Andreas Luthe und dem Vorstand öffentlich auf die Seite seines Kapitäns schlägt, setzt ihn der Klub im Dezember 2014 „wegen vereinschädigenden Verhaltens“ vor die Tür.
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Einen Job als Vereinstrainer erhält er danach nicht mehr. Stattdessen heuert im März 2019 überraschend als Sportdirektor beim Regionalligisten Wattenscheid 09 an. Doch der Verein ist pleite, muss wenig später Insolvenz anmelden. Im Nachhinein bezeichnet Neururer sein Engagement an der Lohrheide als „schlimmsten Fehler meiner Karriere“.
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Aber mit solchem Ärger wollen wir hier nicht abschließen. Stattdessen mit einem Neururer-Zitat: „Wenn wir ein Quiz machen würden unter den Trainern in Deutschland, wer am meisten Ahnung hat von Trainingslehre, Psychologie, und der Trainer mit den besten Ergebnissen kriegt den besten Klub – dann wäre ich bald bei Real Madrid.“ Nun ja, Real Madrid ist es dann nicht mehr geworden, aber auch so kann Peter Neururer auf eine ereignisreiche Karriere zurückblicken. Glückwunsch dazu! Und zum 65. Geburtstag, natürlich!
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Bei all diesen Argumenten ist es schon überraschend, dass sich die Schalker Verantwortlichen für Manuel Baum, also einen anderen entschieden haben. Mal wieder. Es heißt, an den neuen Trainer sei auch das Schicksal von Jochen Schneider und Kaderplaner Michael Reschke geknüpft. Dabei lautet die Regel des Geschäfts, dass es irgendwann sowieso zur hässlichen Trennung kommen wird. Oder im Fall von Peter Neururer und seiner hochselbstbewussten Spielern: „… In dem Bewusstsein spielst du dann in den kommenden Wochen. Bis zu dem Tag, an dem du dich zu wundern beginnst, warum eigentlich noch nicht Real Madrid oder wenigstens der FC Barcelona bei dir angerufen hat. Ab diesem Moment fängst du an nachzudenken. Stimmt das eigentlich, was der Coach da über dich gesagt hat? Bist du wirklich so ein überragender Fußballer? Und kaum, dass du dich versiehst, zweifelst du unbewusst an den Worten deines Trainers. Und irgendwann ist es dann vorbei!“
Der Plan: Höchstens ein Jahr
Das frühe Ende wäre also vorprogrammiert gewesen. Dann wäre er mit erhobenem Haupt gegangen, nach dem Klassenerhalt und der Erfüllung seines Rettungsauftrags. Neururer, der Feuerwehrmann, den Helm abnehmend, nach dem 34. Spieltag den Fans winkend, am Ende seiner letzten Mission.
Das hätte man sich schon vorstellen können. Stattdessen: Manuel Baum. Was eine gute Nachricht ist – und sei es nur für den 1. FC Köln. Sie müssen ja nur anrufen. Das Faxgerät ist überfüllt.