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Seite 2: „Mexiko, wir kooommen!“

Den­noch glaubte man­cher Zuschauer, nicht richtig zu sehen.

Wer stand denn dort auf Rechts­außen? Es war weder der Dort­munder Siggi Held noch der Neu-Braun­schweiger Bernd Dörfel? Nein, Schön inter­es­sierten die Pro­gnosen der Presse wenig. Er nomi­nierte den form­starken Schalker Rein­hard Libuda, den alle nur Stan“ nannten, weil er drib­beln konnte wie der legen­däre Eng­länder Stan Matthews. Und er sollte diese Ent­schei­dung nicht bereuen. Ebenso wenig, dass er Günter Netzer auf die Bank setzte. Er wäre in diesem Kampf­spiel voll uner­bitt­li­cher Härte“ (Kicker) wohl der fal­sche Mann gewesen.

Das Sta­dion platzte aus allen Nähten und manche bekamen Sitz­plätze, für die es keinen Preis gab – Hun­derte kau­erten dicht an der Aschen­bahn. Dann ging es los, der Nebel hatte sich ver­zogen. Dafür kam die kalte Dusche – für die Deut­schen.

Fuß­ball-Ger­manen und Kicker-Kelten bekämpften sich wie in früh-geschicht­li­cher Zeit“ 

Schon nach drei Minuten gingen die Schotten durch John­stone in Füh­rung, als Sepp Maier einen Fern­schuss nicht fest­halten konnte, und Schöns Elf brauchte eine halbe Stunde, um das zu ver­dauen. Immer wieder ging es hoch her vor dem deut­schen Tor, das 0:2 lag in der Luft und die Gäste-Fans machten sich bemerkbar. Dann traf der Schalker Ver­tei­diger Klaus Fichtel zum ersten und ein­zigen Mal im Natio­nal­dress. Nach einer von Haller per Kopf ver­län­gerten Libuda-Ecke sprang ihm der Ball im Straf­raum vor die Füße und mit etwas Glück lan­dete dieser, noch abge­fälscht, im Schotten-Tor. Das 1:1 (38.) war auch der Pau­sen­stand. Zur zweiten Hälfte kam der Schweizer Schieds­richter Droz im neuen Outfit, nun ganz in Schwarz. Sein helles Ober­teil war in der Kabine geblieben, die Zuschauer am Bild­schirm, damals gab es nur Schwarz-Weiß-Fern­sehen, dankten es ihm.

Die Schotten kamen unver­än­dert ent­schlossen aufs Feld zurück und trafen binnen vier Minuten zwei Mal die Latte. Dann kam nach 62 Minuten das obli­ga­to­ri­sche Müller-Tor, aus­ge­rechnet nach Kopf­ball­vor­lage von Uwe Seeler – und Schön sah sich bestä­tigt. Es ging ja doch mit den beiden…

Rund 30 Zuschauer eilten in Hut und Mantel auf den Platz, um die Deut­schen zu feiern. Das bekam ihnen nicht gut, schon 110 Sekunden später glückte Gil­zean von Tot­tenham, einer von vier Eng­land-Profis, per Kopf der Aus­gleich, die Abwehr hatte ihn sträf­lich allein gelassen. Nun kam Hektik ins Spiel, Berti Vogts und Willi Schulz wurden böse gefoult, auch Gerd Müller teilte aus und wurde ver­warnt. Lokal­ma­tador Schulz ging plötz­lich ganz gebückt und erin­nerte sich noch Jahr­zehnte später an seine Bekannt­schaft mit 1,90-Meter-Hüne Gil­zean: Der Ball war ganz woan­ders, da gab es einen Faust­schlag auf die Leber, dass mir die Luft weg­blieb. An diesem Tag habe ich gelernt: nie näher als einen Meter an den Mann ran gehen.“ Im Spiegel las man: Fuß­ball-Ger­manen und Kicker-Kelten bekämpften sich wie in früh-geschicht­li­cher Zeit vor­wie­gend Mann gegen Mann mit Fäusten und Füßen.“

Mexiko, wir kooommen!“

Zum Glück wusste Stan Libuda auch in dieser Phase mit den Füßen noch etwas Bes­seres anzu­fangen. In der 78. Minute zog er nach einem Haller-Pass von der Mit­tel­linie auf rechts los, schüt­telte seinen Gegen­spieler ab und erzielte mit links das ebenso herr­liche wie wich­tige Tor. Ich spürte den Atem von Gemmel im Nacken. Der foult’, dachte ich noch und sprang hoch. Gemmel trat ins Leere. Ich lief noch ein paar Meter. Irgendwie bekam ich den Ball an ihm vorbei“, berich­tete der 1996 ver­stor­bene Libuda über seinen größten Moment im DFB-Trikot. Und Günter Netzer, den Schön schon zum Warm­laufen geschickt hatte, setzte sich wieder hin. Dem Höhe­punkt des Abends folgte noch ein trau­riger Tief­punkt: Gemmel machte regel­recht Jagd auf Haller, trat ihm brutal in die Beine und wurde vom Platz gestellt (88.). Dann tat Droz das, was alle ersehnten: er pfiff ab. Wieder stürmten Dut­zende das Feld, dar­unter ein irgendwie ver­loren wir­kender Mann im Mantel. Links trug er eine Akten­ta­sche, rechts einen großen Blu­men­strauß, den er wacker in die Höhe reckte – bloß fand er keinen Abnehmer im all­ge­meinen Jubel­chaos.

Die kol­lek­tive Erleich­te­rung sprang am nächsten Morgen aus der Schlag­zeile von Bild: Mexiko, wir kooommen!“

Das Ham­burger Abend­blatt bilan­zierte sach­li­cher: Schön war es nicht, gut war es auch nicht. Aber dra­ma­tisch, fas­zi­nie­rend. Eine Sache für harte Männer.“ Und einen großen Künstler namens Stan Libuda, der das Tor nach Mexiko schoss und öff­nete. Zur viel­leicht fas­zi­nie­rendsten WM aller Zeiten, bei der Deutsch­land gleich zwei Jahr­hun­dert­spiele“ machte und auch als Dritter wie ein Welt­meister gefeiert wurde.