Keine Werbung mit Pride-Farben in St. Petersburg und Baku, die Beschlagnahme der Regenbogenfahne eines dänischen Fans: Die Uefa brüstet sich mit Toleranz, lässt die dafür notwendige Konsequenz aber weiterhin konsequent vermissen.
Samstag, 03.07.2021, Baku: Kurz vor Anpfiff des EM-Viertelfinals zwischen Dänemark und Tschechien mischen sich im Stadion zwei Ordner unter die dänischen Fans, sie haben etwas beobachtet. Im Block der Dänen hält der Fan Kristoffer Føns eine Regenbogen-Flagge in die Höhe. Die Ordner, so zeigen es Fotos, gehen auf den Fan zu und und nehmen die Flagge an sich. Erst nach dem Spiel soll Føns sie Berichten zur Folge zurückerhalten haben.
Es ist das nächste Kapitel einer Geschichte, in der die Uefa bislang ein – wohlwollend formuliert – schlechtes Bild abgibt. Da war die Posse rund um die Beleuchtung der Allianz Arena und Manuel Neuers Kapitänsbinde, außerdem durften bei den Viertelfinalpartien in St. Petersburg und Baku auf den Banden keine Werbungen mit Regenbogen-Design gezeigt werden, aufgrund der geltenden Gesetze in den jeweiligen Ländern. In Russland gilt seit 2013 das Gesetz über „homosexuelle Propaganda“, in Aserbaidschan ist Homosexualität laut dem Auswärtigen Amt „kaum akzeptiert“, es gibt dazu keinen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung. Und nun die Sache mit der Flagge im dänischen Block. Die Konfiszierung dieser begründete die Uefa auch damit, dass der Fan stark betrunken gewesen sein soll. Diese Einschätzung teile der dänische Verband „überhaupt nicht“, schrieb Ronnie Hansen, der kaufmännische Leiter des Verbands, nach dem Spiel auf Twitter. „Natürlich werden wir uns mit dem Uefa-Delegierten, dem Uefa-Sicherheitsbeauftragten und den lokalen Behörden in Verbindung setzen, um das zu klären“, hieß es weiter. Es bleibt der Eindruck, dass der Uefa in ihrem Handeln für ein offenes und inklusives Spiel die letzte Konsequenz fehlt. Sie geht den bequemen Weg.
Problematisch wurde es aus Sicht all derer, die sich seit Jahren für LGBTQ-Rechte einsetzen, bereits bei der Verkündung der Spielorte dieser Europameisterschaft. Im Länder-Ranking des europäischen Ablegers der ILGA, des weltweiten Dachverbands der Lesben‑, Schwulen‑, Bisexuellen‑, Trans- und Intersexorganisationen, belegt Russland den 46. Platz, Aserbaidschan liegt auf dem 49. und letzten Rang. In Ungarn wurde im Juni die Informationsfreiheit in Bezug auf Homo- und Transsexualität eingeschränkt.
Alles Umstände, die den nach außen getragenen Werten der Uefa stark widersprechen. Doch anstatt glaubwürdig für diese Werte einzustehen, bezieht sich der Verband im Zweifel auf die fragwürdigen Gesetzeslagen in den jeweiligen Ländern. Anstatt Druck auszuüben und sich für Veränderung stark zu machen, lässt die Uefa so zum Beispiel das schaurige Menschenrechtverständnis des Autokratenstaats Aserbaidschans Einfluss auf ihre Veranstaltungen nehmen – zum Leidwesen betroffener Fans der LGBQT-Community.
Bezüglich der Beschlagnahme der Regenbogenflagge erklärte die Uefa, sie habe weder die Ordner in Baku noch anderswo dazu angewiesen, so zu handeln. Der betroffene Fan, Kristoffer Føns, sagte dagegen zum öffentlich-rechtlichen Sender Dänemarks DR: „Da kam eine offizielle Uefa-Sicherheitsperson und riss mir die Fahne aus meinen Händen.“ Føns sagt weiter, dass er aufgrund des Verbots der Werbung mit der Regenbogenfahne ein Statement setzen wollte: „Als ich noch zu Hause war, dachte ich, jetzt geht es an einen Ort, an dem Menschenrechte kein Thema sind. Ich bin auch sehr skeptisch, was die Austragung der WM in Katar angeht, und deswegen habe ich gedacht, ich bin ein Heuchler, wenn ich nicht irgendetwas unternehme.“ Die Mitnahme der Fahne ins Stadion sei kein Problem gewesen, sagte Føns der der dänischen Zeitung Ekstra Bladet. Erst, als er sie aufgehängt habe, sei die Stimmung umgeschlagen: „Die lokalen Sicherheitsleute schauten zu mir rüber und sagten: Hey, gay boy, welcome to Baku.“
Auf welchen Indizien der später erhobene Vorwurf der Betrunkenheit fußte, bleibt offen. Genau wie eine weitere Frage: Was genau hätte sich an der Aussage der Regenbogenflagge eigentlich geändert, wäre Kristoffer Føns wirklich betrunken gewesen?