Rassismus hat sich von den Tribünen der Stadien in die Kommentarspalten der Social-Media-Kanäle verlagert. Wie gehen die Spieler damit um und was tun die Verantwortlichen der Plattformen dagegen?
Twitter wird von Spielern regelmäßig als die Plattform identifiziert, wo sie den hartnäckigsten Missbrauch erfahren. Von Unternehmensseite heißt es, dass mittlerweile mehr als die Hälfte potentiell missbräuchlicher Inhalte proaktiv zur Prüfung gekennzeichnet werden. Auf Nachfrage bekräftigte Twitter UK den Entschluss, mit einer Reihe von Partnern zusammenzuarbeiten, um das Problem anzugehen. Der Vorsitzende eines dieser Partner, Sanjay Bhandari von Kick It Out, ist verhalten optimistisch: „Es gibt keine Patentlösung, daher gibt es keine einheitliche Initiative oder einheitlichen Plan, aber es gibt eine einheitliche Denkweise, und die lautet, mehr zusammenzuarbeiten.“ Mit Social-Media-Firmen und den Führungsgremien im Fußball.
Shireen Ahmed, Autorin, Aktivistin und Co-Moderatorin des feministischen Sport-Podcasts „Burn It All Down“, führt einen der Hauptgründe für die Zögerlichkeit von Social-Media-Unternehmen an: „Die Leiter der Organe, die die Entscheidungen treffen, sind weiße Männer, und sie werden nie das nötige Einfühlungsvermögen haben, weil sie es einfach nicht können. Ahmed verweist auf Organisationen wie die Footie Black List, die afrikanische und karibische Erfolge im britischen Fußball würdigt. „Wir erleben wieder, wie People of Colour ihre eigenen Communitys unterstützen und wiederherstellen, weil es niemand sonst tun wird.“
„Rassistische Beschimpfungen sind persönlicher“
Was zu selten diskutiert wird, sind die verheerenden Auswirkungen, die Rassismus auf Fußballer haben kann. Roberto Carlos, Weltmeister mit Brasilien, bekam im Laufe seiner Karriere alle möglichen Beleidigungen zu hören, aber es waren die rassistischen, die ihn besonders betroffen machten. Als er für Anschi Machatschkala in Russland spielte, wurde er von einem Fan eines gegnerischen Teams mit einer Banane beworfen, weswegen er Berichten zufolge in der Kabine in Tränen ausbrach. Trent Alexander-Arnold, englischer Nationalspieler vom FC Liverpool, stellt fest, dass es einen signifikanten Unterschied gibt zwischen rassistischen Beschimpfungen und anderen Formen abfälliger Kommentare, die er von den Rängen zu hören bekommt. „Rassistische Beschimpfungen sind persönlicher“, sagt er. „Wir können natürlich nicht kontrollieren, welche Hautfarbe wir haben, und es ist unfair, jemanden wegen etwas, das er nicht kontrollieren kann, zu verspotten und anzugreifen. Man gewöhnt sich an die feindselige Atmosphäre im Old Trafford oder bei Auswärtsspielen in Europa, in großen Stadien und wichtigen Spielen, aber es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn diese rassistische Komponente mitschwingt.“
Alexander-Arnold hat glücklicherweise nur sehr wenig rassistischen Online-Missbrauch erfahren. Er stand aber mit Mings und Rashford im Spiel gegen Bulgarien auf dem Platz, das wegen Hassgesängen und Hitlergrüßen von einem Teil der Ränge beinahe abgebrochen wurde. Englands Nationaltrainer Gareth Southgate gebührt besondere Anerkennung. „Er fragte die Spieler, ob sie bereit seien, weiterzuspielen, obwohl er wusste, dass es nicht direkt seine Entscheidung war“, sagt Alexander-Arnold. „Dass er unter diesem Druck solche Entscheidungen traf, mit der Situation so umzugehen, verdient großen Respekt.“
Southgate hat für seine Anstrengungen genau deswegen Beifall erhalten, weil er darauf beharrt, Rassismus zu thematisieren, obwohl er selbst sagt: „Ich bin ein weißer Mann mittleren Alters, der über Rassismus spricht, es fällt mir nicht leicht, es anzusprechen.“ Der englische Trainer ist damit in der Minderheit, denn wenn es zu rassistischen Zwischenfällen kommt, fällt oft vor allem das Schweigen hochrangiger weißer Führungskräfte innerhalb des Sports auf. Wenn sich die Situation aber verbessern soll, sind ihre lautstarke und unmittelbare Verurteilung von Rassismus und ihr ebenso schnelles Handeln unerlässlich. Das Internet mag relativ neu sein, aber Rassismus ist ein System, das Jahrhunderte alt ist.
Dennoch sieht Iffy Onuora, ein ehemaliger Spieler und Trainer und heute Gleichstellungsbeauftragter der FA, Anlass für Optimismus. In seinem Kern, sagt er, sei „der Fußball eine Meritokratie – auf dem Platz geht es um Einsatz, Kameradschaft, Wettkampf und Zusammenhalt in reinster Form. Das Tolle am Spiel England gegen Bulgarien war die Solidarität. Ich habe zu einer Zeit gespielt, als es die Leute nach dem Spiel nicht einmal erwähnt haben, wenn ich rassistisch beschimpft wurde. Und diese Jungs – die Harry Kanes – sprachen es vor dem Spiel an.“ Wenn man diesen Geist in die Politik, in die Gesellschaft übertragen könnte, diesen Zusammenhalt einer Gruppe von Menschen, die mehr verbindet, als sie je trennen wird – „dann könnten wir Wunder bewirken“.