Ob das Schweigegelübde der Dortmunder Bruderschaft auch Thomas Doll umfasst, bleibt abzuwarten. Besser wär’s jedenfalls.
Böse Zungen mögen diesen Presseboykott nun unprofessionell nennen, im Grunde ist er jedoch nur folgerichtig. Wer neunzig Minuten lang die Arbeit verweigert, muss sich nun wirklich nicht direkt nach dem Abpfiff anschicken, den Musterprofi zu mimen. Den nimmt den Jungs, die inzwischen ganz gern auch mal einen Tag vorm Pflichtspiel in der Schweiz heiraten, inzwischen ohnehin niemand mehr ab. Und für uns Fans ist es ohnehin erträglicher, vom Geschwafel der gedanklichen Champions League Sieger zumindest eine Weile verschont zu bleiben. Dass Christian Wörns jetzt sicherlich die Arme hochkrempeln möchte, können wir uns auch denken.
Acht Spiele, fünf Niederlagen: Borussia ist mit dem schlechtesten Start der Vereinsgeschichte in die Saison gegangen und steht nun mit derselben Punktzahl wie Hansa Rostock auf dem allerletzten Nicht-Abstiegsplatz. Und auch wenn Hans-Joachim Watzke noch zu Saisonbeginn erklärte, wie sehr er aufpassen müsse, beim Gespräch über Thomas Doll nicht ins Schwärmen zu geraten: Der Großteil der Anhänger dürfte die Personalie des Trainers inzwischen weit weniger enthusiastisch sehen. Zu unglücklich agiert Doll in seiner Außendarstellung, zu unbeholfen wirken Aufstellung, Taktik und Auswechslungen auf den Betrachter.
Uns es fällt wirklich nicht leicht, nach acht gespielten Ligaspielen noch einen großen Masterplan hinter Personalpolitik und taktischen Kniffen des Trainers zu vermuten. Eher riechen die Entscheidungen inzwischen sehr nach „Versuch und Irrtum“, praktiziert leider obendrein im laufenden Spielbetrieb und nicht in der Vorbereitung, die ja eigentlich zum Auffinden von Aufstellung und Taktik dienen sollte. Doch der Spielmacher besagter Testspiele, Mladen Petric, ist schon längst mangels Tauglichkeit als Nummer 10 in den Sturm beordert worden. Seine Rolle übernahm Giovanni Federico, der in der Folge und offenbar zur Vermeidung eines allzu großen Selbstvertrauens kontinuierlich frühzeitig ausgewechselt wurde. Negativer Höhepunkt: Die 42. Spielminute gegen den HSV. Da hilft dann auch kein Mentaltrainer mehr.
Doch nicht nur Federico und Petric bekamen die Probierfreudigkeit des Trainers zu spüren: Auf der linken Position der Raute wechselten sich bislang Tinga und Kringe ab, im defensiven Mittelfeld Kehl, Kruska und Tinga, zuletzt sogar beide gleichzeitig, und auf der Position des rechten Verteidigers durften sich in Degen, Kringe, Akgün und Blaczykowski in acht Partien gleich vier Spieler versuchen. Wer Langeweile hat, mag einmal die verschiedenen Aufstellungen und Spielsysteme zählen, mit denen die Borussia in der noch jungen Saison bislang aufgetreten ist. Immerhin: Leicht auszurechnen sind wir so nicht.
Am Samstag, nach dem bisherigen Tiefpunkt, der jedoch ahnen ließ, dass es durchaus noch tiefer gehen kann, zeigten sich dann auch die ersten Ablösungserscheinungen in der Verbindung zwischen Mannschaft und ihrem Trainer, der deutliche Distanz in seine Worte legte. Energisch trat er vor die Kameras, sichtlich bemüht, das Gerede vom „zu braven Kumpeltypen Thomas Doll“ bereits im Keim zu ersticken. Gegenüber dem ZDF endete dieser Versuch jedoch mehr als unglücklich: Vier oder fünf Spieler, so Doll, müsse man schon die gesamte Saison lang durchschleppen, weil sie außer Form seien. Das ist auf dem Platz zwar tatsächlich unübersehbar, aber wer bitteschön ist denn für genau diesen Umstand der leitende Verantwortliche?
Vielleicht aber darf man aber auch diese Sätze – wie so viele andere – nicht auf die Goldwaage legen. So wie die Erklärung, dass die Mannschaft am liebsten mit Raute spiele, und die anschließende Aufstellung mit Doppel‑6. Oder wie die Erläuterung, man dürfte auch nicht zu viel herumprobieren, mit dem anschließenden Doppel-Wechsel Kovac-Brzenska und Blaczykowski-Akgün in der Abwehr. Oder wie die anerkennenden Worte „auf ihn kann ich mich immer verlassen“ für den bislang unberücksichtigten Martin Amedick.
Ist Thomas Doll also noch der richtige Trainer für den BVB? Zweifel sind angebracht angesichts der Unbeholfenheit, die der Coach zuletzt offenbarte. Im Hinblick auf den HSV in der vergangenen Spielzeit wäre ein Ende mit Schrecken möglicherweise auch die bessere Lösung als ein Schrecken ohne Ende, zumal der Trainer in gerade einmal sechs Wochen Arbeitslosigkeit seine Hamburger Zeit möglicherweise nicht genügend aufarbeiten konnte. Doch auch wenn sich bisher vieles auf Thomas Doll fokussiert: Der Trainer ist nur ein Baustein des Krisengebildes, und allenfalls so sehr dafür verantwortlich wie auch Sportdirektor Zorc oder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Beide hatten immerhin zum Ende der vergangenen Spielzeit eine intensive Analyse der vorangegangenen Fehler angekündigt. Das Ergebnis dieser wirklich schonungslosen und in der gesamten Bundesliga wohl einzigartigen Aufarbeitung der Vergangenheit: Das Ziel war schuld.
Ja, da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. So einfach ist das: Das Ziel ist schuld an seinem Nichterreichen. Dem geneigten Fan ist zwar anzuraten, dergleichen vielleicht nicht gerade als Rechtfertigung gegenüber dem eigenen Chef anzuwenden, doch im Fußball gelten ja bekanntlich gänzlich andere Gesetze und so wälzte man in der Führungsebene der Borussia bequem alle Verantwortung ab auf das Ziel und seine vorgeblich allzu offensive Verkündung. Bei derlei kreativen Potential in der Chefetage allerdings ist man schon genötigt zu hoffen, dass das Geschweigegelübde der Mannschaft nicht auch die Führungsebene umfasst. Uns könnte eine ähnlich Erleuchtung bringende Erläuterung zum bisherigen Saisongeschehen entgehen.
Doch genug des Sarkasmus. Thomas Doll ist offenkundig das schwächste Glied, und er selbst wird das Bundesligageschäft gut genug kennen, um zu wissen, dass er und die Borussia sich nicht mehr viele Fehltritte erlauben können. Die Mechanismen sind so, da nützen auch der frische Wind und die lobenswerten Neuerungen nichts, die Doll und sein Trainerstab dem BVB verordnet haben. Moderne Trainingslehre und professionelles Arbeiten offenbaren ihre Wirkung oft nur langfristig und nützen leider nur wenig, wenn der sportliche Erfolg im Hier und Jetzt zu wünschen übrig lässt. Das ist auch in Anbetracht des zweifelsohne sympathischen Auftretens Doll schade.
Sollte der Fall der Fälle jedoch ein- und Thomas Doll zurücktreten müssen, so ist es an der Zeit, dringend auch tiefer greifende Veränderungen zu ergreifen.
Natürlich steht außer Frage, dass die allererste Verantwortung für das Abschneiden der Mannschaft eben genau in ihre selbst zu suchen ist. Sollte innerhalb eines Jahres der dritte Trainer scheitern, so mag man der Truppe beinahe das Prädikat „untrainierbar“ anhängen. Doch auch wenn manche Darbietungen in dieser Spielzeit eines Bundesligaprofis schlicht unwürdig waren: Der gesamten Mannschaft fortwährende Charakterlosigkeit zu unterstellen, greift zu kurz. Immerhin ist das Team im Vergleich zur vergangenen Saison auf zahlreichen Positionen verändert worden, mit Petric, Federico, Klimowicz, Blaczykowski, Ziegler und Kovac standen gleich alle sechs mehr oder weniger häufig in der Anfangsformation.
Übt man an diesen Spielern pauschal dieselbe Charakterkritik, fällt diese jedoch ebenso auch auf Michael Zorc und dessen Einkaufspolitik zurück wie der Umstand, dass ein echter Spielmacher ebenso wie Außenverteidiger-Alternativen auch nach dem Kaufrausch des Sommers auf sich warten lassen.
Gerade diese beiden Baustellen begleiteten den BVB jedoch mindestens schon durch die gesamte zurückliegende Saison, so dass man hier wirklich die Frage stellen muss, warum auf Positionen mit vergleichsweise geringerer Notwendigkeit investiert wurde, nicht aber auf den Außenbahnen. Und natürlich, warum der schon in der letzten Spielzeit gescheiterte Versuch, einen Spieler mit angestammter Sturmposition zum Spielmacher umzufunktionieren. Michael Zorc Erklärung im Kicker zu Saisonbeginn sprach da Bände: Man habe Petric gefragt, ob er das spielen könne, und der habe bejaht. Ich will das mal vorsichtig ausdrücken: Wenn man einen Spieler aus einer vergleichsweise kleinen Liga befragt, ob er sich vorstellen könne, zukünftig für ein erkleckliches Jahres-Salär bei einem nicht ganz unbekannten und ambitionierten Großklub einer der stärkeren europäischen Ligen zu spielen, dann gibt es wohl nicht viele Kicker, die diese Frage verneinen würden. Die meisten Verweigerer dürften Torhüter sein.
Sollte sich jedenfalls der derzeitige Abwärtstrend bestätigen und auch Trainer Nummer Drei innerhalb eines Jahres nicht den gewünschten Erfolg bringen, so muss sich auch Michael Zorc hinterfragen lassen. Eher schwache sportliche Leistungen waren in den harten Zeiten wirtschaftlicher Probleme durchaus entschuldbar. Mit der Gesundung der Borussia und neuen ambitionierten Transfers ist jedoch auch die Erwartungshaltung gestiegen. Zurzeit, so scheint es, hat Michael Zorc mit seiner Kadergestaltung keine Antwort auf diese Fragen gefunden. Schon in der letzten Saison hagelte es massive Kritik an der Person des Sportdirektors, eben wegen jener schwer durchschaubaren Zusammenstellung der Mannschaft. Sollte sich die Talfahrt fortsetzen, wird auch dieses Thema zurecht wieder hochkochen.
Auch Hans-Joachim Watzke steht dann stärker im Brennpunkt. Bei Bert van Marwijk konnte sich der Geschäftsführer noch mit dem Hinweis herausreden, er selbst habe den Holländer ja nicht verpflichtet Der Umstand, dass nicht seine Vorgänger, sondern Watzke den Vertrag mit van Marwijk verlängert hatten, blieb unbeachtet. Auch bei Jürgen Röber wusch Watzke die Hände anschließend in Unschuld: Auf die Schnelle sei eben kein anderer Trainer zu haben gewesen als der zunächst hochgelobte Interims-Coach.
So oder so sollten alle drei sportlich Verantwortlichen ein sehr persönliches Interesse daran haben, die Borussia alsbald wieder auf Kurs zu bringen. Sofern das nicht gelingt, werden wir in Dortmund erneut einen sehr stürmischen Herbst erleben. Die Reaktionen des Publikums im Spiel gegen den HSV haben dafür bereits einen Vorgeschmack gegeben.