Es sind Auftritte wie gegen Olympique Lyon im März 2009, die sich in das Gedächtnis der Fans brennen und in die Notizbücher europäischer Manager: Eden Hazard, 18 Jahre jung, hatte den amtierenden französischen Meister im Alleingang besiegt, zwei Vorlagen beigesteuert und ein denkwürdiges Tor. Die 45. Minute lief, als der Belgier den Ball hinter der Mittellinie bekam, er drehte sich mit einem Chip aus dem Klammergriff seines Bewachers, sprintete auf vier Gegenspieler zu, täuschte links, zog den Ball nach rechts, am ersten Verteidiger vorbei, auch die zweite Grätsche rutschte ins Leere, Hazard war schon weg, war weiter. Einem kurzen Blick nach oben folgte der präzise Schuss in die linke Torecke.
Heute, mehr als zwei Jahre danach, spielt Hazard noch immer in Lille. Das allein mag schon erstaunen, noch verwunderlicher ist aber, dass er seinen Vertrag erst im März bis 2015 verlängerte. Es war die zweite Ausweitung des Kontraktes binnen eines Jahres. Will das hochgehandelte Supertalent tatsächlich in der Bergbauregion bleiben? Oder dient die Tinte auf dem Papier vor allem der Marktwertsteigerung? Hinter dem Turbodribbler sind angeblich so viele Vereine her, dass die Berichterstatter gerne zu „halb Europa“ aufrunden: Juventus Turin, Real Madrid, Stadtnachbar Atletico, Arsenal London und natürlich der FC Chelsea. Auch die Münchener Bayern sollen den Flügelspieler mehr als nur einmal beobachtet haben. Am konkretesten kolportierte der FC Liverpool sein Interesse, 21 Millionen Euro war Coach Kenny Dalglish zu überweisen bereit. Vergebens. Keine Anfrage mündete in einem Wechsel.
„Er ist sehr intelligent“
Eden Hazard will sich offensichtlich nicht einreihen in die Galerie der Jungstars, deren Karriere stagniert, weil sie zu früh falsch wechselten. Die Beispiele von Giovanni dos Santos, Freddy Adu, John Obi Mikel oder Gael Kakuta stimmen nachdenklich. 2010 blockte der zweimal zum Nachwuchsspieler der Saison gewählte Hazard sofort ab. Er fühle sich noch nicht reif für einen Transfer, wolle nicht irgendwohin gehen, nur um dann auf der Bank zu schmoren. Hazards Selbstreflexion wird nicht verstellt von hochfliegenden Ambitionen und Gehaltschecks. Das ist schön, weil selten. „Er steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und ist sehr intelligent“, bestätigt auch Mannschaftskollege Pierre-Alain Frau. Und so darf man zumindest davon ausgehen, dass Hazard, der zum Torjubel mit beiden Händen ein Herz formt, seiner Liller Liebe nur den Rücken kehrt, wenn ein Angebot internationalen Anspruch mit guter Ausbildung zu kombinieren versteht. Der Marktwert des Mannes, der mal „nächster Messi“, dann wieder „neuer Ronaldo“ und in entscheidungsunfreudigen Momenten „eine Mischung aus Messi und Ronaldo“ genannt wird, hat sich jedenfalls bei 22,5 Millionen Euro eingependelt. Die Höhe dieser Summe spiegelt nicht zuletzt die aktuelle Saison, in der die „Doggen“ das Double aus Pokal und Meisterschaft holten. Für den OSC Lille waren es die ersten nationalen Titel seit 1954. Eden Hazard wurde zum besten Spieler der Saison gekürt.
Dieser Triumph erhöht aber eben nicht nur die Ablösesumme des Offensivmannes, sondern auch den Erwartungsdruck. Mit 20 Jahren hat Eden Hazard in der Ligue 1 alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Ein Wechsel nach England, Italien oder Spanien müsse folgen, heißt es deshalb von allen Seiten, immerhin gilt die französische Konkurrenz nicht als europäische Spitzenklasse. Wer verstehen will, warum Hazard trotzdem zögert, muss berücksichtigen, was er mit einem Wechsel aufgäbe.
Auszug aus dem Paradies?
Eden Hazard hängt an der Stadt und am Verein. „Ich bin zu 100 Prozent Lille“, beteuert er. Die Rot-Blauen holten ihn aus Stade Brainois, da wurde der Junge aus La Louvière gerade 14 Jahre. Er durchlief die Jugendmannschaften, wurde behutsam aufgebaut und ausgewechselt, wenn der Körper zu übermüden drohte. Das ging, weil in Lille trotz titelloser Dekaden nie die Erwartungshaltung herrschte wie in Lyon, Paris oder Marseille. Zeitgleich setzte eine infrastrukturelle Entwicklung ein, im Zuge derer 2007 ein modernes Trainingszentrum und auch eine neue Arena entstanden. In dieser Saison spielt die Mannschaft dann auch noch einen Fußball, der Hazard optimal entgegenkommt. Trainer Rudi Garcia setzt auf flinke, überfallartige Kombinationen, auf Kurzpass, Risiko und Offensive. Beim neuen französischen Meister funktioniert Hazard schon jetzt problemlos. Der OSC ist für ihn ein Garten Eden. Im Ausland würde indes eine ungewisse Zukunft warten, Hazard müsste den Beweis seiner Klasse neu erbringen. Das weiß er und macht sich die Entscheidung deshalb schwer. Niemand verlässt gerne sein Paradies.