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Danzig hat sich hübsch gemacht. An den Laternen in der Alt­stadt hängen Will­kom­mens­schilder in den Spra­chen der Teil­neh­mer­länder, die Alt­glas- und Papier­con­tainer sind Fuß­bällen nach­emp­funden und die Mit­ar­beiter der Tou­ris­ten­in­for­ma­tion spre­chen Eng­lisch, manche sogar Deutsch. Zum Sta­dion? Bitte nehmen Sie Bus Nummer 13! Zur Alt­stadt? Folgen Sie mir bitte, ich muss eh dort hin! Para­die­si­sche Zustände. Ist das hier Polen? Danzig?

Eine kleine alte Han­se­stadt, in dessen Alt­stadt enge Spa­liere zur Pro­me­nade führen, am Langen Markt steht eine Statue des römi­schen Was­ser­gotts Neptun, das Dan­ziger Spey­mann­haus ziert eine manie­ris­ti­sche Fas­sade mit gol­denen Orna­menten. Wann wird hier der nächste Kos­tüm­film mit Vero­nica Ferres gedreht?

Schon lange war klar, dass die deut­sche Natio­nal­mann­schaft in Danzig unter­kommen würde, und das, obwohl sie die Vor­runde in der Ukraine bestreitet. Anfangs mag diese Ent­schei­dung seltsam gewirkt haben, nun muss man sagen: Oliver Bier­hoff hat seinen Job gemacht. Das 5‑S­terne-Hotel Dwor Oliwski, wo die DFB-Elf ihr Quar­tier hat, liegt im his­to­ri­schen Stadt­teil Danzig-Oliva, ein paar Kilo­meter von der Alt­stadt ent­fernt. Ein prunk­volles Anwesen mitten in einem Wald­ge­biet, dahinter Felder, Ein­fa­mi­li­en­häuser, ein paar Höfe und die Ul. Kwietna, eine Kopf­stein­pflas­ter­straße, die zurück zu den Bus- und Stra­ßen­bahn­sta­tionen führt. Hier gibt es sogar einen Kiosk. Man bekommt Bier, Cola, Chips und Kaffee.

Wir haben Erfah­rung mit Pro­mi­nenten“

Maja Lubo­manska-Pal­ar­czyk, die Pres­se­dame des Hotels, eilt durch die Gänge. Sie öffnet Türen von Luxus-Zim­mern, von Luxus-Well­ness­be­rei­chen und einem Luxus-Wein­keller. Vor der Luxus-Suite bleibt sie stehen und sagt: Bitte foto­gra­fieren Sie!“ Wird Jogi Löw hier über­nachten? Oder Oliver Bier­hoff? Maja zuckt mit den Ach­seln. Jogi Löw? Dann sagt sie: Wir haben Erfah­rung mit Pro­mi­nenten.“ Sogar Rod Ste­wart war mal Gast im Dwor Oliwski.

An der letzten Weg­ga­be­lung vor dem Hotel befes­tigen Bau­ar­beiter Stra­ßen­schilder, ein Mann, der sich beson­ders geschickt mit dem Pinsel anstellt, malt den Schriftzug Dwor Oliwski“ mit roter Farbe auf einen Pfeil. Angren­zend an das Hotel ent­steht auf Wunsch des DFB außerdem ein Sport­platz, der recht­zeitig zum Tur­nier­be­ginn fertig werden soll. Dieser Platz ist für spon­tane Trai­nings­ein­heiten vor­ge­sehen.

Außerdem trai­niert die DFB-Elf im alten Sta­dion von Lechia Danzig. Das MOSiR-Sta­dion, im Volks­mund Lechii, ist mit der Stra­ßen­bahn zu errei­chen. Vom Hotel benö­tigt man etwa 20 Minuten. Ein alter Beton­kessel, der von Bäumen gesäumt wird. An einem Neben­platz steht einer dieser neuen, aber schon berühmten pol­ni­schen Aus­wärts­blocks. Er ist kom­plett umzäunt und bietet Platz für 25 Zuschauer. Ein Hüh­ner­käfig in groß. Wäh­rend des Spiels wird er von außen abge­schlossen.

Aus­wärts­fan­block auf einem Neben­platz des Sta­dions Lechii

Auf dem Weg zur Tri­büne des Sta­dions befindet sich die Sterne eines Walk of Fames“, darauf stehen die Namen von legen­dären Lechia-Spie­lern, dahinter die rie­sigen Flut­licht­masten, die Haupt­tri­büne. Früher fasste das Sta­dion über 40.000 Zuschauer. So viele kamen zum Bei­spiel 1983, als Lechia im Pokal­sieger-Cup gegen Juventus Turin 2:3 verlor. Michel Pla­tini machte damals zwei Tore, den Sieg­treffer für Juve erzielte der Pole Zbi­gniew Boniek. Doch das Ergebnis war damals bei­nahe Neben­sache. Das Spiel ging als einer der Schlüs­sel­mo­mente der Soli­dar­nosc-Bewe­gung und der Demo­kra­ti­sie­rung des Landes in die Geschichte ein. Als Lechia-Anhänger wäh­rend jener Partie bemerkten, dass etliche Akti­visten der Soli­dar­nosc-Gewerk­schaft im Sta­dion waren, skan­dierten sie patrio­ti­sche und anti­kom­mu­nis­ti­sche Wech­sel­ge­sänge. Die pol­ni­schen Sender drehten prompt den Ton runter, doch die Gesänge waren über die ita­lie­ni­schen Kanäle zu hören. Seitdem hängen bei den Spielen von Lechia Pla­kate mit der Auf­schrift Wir machen Geschichte“. Heute spielt hier die zweite Mann­schaft von Lechia, was nach der EM mit dem Sta­dion pas­siert, steht dahin. Viel­leicht wird es abge­rissen.

Michal Nowosad arbeitet unweit des Sta­dions. Er hat es ein wenig eilig, denn er muss einen Pokal für ein Jugend­tur­nier abholen und der Gra­veur schließt in wenigen Minuten seinen Laden. Michal ist Anhänger von Lechia Danzig und Leiter des hie­sigen Fan­pro­jekts. Ein Pio­nier.

Denn wäh­rend es in Deutsch­land Fan­pro­jekte schon seit den frühen Acht­zi­gern gibt, sind sie in Polen noch Neu­land. Bis heute haben gerade mal vier Klubs Fan­pro­jekte: Bei Arka Gdynia, Slask Breslau, Polonia War­schau und eben bei Lechia Danzig, wo im Juni 2010 das erste Fan­pro­jekt auf Initia­tive von Dariusz Lapinski ent­stand.

Anfangs musste Lapinski, der zuvor viele Jahre in Potsdam gelebt und dort das Fan­pro­jekt von Babels­berg 03 geleitet hatte, mit vielen Vor­ur­teilen auf­räumen. Als er sich zum ersten Mal mit Michal Nowosad und Adam Kli­mo­wicz, dem heu­tigen Fan­be­auf­tragten des Klubs, in einer Dan­ziger Kneipe traf, schauten die beiden Jungs skep­tisch drein. Die dachten, da kommt ein Ver­bands­funk­tionär im Anzug und will ihnen für ein paar Zloty ihre Kultur und Auto­rität weg­nehmen“, sagt Dariusz. Einen Tisch weiter saßen die Alt-Fans von Lechia, Stier­na­cken, Kanten aus einer anderen Zeit, die das Sze­nario arg­wöh­nisch beäugten. Doch sie alle merkten, dass Lapinski ähn­liche Ansichten hatte wie sie, dass er auch Fan ist, einer, der sie nicht benutzen wollte, um seine eigene Posi­tion zu stärken. Heute spricht er von Adam und Michal wie von zwei Söhnen: Die beiden haben eine fan­tas­ti­sche Ent­wick­lung gemacht.“

Die Arena ist zu groß für Lechia Danzig

Adam und Michal sind heute die trei­benden Kräfte in Danzig. Sie halten sowohl zu den Fans als auch zum Verein Kon­takt und haben trotzdem ihre Ideale nicht über Bord werfen müssen. Und das neue Sta­dion müssen auch sie nicht gut finden, sagt Adam. Ganz egal, wie groß und bom­bas­tisch es dort steht. Eine Mul­ti­funk­ti­ons­arena, die von einer Art Wabe in Bern­stein­farben umhüllt ist. Sie soll glänzen wie das Gold der Ostsee. Hier passen knapp 44.000 Zuschauern hinein, zu den Liga­spielen kommen aller­dings selten mehr als 12.000 Fans. Es ist viel zu groß für uns“, sagt Michal. Das alte Sta­dion hatte mehr Charme.“ Doch wie es so ist: Das alte Sta­dion war bau­fällig und ent­sprach nicht mehr den Fifa-Stan­dards.

Adam und Michal sitzen in einem kleinen Zimmer hinter dem Sta­di­on­re­stau­rant, das der Verein den Fans zur Ver­fü­gung gestellt hat. An der Wand hängen Lein­wände, auf denen opu­lente Fotos aus der Lechia-His­torie zu sehen sind. Daneben einige Graf­fiti, auf dem einen sieht man eine Anzei­ge­tafel. 3:0 für Lechia steht es dort, es läuft die 88. Minute. Es ist hier ein­fach eine Zahl. Doch bei der Uefa reagiert man dieser Tage höchst sen­sibel auf solche Details. Ein Funk­tionär wies neu­lich darauf hin, dass wäh­rend der EM ein Uefa-Banner über der Zahl hängen muss, schließ­lich sei 88 der gän­gige Code für Heil Hitler“. Adam schüt­telt den Kopf. Natür­lich gibt es bei uns Idioten, wie in jedem Verein“, sagt er. Doch es ist vieles besser geworden, seit es das Fan­pro­jekt gibt.“ Heute scheint es tat­säch­lich wieder en vogue, Fan von Lechia zu sein. Sogar Polens Pre­mier­mi­nister Donald Tusk weist bei jeder Gele­gen­heit darauf hin, dass er Anhänger des Klubs seiner Geburts­stadt ist. Damals, als es dem Verein richtig schlecht ging, wollte er nicht mit Lechia in Ver­bin­dung gebracht werden. Die Fans waren ihm unan­ge­nehm“, sagt Adam.

Unser Vor­bild ist Rudolf Heß“

Früher waren ras­sis­ti­sche Vor­fälle in der Lechia-Kurve aller­dings nicht unüb­lich. Vor sechs Jahren kam es zu einem Eklat bei einem Spiel gegen Pogon Stettin, der über die Lan­des­grenzen hinaus Wellen schlug. Pogon hatte damals 16 Aus­länder in seinen Reihen, viele aus Afrika. Die Lechia-Fans emp­fingen die Spieler mit Affen­ge­brüll, Bananen und dem Schlachtruf: Unser Vor­bild ist Rudolf Heß.“

Das Büro des Fan­pro­jekts befindet sich in einem kleinen Häus­chen unweit des Lechii Sta­dions. Hier gibt es einen Frei­zeit­raum mit Kicker­tisch, ein Kon­fe­renz­zimmer, ein Regal mit Zeit­schriften und Fan­zines, einen Mate­ri­al­raum für die Ultras. Hier sitzt außerdem Agnieszka Mazur­kie­wicz, die früher in der Stadt­ver­wal­tung arbei­tete und immer noch gute Kon­takte zu den Behörden hat. Es erleich­tert vieles. Polen ist in Sachen Fan­ar­beit immer noch weit ent­fernt von deut­schen Stan­dards, doch wir arbeiten“, sagt Michal. Damit meint er den gesamt­pol­ni­schen Fuß­ball, aber vor allem Lechia Danzig.

Die Neu­grün­dung von Lechia Danzig

2001 musste der Verein ganz unten, in der 6. Liga, neu beginnen. Der KS Lechia Danzig war finan­ziell nicht mehr zu retten. Mit Hilfe der Fans grün­dete sich ein neuer Verein, OSP Lechia Danzig. Es gab nichts! Keine Tri­kots, keine Schuhe, nicht mal Spieler!“, sagt Adam. Die Fans begannen selbst zu kicken, und nach und nach kam der Erfolg zurück. Der heu­tige Sport­di­rektor des Klubs, Blazej Jenek, war bei der Neu­grün­dung Prä­si­dent, er arbei­tete für nicht mal 400 Euro im Monat. Jenek zog den Verein gemeinsam mit der Unter­stüt­zung der Fans wieder nach oben. Natür­lich hat er heute eine andere Posi­tion“, sagt Michal. Er kann nicht mehr aus reiner Fan-Per­spek­tive denken.“ Doch manchmal, wenn ihm eine Cho­reo­gra­phie oder eine Pyro­show gefällt, schickt er den Ultras eine SMS. Great Job“, schreibt er dann.

Gegen 17 Uhr müssen Adam und Michal wirk­lich los. Der Gra­veur hat noch einmal ange­rufen. Und der Abend ist schon ver­plant, denn dann läuft das Pokal­halb­fi­nale in Polen. Legia War­schau spielt gegen Arka Gdynia. Nur: Wo wird es über­tragen? Sports­bars sind rar in Danzig. Laut Rei­se­führer betreibt Dariusz Mich­al­c­zewski eine Pub mit dem Namen Tiger Pub“. Doch dort, wo sich dieser eigent­lich befinden soll, steht nun ein Kiosk. Lange her“, sagt die Dame hinter dem Tresen. Sie weist den Weg zu einem Irish Pub in der Dan­ziger Alt­stadt.

Über den Bild­schirm flim­mert das Spiel Bayern gegen Dort­mund, es läuft bereits die 42. Minute, es steht noch 0:0. In der 77. Minute der Schuss aus der Distanz, die Hacke Lewan­dowskis, 1:0. Der BVB hat nun sechs Punkte Vor­sprung auf den FC Bayern. Die Bar ist wie leer­ge­fegt, auch am Ufer keine Men­schen, nie­mand. Auf dem Kopf­stein­pflaster die Licht­kegel der Laternen, am Ufer ein Drei­master, das Wasser plät­schert an die Kai­mauer. Morgen früh werden die deut­schen Tou­risten wieder ihre Foto­ap­pa­rate zücken. Ein biss­chen wie Lübeck“, sagen sie dabei gerne. Ein sicherer kleiner Hafen.