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Seite 2: „Hat der Tuchel gewürfelt oder wat?“

Zwei Straßen weiter, im bekannten Adler59“-Kiosk, steht ein täto­wierter Mann mit gelbem Shirt und kahlem Kopf hinter einem Ver­kaufs­regal, links von der ver­waisten Kasse. Er lehnt die kno­chigen Hände auf einen Stapel von Bier­kästen, wiegt den Kopf vorbei an einem Spiel­zeug­auto und einer alten Küchen­waage im Regal vor ihm, blin­zelt ange­strengt Rich­tung Tür. Der Ver­käufer ist gerade hinten im Hof beschäf­tigt, als die Post­botin mit drei Paketen her­ein­kommt. Der Mann am Bier­kas­ten­stapel sagt ruhig: Stell ab, pas­siert nix, ich bin hier.“ Die Post­botin schaut ver­dutzt. Du bis’ neu hier, wa? Ich bin hier Detektiv, wat meinse, wat hier geklaut wird.“

Der Mann will nicht, dass sein Name irgendwo auf­taucht, außerdem muss er gleich los. Er hat keine Zeit. Aber für den BVB, da nimmt er sich noch eine Drei­vier­tel­stunde, um Kom­men­tare abzu­geben. Watzke, Watzke – klar labert der viel. Aber der hat den Verein am Kacken gehalten. Ohne den und den Rau­ball wär’n wir fünfte Liga. Und hör mir auf mit dem Tuchel …“

Den konnt ich noch nie leiden!“, ruft ein Mann mit einem BVB-Schlüs­sel­an­hänger um den Hals, der gerade an der Kasse eine Packung TrumpetT­abak kauft. Der war irre, wie der die Mann­schaft umge­krem­pelt hat und dat System. Da war imma Streit, imma Terz. Jede Woche. Hat der gewür­felt oder wat?“ Der selbst­er­nannte Detektiv fügt vom Bier­kas­ten­stapel aus an: Wie mittem Sahin im Finale.“ Siehse, dat wusste no’ nimmal die Mann­schaft. Und wenn ich dann sehe, wie se Krämpfe kriegen. Ich hab früher auch beim BVB gespielt, inne Jugend. Da bin ich vom Bau mit Blasen anne Finger hin auf’n Platz.“

An diesem Punkt kippt das Gespräch in einer Trink­halle für gewöhn­lich in einen bio­gra­fi­schen Exkurs, der wie auf einem Buch­rü­cken kurz abge­han­delt und mit einem Zitat gar­niert wird. Marc („Vor­name reicht“), der Mann mit dem BVB-Schlüs­sel­an­hänger, erzählt also, wie er in der Jugend vom BVB spielte, das Zeug für ganz oben hatte, aber dann ein paar Bier­chen zu viel trank. Er hatte einen Auto­un­fall und lag im Koma, danach änderte er sich. Zitat: Der liebe Gott hat gesacht, den kann ich hier oben nich gebrau­chen. Und der Teufel wollte nich, datt ich ihm unten alles weg­saufe. Da hab ich über­lebt. Nächstet Jahr bin ich zehn Jahre tro­cken. So, ich muss los.“

Ein gespal­tener Klub

Die zwei Trink­hallen liegen nicht weit aus­ein­ander, wohl aber die Mei­nungen ihrer Besu­cher. Die einen gegen Watzke, die anderen gegen Tuchel. Die Erup­tionen im Verein haben deut­liche Risse durch die Dort­munder Basis gezogen. Das Fan­zine schwatz​gelb​.de, der ver­läss­lichste Seis­mo­graf für die Anhän­ger­schaft, hielt fest: Watzke und Tuchel haben gemeinsam den Verein ent­eint. Borussia Dort­mund 2017 ist Pokal­sieger und Cham­pions-League-Teil­nehmer – und ein gespal­tener Klub.“

Für die einen war Tuchel der kalte Ana­ly­tiker, der zu wenig Respekt und Hin­gabe für die Leute im Verein auf­brachte, wenn nicht sogar für den Verein selbst. Für die anderen ist Watzke der eitle Patri­arch, der den kri­ti­schen Trainer will­kür­lich abge­setzt hat. Dabei, das muss gesagt werden, stellten sich auch Sport­di­rektor Michael Zorc und eta­blierte Spieler gegen Tuchel. Doch der breite Zorn rich­tete sich gegen Watzke. Als er auf der Lein­wand beim Pokal­fi­nale zu sehen war, kamen aus dem BVB-Block unüber­hör­bare Pfiffe. Ein sol­cher Unmut gegen einen der Retter bei der Bei­nahe-Pleite 2004 war lange undenkbar.

Der interne Kon­flikt beim BVB schwelte schon mona­te­lang, doch er bekam eine beson­dere Dynamik durch den 11. April. An diesem Tag zün­deten drei Spreng­sätze am Mann­schaftsbus unmit­telbar vor dem Team­hotel. Die Spieler, Trainer und Betreuer über­lebten diesen Anschlag nur mit Glück. Bereits am fol­genden Tag musste der BVB das Cham­pions-League-Spiel gegen Monaco nach­holen. Diese Anset­zung ver­ur­sachte den bekannten Dis­sens“ zwi­schen Watzke und Tuchel. Ende Mai teilte der Geschäfts­führer dem Trainer dessen Beur­lau­bung mit. In jenem Team­hotel, vor dem auch Tuchel um sein Leben gezit­tert hatte. Noch zwei­ein­halb Monate später, an diesem Freitag im Juli, ist die Schwere des Anschlags vor dem Hotel sichtbar. Die Hecken, in denen die Spreng­sätze steckten, wirken noch immer wie rasiert.