Streit mit dem Investor, Klagen gegen die eigenen Fans und die Rückkehr eines verlorenen Sohnes. Die Sommerpause bei 1860 war nicht gerade harmonisch. Nun startet der ehemalige Bundesligist in die Drittligsaison und spricht schon jetzt vom Abstiegskampf.
Zwei Stunden vor Anpfiff entwickelt sich dieser Sog in Giesing. Die Straßen des Münchner Arbeiterviertels füllen sich mit blauen Trikots, blauen Schals und Löwenwappen. Alles kennt nur eine Richtung. Wie ein schwarzes Loch zieht das Grünwalder Stadion die Massen in seine Richtung. Nur billig-Pizzaläden, Kioske, Kneipen, Supermärkte, kurz überall, wo es Bier gibt, können diesem Sog Widerstand leisten und sorgen für überfüllte Gehsteige an ihren Eingängen. Es wird gelacht, gesungen, Schultern werden geklopft, Hände geschüttelt, alte Freunde umarmt. Drei Monate ohne Fußball. Jetzt geht es wieder los. Der 3.-Liga-Start des TSV 1860 München gegen Preußen Münster steht an.
Die Sommerpause diente bei den Münchner Löwen nicht unbedingt der Erholung. Immer wieder war der ehemalige Bundesligist in den Schlagzeilen. Der Jahre andauernde Streit zwischen Hasan Ismaik, seiner HAM International Limited und dem e.V. wird in der Öffentlichkeit ausgetragen. Beide Parteien geben sich kaum noch Mühe, die gegenseitige Abneigung zu kaschieren. Es geht darum, wer das Sagen im Verein hat. Und je länger der Streit anhält, desto mehr Menschen werden mit hineingezogen.
„Wahnsinn, was da passiert.“
So wie beim Löwenstüberl am Trainingsgelände des TSV 1860. Die Kneipe war früher eine der Anlaufstellen vor dem Spiel. Doch seit Inhaberin Christl Estermann in Rente gegangen ist, steht das Stüberl leer. Mittlerweile seit sieben Monaten. Die Verhandlungen mit einem neuen Pächter waren weit fortgeschritten, doch nun stehen einige Fans vor dem Trainingsgelände und den verschlossenen Türen des Löwenstüberls. Sie diskutieren über einen Bericht der Münchner Abendzeitung. Anthony Power, die rechte Hand Ismaiks, habe demnach gefordert, dass künftig Gäste, die in der Kneipe Kritik an Ismaik äußern, umgehend Hausverbot bekommen sollen. Der Verein widerspricht der Darstellung.
„Wahnsinn, was da passiert. Das Stüberl bleibt noch ewig zu. Bei dem Scheiß, den die da fordern“, sagt ein Fan und schüttelt dabei grinsend den Kopf. Galgenhumor. So ist es halt bei 1860. Streitereien gehören bei den Löwen traditionell dazu, aber seit dem Einstieg Ismaiks wirkt es zeitweise so, als wäre der Verein vom Streit komplett gelähmt. Die Posse um das Vereinsheim ist nur ein Gradmesser dafür, wie vergiftet die Atmosphäre zur Zeit ist, wie der Machtkampf zwischen Ismaik, seinen Befürwortern und seinen Kritikern geführt wird.
Ende Juni wurde Robert Reisinger, der seit dem Abstieg aus der zweiten Liga den Verein führt, von den Mitgliedern zum Präsidenten wiedergewählt. Was Ismaik davon hielt, konnten die Fans wenig später auf Facebook lesen: „In dieser Konstellation wird 1860 nicht mehr höher als Dritte Liga spielen. Das ist eine Tragödie. Die Demokratie wird bei 1860 weiter mit Füßen getreten.“ Er selbst war bei der Wahl nicht anwesend.
Während Fans das Trainingsgelände vom geschlossenen Löwenstüberl in Richtung Tanke verlassen, wird ein MINI in der Einfahrt von einem Ordner aufgehalten. „Wer is denn jetzt des?“ ruft der Ordner, um sich die Frage selbst zu beantworten „Ah, der Lauth! Darf ich dich überhaupt reinlassen?“ Benjamin Lauth, Vereinslegende ohne Anstellung bei 1860, zuckt mit den Schultern: „Ja, musst du jetzt wissen…“ Ein kurzes Zögern, ein kurzes Umschauen, ob irgendjemand da ist, der Ärger machen könnte, ein schnelles Winken. Lauth darf rein. Einmal Löwe, immer Löwe.
Mittlerweile ist der Platz vor dem Grünwalder Stadion voll mit grellblauen Trikots, sehr viele davon mit Namen wie Stevic, Max, Häßler, Bodden, Böhme, Agostino, mit Namen, die an bessere Zeiten erinnern. An Bundesliga, an Europa, an Derbysiege gegen den FC Bayern. Vorletzte Saison musste 1860 in der vierten Liga gegen die U23 des großen Rivalen antreten – und verlor beide Spiele. In dieser Saison kommt es in der 3. Liga zur Neuauflage.
„Nicht mehr Herr im eigenen Haus.“
Während sich langsam die Autos am Grünwalder Stadion vorbeischieben, stehen davor die 1860-Fans, trinken Bier, kaufen sich Stadionhefte oder die letzten Karten vom Schwarzmarkt. Das Spiel ist natürlich ausverkauft. Am Eingang verteilen Mitglieder der Initiative Löwen-Fans gegen Rechts Sticker. Seit mehr als 20 Jahren setzt sich die Initiative gegen Homophobie und Rassismus im 1860-Fanlager ein, Probleme, die dort durchaus zu finden sind. Die Initiative ist, wie fast alle aktive Fangruppen, Ismaik-kritisch und beteiligte sich im April an einer T‑Shirt-Aktion gegen den Investor. Schon damals begann ein Rechtsstreit mit der Merchandising GmbH, die der HAM International gehört.
Vor wenigen Tagen dann die nächste Eskalationsstufe: Die Merchandising GmbH des Vereins hat Klage gegen die Nutzung des 1860-Wappen auf dem Logo der Initiative eingereicht, auf dem das Zeichen des Vereins und eine Faust, die ein Hakenkreuz zerschlägt, zu sehen ist. „Wir bewerten das als Machtdemonstration, mit der kritische Fans nicht nur mundtot gemacht, sondern auch eingeschüchtert werden sollen“, sagt ein Sprecher der Initiative. Löwenfans gegen Rechts bekam 2009 vom DFB den „Julius Hirsch Preis“, von der Stadt München 2015 den „Bürgerpreis“ verliehen und wurde in der Vergangenheit von 1860 aktiv unterstützt.
„Der TSV 1860 München als eingetragener Verein macht uns keine Probleme. Mit Nicoai Walch vertritt uns sogar ein Anwalt, der gleichzeitig auch im Verwaltungsrat des e.V. sitzt. Der Verein hält aber eben nur noch 40 % der Anteile an der KGaA“, sagt der Sprecher. „Der Verein ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Es gab viele warnende Stimmen, die damals, beim Einstieg des sogenannten Investors, vor genau dieser Situation gewarnt hatten.“ Dennoch habe sich die Fanszene in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Mit der Rückkehr nach Giesing hätte der Verein viel an Authentizität gewonnen und würde so auch junge Fans anziehen.
Wenige Meter neben dem Eingang steht Karl in einem Abédi-Pelé-Trikot und sagt: „Ganz ehrlich, diese ganzen Streits langweilen mich einfach nur. Ich habe keinen Bock mehr. Gut, dass die Saison losgeht. Fußball, Bier, Kumpels, Giesing, Grünwalder… Was gibt’s schöneres?“ Wie diese Saison sportlich wird, ist nur schwer einzuschätzen. Die Mannschaft, die in der vergangenen Saison Zwölfte wurde, blieb weitestgehend zusammen, zwei Spieler kamen dazu: Dennis Erdmann wechselte vom 1. FC Magdeburg und Timo Gebhart kehrte mittlerweile zum zweiten Mal zu den Löwen zurück. Finanziert hat den Transfer Hasan Ismaik. Ansonsten fehlt es derzeit an Geld, weshalb Trainer Daniel Bierofka für die neue Saison zuletzt Abstiegskampf angekündigt hatte. Die Mannschaft müsse mutig spielen, um eine Chance in der 3. Liga zu haben.
Bei den Fans scheint die Botschaft nicht ganz angekommen zu sein. „Der Chef der Liga eröffnet die Saison“ steht auf dem riesigen Banner. Und auch die Spieler machen genau das Gegenteil von dem, was ihr Chef gefordert hatte. In der ersten Halbzeit gelingt 1860 so gut wie gar nichts. Preußen Münster spielt nicht gerade gut, doch unterbindet das Spiel der Heimmannschaft konsequent und geht in der 32. Minute in Führung. Die zu Beginn noch ausgelassene Stimmung im Stadion wird schlagartig schlechter. Die Gesänge werden leiser, der ganze Frust entlädt sich am Schiedsrichter.
Einmal Löwe, immer Löwe.
Die zweite Halbzeit beginnt deutlich besser. 1860 spielt tatsächlich mutigen Fußball und erzielt durch einen Elfmeter den Ausgleich in der 51. Minute. Während 1860 immer besser ins Spiel kommt, werden die aktiven Fans die Botschaften, die sich über die Sommerpause angehäuft haben, los: Ismaik soll raus, das Uhrmacherhäusl, ein altes Giesinger Haus, das durch den Besitzer illegal abgerissen wurde, soll wieder aufgebaut werden, Hass und Widerstand gegen Polizei und Verband werden für die neue Spielzeit angekündigt.
Es sind noch zehn Minuten zu spielen und plötzlich geht ein Jubelschrei durchs Stadion. Nicht weil ein Tor gefallen ist, sondern weil sich ein 30-jähriger Glatzkopf auf den Weg zur Trainerbank macht. Hälse recken sich, die Handykameras werden bereitgemacht, aufgeregtes Tuscheln. Der Schiedsrichterassistent hebt die Tafel mit der 10 hoch. Gebhart läuft im goldenen Licht der Abendsonne auf den Platz und wird gefeiert. Eine fast schon zu kitschige Szene. Standing Ovations, Timo-Gebhart-Gesänge und schließlich ein lautes: „Einmal Löwe, immer Löwe.“ Später in der Mixed Zone wird Gebhart mit einem Lächeln von einem Gänsehautmoment sprechen, darüber, wie er alle paar Sekunden zur Trainerbank schaute, ob Bierofka ihn endlich ruft und dass es gut tue, wieder hier zu spielen.
Auf dem Platz gelingt ihm nicht mehr viel, genauso wie dem Rest der Mannschaft. Sascha Mölders vergibt in der Nachspielzeit noch eine Hundertprozentige, dann ist das Spiel vorbei und das Stadion spuckt die Fans wieder auf Giesings Straßen. Wieder entsteht ein Sog. Diesmal sind die Kneipen das Ziel. Die Gehwege sind voll und auch die Autos kommen nur noch mit Mühe durch die Straßen. „Gefeiert wird heut sicher nicht“, sagt ein riesiger Mann im alten Bierofka-Trikot. „Das Spiel war doch Scheiße.“ Minuten später steht er Arm in Arm mit einem anderen 1860-Fan am Tresen und grölt die Vereinshymne.