Es könnte der Sommer von Lorenzo Insigne werden: Erst den EM-Titel mit Italien gewinnen, dann Maradonas Nummer Zehn beim SSC Neapel überstreifen. Aber möchte er sie überhaupt haben?
Aber es erinnert noch etwas anderes an die wilden Achtziger: sein Trick. Total effektiv, total simpel. Man mag es kaum fassen, dass er so schwer zu verteidigen ist, denn es ist immer dasselbe: Insigne, der Rechtsfuß, zieht von links nach innen und schlenzt aufs lange Eck – und bestenfalls landet der Ball im Netz. Die zwei großen Fragen des Verteidigers sind: Wann zieht Insigne nach innen? Und wann schießt er? Es erinnert, klar, vor allem an Arjen Robben, der diesen Lauf über Jahre perfektionierte, nur auf der anderen Seite.
„Wir hatten wir viele gute Spieler, Verratti oder Immobile, aber der Wichtigste war Lorenzo Insigne“
Insigne ist Neapolitaner. Geboren und aufgewachsen, mit 15 kam er aufs Internat, nachdem Juventus und Inter ihn verschmäht hatten. Anfangs schienen auch die Neapolitaner skeptisch, er wurde verliehen, Beim Drittligisten Foggia lernte er Zdenek Zeman kennen, der ihn mitnahm zu Pescara Calcio in die Zweite Liga. Dort brillierte er an der Seite von Marco Verratti und Ciro Immobile, nach einer Saison zerstreuten sie sich, aber sie kamen in der Nationalelf wieder zusammen und spielen dort bis heute.
Jedenfalls, der Tscheche Zdenek Zeman, damals Trainer bei Pescara, war immer schon ein Liebhaber des offensiven Spiels, Zemanlandia nannte es seine Anhänger mal. Mit Pescara stieg er auf, denn Insigne spielte grandios, schoss 18 Tore und legte zahlreiche auf. „Er ist besser als einige Spieler, die derzeit für Napoli spielen“, sagte Zeman. Auch später noch schwärmte er oft von diesem goldenen Pescara-Jahr: „Wir hatten viele gute Spieler, Verratti, Immobile, klar, aber der Wichtigste war Lorenzo Insigne.“ Neapel holte ihn 2012 zurück – und verlieh ihn nie wieder.
Seitdem hat Insigne über 300 Pflichtspiele für Neapel bestritten, zweimal gewann er mit dem Team die Coppa Italia, aber in der Meisterschaft scheiterten sie jedes Jahr aufs Neue. Viermal wurde Insigne mit Neapel schon Vizemeister. Ist das zu wenig für einen wie ihn, der Italien am Sonntag vielleicht zum EM-Titel schießen wird?
In seiner Heimat wird schon länger spekuliert, Insigne ist immerhin schon 30 Jahre alt. Sein Vertrag läuft bis 2022, aber er möchte ihn, laut einiger Medien, nach der EM verlängern. Angeblich wird er dabei sogar auf ein wenig Geld verzichten. Dafür kann er sich sicher sein, dass sie ihm ein Denkmal bauen. Er ist der Bilderbuch-Lokalheld mit einer From-zero-to-hero-Story, die sie gerade im Süden Italiens so lieben. Als Kind verkaufte er auf einem Trödelmarkt Kleidung, um sich die ersten Fussballschuhe zu kaufen, das Nike-Modell R9 des Brasilianers Ronaldo.
Und wenn er doch Wechselgedanken hat, könnte ihn der SSC Neapel mit einer Trikotnummer zum Bleiben überreden: der Zehn, die zu Maradonas Ehren seit 2000 nicht mehr vergeben wird. Insigne wurde schon oft auf sie angesprochen, meist wiegelte er ab, die 24, die er aktuell trägt, finde er auch ganz okay. Schließlich sei es der Geburtstag seiner Frau. Aber was machst du, wenn im Spind des SSC Neapel plötzlich die Zehn mit deinem Namen hängt? Maradona gab sie jedenfalls vor seinem Tod frei. „Wenn Insigne mehr Tore geschossen hat als ich, kann er sie haben.“ Maradona schoss (in allen Wettbewerben) 114 Tore für Neapel, Insigne steht bei 109. Jemand sollte das Trikot schon mal beflocken.