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QUADRAT 1 1 für Hochformate 29

Diese Repor­tage erschien erst­mals in Aus­gabe #231. Hier bei uns im Shop erhält­lich.

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein pro­mi­nenter schwarzer Fuß­baller. Einst kamen die ras­sis­ti­schen Beschimp­fungen von den Rängen, und sobald Sie den Rängen ent­kommen waren, ent­kamen Sie den Beschimp­fungen. Aber inzwi­schen folgen Ihnen die Beschimp­fungen nach Hause. Ihre Social-Media-Konten werden von Kom­men­taren über­flutet. Manchmal haben Sie nach einem Spiel hun­derte Benach­rich­ti­gungen. Manchmal tau­sende. Es hört nicht auf. Die Übel­täter taggen Ihren Namen neben hass­erfüllten Belei­di­gungen. Oder schi­cken Ihnen gro­teske Bilder. Oder posten Dar­stel­lungen, die jene Art von Gewalt sug­ge­rieren, die sie Ihnen antun möchten. Es ist uner­bitt­lich.

Anfangs finden Sie die Beschimp­fungen ver­stö­rend, aber bald stellen Sie sich darauf ein. Sie wenden sich an die Social-Media-Anbieter, auf Hilfe hof­fend, eine Lösung, aber deren Reak­tionen fallen ent­täu­schend aus, und die Atta­cken gehen weiter. So ist Ihr Leben jetzt halt, so wie für Wat­ford-Stürmer Troy Deeney und die frü­here Juventus-Stür­merin Eniola Aluko. Es ist der Preis, den Sie für Ihre Sicht­bar­keit als bekannter schwarzer Fuß­baller zahlen müssen. Aber Ihre Freunde und Familie erleben es anders. Sie sehen wild­fremde Men­schen, die Sie unter den Fami­li­en­por­träts, die Sie auf Insta­gram teilen, als Affen bezeichnen und sind ent­setzt. Wie kann jemand, der dem Spiel, das er liebt, so viel gegeben hat, von dessen Fans der­maßen ver­achtet werden? Ihre Familie bekommt es mit der Angst zu tun ange­sichts dieser Wut, Ihrer expo­nierten Stel­lung unter diesem hass­erfüllten Ver­grö­ße­rungs­glas. Sie macht sich Sorgen, dass eines Tages jemand das Handy nie­der­legen und etwas viel Schlim­meres ver­su­chen könnte.

Es ändert sich etwas – aber nicht zum Guten

Ras­sis­ti­sche Mit­tei­lungen können heut­zu­tage mit der Prä­zi­sion von Raketen auf schwarze Spieler abge­feuert werden. Social Media ist zu einer Waffe geworden, und der Ras­sismus im Internet nimmt zu. Das digi­tale Con­sumer-Intel­li­gence-Unter­nehmen Brand­watch, das Stu­dien für die bri­ti­sche Anti-Ras­sismus-Orga­ni­sa­tion Kick It Out durch­ge­führt hat, gab eine ernüch­ternde Reihe an Sta­tis­tiken heraus. Unter­su­chungen des Zeit­raums von November 2018 bis November 2019 ergaben ins­ge­samt einen Anstieg miss­bräuch­li­cher Bericht­erstat­tung über Fuß­ball­teams im Internet, wobei die Sozialen Medien einen Anstieg um 600 bis 900 Pro­zent ver­zeich­neten.

Die Beschimp­fungen, in Form von Bil­dern, Belei­di­gungen und Dro­hungen, treten das ganze Jahr über auf, ver­stärken sich aber rund um wich­tige Spiele. Im November 2019 zum Bei­spiel lagen die Beschimp­fungen gegen Raheem Ster­ling von Man­chester City und Virgil van Dijk vom FC Liver­pool um 27 000 Pro­zent höher als üblich. Nachdem Marcus Rash­ford von Man­chester United im August einen Elf­meter gegen Crystal Palace ver­schoss, wurde er auf Twitter wie­der­holt mit dem N‑Wort belei­digt. Dies nur wenige Wochen, nachdem sein Team­kol­lege Paul Pogba sich ras­sis­ti­schen Beschimp­fungen aus­ge­setzt sah, weil er einen Straf­stoß gegen die Wol­ver­hampton Wan­de­rers ver­schossen hatte. Und im Juli 2020 machte Crystal Palaces Wil­fried Zaha vor einem Spiel ras­sis­ti­sche Dro­hungen öffent­lich, die er über Twitter erhalten hatte, etwa Fotos vom Ku-Klux-Klan.

Im Visier der Ras­sisten

Inter­es­san­ter­weise stellte Brand­watch keinen starken Zusam­men­hang fest zwi­schen der Qua­lität der Leis­tung eines schwarzen Spie­lers und dem Ausmaß an ras­sis­tisch moti­viertem Hass, den er dar­aufhin erfuhr. Meist reicht es schon, nur zu spielen, um online Ärger zu ent­fa­chen. Als Tyrone Mings von Aston Villa im EM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel der Eng­länder gegen Bul­ga­rien Ziel­scheibe ras­sis­ti­scher Gesänge war, stiegen gleich­zeitig die Online-Beschimp­fungen gegen ihn um 86 Pro­zent. Bei Rash­ford, der eben­falls auf dem Platz stand, waren es 3000 Pro­zent.

Was steckt hinter diesem Anstieg an Online-Ras­sismus? Eniola Aluko, die 102 Mal für Eng­land gespielt hat, ver­weist auf das aktu­elle soziale Klima. Sehen Sie sich Trump, Brexit und Matteo Sal­vini an“, sagt sie. Sal­vini war wäh­rend Alukos Zeit bei Juventus Minis­ter­prä­si­dent Ita­liens und gewann durch seinen Gebrauch rechts­extremer Rhe­torik an Popu­la­rität. Sein Auf­stieg, bemerkt Aluko, wurde begleitet von einem Mangel an Inter­esse“ sei­tens der Behörden, Klubs für ras­sis­ti­sche Gesänge bei ihren Spielen sowie Social-Media-Unter­nehmen für ras­sis­ti­sche Bot­schaften im Netz zur Rechen­schaft zu ziehen. Für Aluko ist dieses Des­in­ter­esse ein Sym­ptom für die Akzep­tanz von Vor­ur­teilen in breiten Teilen der Gesell­schaft. Vor­ur­teile, die im Netz befeuert werden.

Troy Deeney möchte weiter zurück­bli­cken. Der Brexit hat Ras­sismus an die Ober­fläche gespült“, sagt er. Aber schauen Sie in die Ver­gan­gen­heit: Für die Eltern und Groß­el­tern vieler Men­schen war Ras­sismus etwas ganz Nor­males. Und sie werden ihren Kin­dern bei­bringen, dass es akzep­tabel ist. Was mir der­zeit zu schaffen macht, ist, dass Leute sagen, es seien nur Necke­reien. Aber Necken ist eine scherz­hafte, lie­be­voll gemeinte Sti­chelei. Wenn man jemanden auf­grund seiner Haut­farbe, seiner Über­zeu­gungen, seiner Sexua­lität belei­digt, wo ist das Necken?“

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Eniola Aluko

Shut­ter­stock

Der bri­ti­sche Sozio­loge und Ras­sis­mus­experte Ben Car­ri­ngton sagt, dass es für einen bedeu­tenden Teil der weißen Öffent­lich­keit Tra­di­tion habe, mei­nungs­starke, schwarze Sportler zu ver­ur­teilen. Social Media ist seiner Auf­fas­sung nach nur die moderne Vari­ante davon. Der Online-Miss­brauch ist eine Form sozialer Sank­tio­nie­rung“, sagt er. Es ist eine for­melle Dis­zi­pli­nie­rung von schwarzen Fuß­bal­lern und sendet außerdem eine War­nung an andere schwarze Per­sön­lich­keiten des öffent­li­chen Lebens, dass es seinen Preis hat, sich zu bestimmten Themen rund um Ras­sismus und Politik zu äußern.“ Er führt das Bei­spiel des noto­risch groß­mäu­ligen Jack Johnson an. Das Ver­halten des ame­ri­ka­ni­schen Box­cham­pions der frühen neun­ziger Jahre zog, obwohl es auch nicht wider­spens­tiger war als das seiner weißen Kol­legen, mas­sive Kritik von weiten Teilen des weißen Publi­kums und der weißen Presse auf sich. John­sons eigent­liche Sünde, sagt Car­ri­ngton und greift dabei auf Worte des großen His­to­ri­kers W. E. B. Du Bois zurück, sei seine unver­zeih­liche Schwärze“.

Im modernen Kon­text ent­steht ein düs­teres Bild: In den Händen eines bigotten Fuß­ball­fans ist Social Media eine Art digi­tale Peit­sche, mit der er wider­spens­tigen schwarzen Fuß­bal­lern die Leviten lesen kann. Was das Allein­stel­lungs­merkmal für diese schwarzen Spieler ist, ist die Mani­fes­ta­tion dieses Miss­brauchs“, sagt Car­ri­ngton, und manchmal auch das Ausmaß des Miss­brauchs. Es zielt darauf ab, schwarzen Men­schen zu zeigen, wo ihr Platz ist. Eines der Pro­bleme ist die Sprache. Wir reden gerne über Diver­sität und Ras­sen­be­zie­hungen, aber das sind Euphe­mismen, um über White Supre­macy, über weiße Vor­herr­schaft zu spre­chen, eine Grün­dungs­ideo­logie des Wes­tens. Eine Hier­ar­chie von Rassen, mit weißen Euro­päern an der Spitze und aus­nahmslos mit schwarzen Afri­ka­nern ganz unten.“

Trump, Brexit oder Sal­vini haben zu diesem Klima bei­getragen“

Eniola Aluko

Aluko weiß das nur zu gut. Sie erzählt, wie sie nach ihren Hei­mat­be­su­chen am Flug­hafen in Turin emp­fangen wurde. Turin ist kein großer Flug­hafen“, sagt sie, man kennt mich also, man sieht mich dort andau­ernd mit Juventus durch­kommen. Und jedes Mal werde ich ange­halten und meine Taschen durch­sucht. Und jedes Mal sage ich: Aber Sie haben mich so viele Male hier gesehen.‘“ Jedes Mal sagen sie, dass sie nur ihren Job machen, aber Aluko weiß, dass mehr dahin­ter­steckt. Es ist ihre Art, dir zu zeigen, dass dies dein Platz ist, egal wie viel du leis­test.“

Deeney wird in erster Linie auf Twitter ins Visier genommen, gefolgt von Insta­gram. Sein Account wird tag­täg­lich mit ras­sis­ti­schen Belei­di­gungen und Bil­dern von Affen bom­bar­diert. Wäh­rend er sich daran gewöhnt hat – so ist es nun mal“, sagt er –, sorgt er sich wei­terhin darum, welche Aus­wir­kungen die Über­griffe auf seine Familie haben. Das ist der schwie­rigste Teil“, sagt er. Ich bin ein biss­chen alt­mo­disch und finde, dass der Mann des Hauses seine Familie zu beschützen und nicht in Gefahr zu bringen hat. Aber indem ich für meine Familie sorge, setze ich sie der Gefahr aus, online beschimpft zu werden.“ Auf die Frage, wie die Social-Media-Unter­nehmen dagegen vor­gehen, sagt er unmiss­ver­ständ­lich: Den­je­nigen, die dort die Ent­schei­dungen treffen, ist es völlig egal.“

Twitter wird von Spie­lern regel­mäßig als die Platt­form iden­ti­fi­ziert, wo sie den hart­nä­ckigsten Miss­brauch erfahren. Von Unter­neh­mens­seite heißt es, dass mitt­ler­weile mehr als die Hälfte poten­tiell miss­bräuch­li­cher Inhalte pro­aktiv zur Prü­fung gekenn­zeichnet werden. Auf Nach­frage bekräf­tigte Twitter UK den Ent­schluss, mit einer Reihe von Part­nern zusam­men­zu­ar­beiten, um das Pro­blem anzu­gehen. Der Vor­sit­zende eines dieser Partner, Sanjay Bhandari von Kick It Out, ist ver­halten opti­mis­tisch: Es gibt keine Patent­lö­sung, daher gibt es keine ein­heit­liche Initia­tive oder ein­heit­li­chen Plan, aber es gibt eine ein­heit­liche Denk­weise, und die lautet, mehr zusam­men­zu­ar­beiten.“ Mit Social-Media-Firmen und den Füh­rungs­gre­mien im Fuß­ball.

Shireen Ahmed, Autorin, Akti­vistin und Co-Mode­ra­torin des femi­nis­ti­schen Sport-Pod­casts Burn It All Down“, führt einen der Haupt­gründe für die Zöger­lich­keit von Social-Media-Unter­nehmen an: Die Leiter der Organe, die die Ent­schei­dungen treffen, sind weiße Männer, und sie werden nie das nötige Ein­füh­lungs­ver­mögen haben, weil sie es ein­fach nicht können. Ahmed ver­weist auf Orga­ni­sa­tionen wie die Footie Black List, die afri­ka­ni­sche und kari­bi­sche Erfolge im bri­ti­schen Fuß­ball wür­digt. Wir erleben wieder, wie People of Colour ihre eigenen Com­mu­nitys unter­stützen und wie­der­her­stellen, weil es nie­mand sonst tun wird.“

Ras­sis­ti­sche Beschimp­fungen sind per­sön­li­cher“

Trent Alexander-Arnold

Was zu selten dis­ku­tiert wird, sind die ver­hee­renden Aus­wir­kungen, die Ras­sismus auf Fuß­baller haben kann. Roberto Carlos, Welt­meister mit Bra­si­lien, bekam im Laufe seiner Kar­riere alle mög­li­chen Belei­di­gungen zu hören, aber es waren die ras­sis­ti­schen, die ihn beson­ders betroffen machten. Als er für Anschi Machatschkala in Russ­land spielte, wurde er von einem Fan eines geg­ne­ri­schen Teams mit einer Banane beworfen, wes­wegen er Berichten zufolge in der Kabine in Tränen aus­brach. Trent Alex­ander-Arnold, eng­li­scher Natio­nal­spieler vom FC Liver­pool, stellt fest, dass es einen signi­fi­kanten Unter­schied gibt zwi­schen ras­sis­ti­schen Beschimp­fungen und anderen Formen abfäl­liger Kom­men­tare, die er von den Rängen zu hören bekommt. Ras­sis­ti­sche Beschimp­fungen sind per­sön­li­cher“, sagt er. Wir können natür­lich nicht kon­trol­lieren, welche Haut­farbe wir haben, und es ist unfair, jemanden wegen etwas, das er nicht kon­trol­lieren kann, zu ver­spotten und anzu­greifen. Man gewöhnt sich an die feind­se­lige Atmo­sphäre im Old Traf­ford oder bei Aus­wärts­spielen in Europa, in großen Sta­dien und wich­tigen Spielen, aber es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn diese ras­sis­ti­sche Kom­po­nente mit­schwingt.“

Alex­ander-Arnold hat glück­li­cher­weise nur sehr wenig ras­sis­ti­schen Online-Miss­brauch erfahren. Er stand aber mit Mings und Rash­ford im Spiel gegen Bul­ga­rien auf dem Platz, das wegen Hass­ge­sängen und Hit­ler­grüßen von einem Teil der Ränge bei­nahe abge­bro­chen wurde. Eng­lands Natio­nal­trainer Gareth South­gate gebührt beson­dere Aner­ken­nung. Er fragte die Spieler, ob sie bereit seien, wei­ter­zu­spielen, obwohl er wusste, dass es nicht direkt seine Ent­schei­dung war“, sagt Alex­ander-Arnold. Dass er unter diesem Druck solche Ent­schei­dungen traf, mit der Situa­tion so umzu­gehen, ver­dient großen Respekt.“

Grund zur Hoff­nung

South­gate hat für seine Anstren­gungen genau des­wegen Bei­fall erhalten, weil er darauf beharrt, Ras­sismus zu the­ma­ti­sieren, obwohl er selbst sagt: Ich bin ein weißer Mann mitt­leren Alters, der über Ras­sismus spricht, es fällt mir nicht leicht, es anzu­spre­chen.“ Der eng­li­sche Trainer ist damit in der Min­der­heit, denn wenn es zu ras­sis­ti­schen Zwi­schen­fällen kommt, fällt oft vor allem das Schweigen hoch­ran­giger weißer Füh­rungs­kräfte inner­halb des Sports auf. Wenn sich die Situa­tion aber ver­bes­sern soll, sind ihre laut­starke und unmit­tel­bare Ver­ur­tei­lung von Ras­sismus und ihr ebenso schnelles Han­deln uner­läss­lich. Das Internet mag relativ neu sein, aber Ras­sismus ist ein System, das Jahr­hun­derte alt ist.

Den­noch sieht Iffy Onuora, ein ehe­ma­liger Spieler und Trainer und heute Gleich­stel­lungs­be­auf­tragter der FA, Anlass für Opti­mismus. In seinem Kern, sagt er, sei der Fuß­ball eine Meri­to­kratie – auf dem Platz geht es um Ein­satz, Kame­rad­schaft, Wett­kampf und Zusam­men­halt in reinster Form. Das Tolle am Spiel Eng­land gegen Bul­ga­rien war die Soli­da­rität. Ich habe zu einer Zeit gespielt, als es die Leute nach dem Spiel nicht einmal erwähnt haben, wenn ich ras­sis­tisch beschimpft wurde. Und diese Jungs – die Harry Kanes – spra­chen es vor dem Spiel an.“ Wenn man diesen Geist in die Politik, in die Gesell­schaft über­tragen könnte, diesen Zusam­men­halt einer Gruppe von Men­schen, die mehr ver­bindet, als sie je trennen wird – dann könnten wir Wunder bewirken“.