Für die aktuelle 11FREUNDE-Ausgabe #234 begleiteten wir Mario Götze beim PSV Einhoven und sprachen mit ihm über sein neues Leben in den Niederlanden, Frustmomente unter Lucien Favre und Bauchentscheidungen, die er so heute nicht mehr träfe.
In der Saison 2019/20 kamen Sie unter Lucien Favre nur auf einen Pflichtspieleinsatz über die komplette Spielzeit. Wie frustig war die Zeit?
Für mich ist es das Wichtigste, die Jahre, die ich als aktiver Fußballer habe, optimal zu nutzen. Klar, dass ich in dieser Zeit auch zeitweise über eine schnelle Lösung nachgedacht habe.
Heißt: Sie wollten weg!
Als ich in der ersten Favre-Saison 2018/19 merkte, dass ich nicht mal mehr Kader bin, war das so. Aber in der zweiten Saisonhälfte habe ich fast immer gespielt und wir wären beinahe Meister geworden. In dieser entscheidenden Phase hatte ich im Vergleich zu meinen Mitspielern meine beste Phase seit der Rückkehr zum BVB. Deswegen ging ich sehr optimistisch in die neue Saison. Aber aufgrund des auslaufenden Vertrags gepaart mit den mangelnden Einsätzen, lebte ich am Ende in Dortmund schon in dem Gefühl, keine Relevanz mehr zu haben.
Wie gehen Sie mit so einer Situation um?
Die große Frage in solchen bitteren Phasen: Ist es das wert, sich dem Frust hinzugeben? Oder soll ich mich nicht auf das konzentrieren, was ich selbst beeinflussen kann? Wenn ein Trainer nicht wertschätzt, was ich leiste, kann ich es nicht ändern. Will ich mich daran aufreiben oder wende ich mich besser dem zu, was mir und meiner Familie gut tut?
Wie sehr wird Ihre Gattin von diesen Frustmomenten in Mitleidenschaft gezogen?
Ich mache da vieles mit mir selbst aus. Ich bin auch nicht der Typ, der total ausrastet. Aber, zugegeben, meine Frau und ich reden viel über den Job und die kriegt auch mit, wenn ich niedergeschlagen bin.
„Irgendwann merkte ich, dass es nicht mehr besser wird“
Schon vorher stand Ihre Rückkehr zum BVB 2016 unter keinem guten Stern. Im ersten Halbjahr 2017 litten Sie an einer Stoffwechselerkrankung, die auch eine Folge überhöhter Erwartungen an sich selbst war. Sie trainierten wie besessen, wurden aber schlechter. Waren Sie zu verbissen?
Tja, so war das wohl. Einen gewissen Hang dazu, mehr zu machen als die anderen, zu hohe Erwartungen an mich zu stellen und zu viel zu wollen, hatte ich schon immer. Es hat mich angetrieben, an Grenzen zu gehen. Mental und physisch.
Warum geriet das außer Kontrolle?
Am Anfang meiner Karriere hatte ich sehr schnell großen Erfolg. Als die Titel kamen, wurde das Gefühl noch extremer. So nach dem Motto: „Du hast nur maximal 15 Jahre Karriere, also jetzt gib ihm…“ Als dann die ersten Verletzungen kamen, habe ich anschließend noch härter trainiert und nicht verstanden, dass ich das Rad nicht immer weiter drehen kann. Irgendwann hat es mir dann mein Körper gesagt.
Dabei wirkten Sie stets wie ein Profi, der eine gesunde Distanz zu sich und dem Geschäft hat. An welchem Punkt ging die verloren?
Es war ein Prozess. Ich habe jede Saison mehr trainiert, nach Feierabend und frühmorgens. Irgendwann merkte ich, dass es nicht mehr besser wird und mir wurde klar, dass Erholung mindestens so wichtig ist wie ständiges Training.
Was machen Sie jetzt anders?
Seit gut fünf Jahren sehe ich zu, wirklich auszuspannen, wenn ich im Urlaub bin – und fange nicht nach zwei Tagen wieder an zu trainieren. Und ich versuche, genug Ruhephasen zu bekommen. Die Trainingssteuerung sowie die Belastung- und Regenerationsphasen sind auf diesem Level – besonders in Englischen Wochen – extrem wichtig.
Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass Ihre beiden Profizeiten beim BVB so unterschiedlich waren?
In meinen ersten sieben Profijahren hatte ich nur zwei Trainer: Klopp und Pep. Auch die Teams waren meist weitgehend identisch. Als ich 2016 zum BVB zurückkam, hatte ich in vier Jahren vier Trainer und auch das Personal änderte sich dauernd.
„In vier Jahren nur einmal den Pokal gewonnen. Recht dünn!“
Was meinen Sie?
So eine Fluktuation vereinfacht es weder einem Spieler, noch dem Verein konstant auf hohem Niveau zu spielen. Es spricht auch nicht gerade dafür, dass der Verein weiß, wo er hinwill. In vier Jahren seit 2016 haben wir mit dem BVB nur einmal den Pokal geholt haben. Das ist recht dünn.
Sie hätten 2016 statt zum BVB auch zum FC Liverpool wechseln können.
Ich war sogar in England und Jürgen hat mir sein neues Projekt vorgestellt. Seine Arbeit, seine Einstellung und seine Erfolge sprechen für ihn und machen ihn zu einem der besten Trainer der Welt.
Aber?
Sie müssen sich das so vorstellen: Wo kam ich her? Aus München, wo ich mit Bayern drei Mal das Halbfinale in der Champions League erreicht hatte. Das wollte ich wieder schaffen! Liverpool hatte die Liga auf Platz acht abgeschlossen. Kurzum: In der damaligen Situation schien mir die Wahrscheinlichkeit, mit Borussia mittelfristig die Champions League zu gewinnen, deutlich größer.
Kein Gedanke: Wir bringen die alte Band wieder zusammen?
Natürlich gab es da auch eine emotionale Komponente. Ich dachte an die tolle Zeit unter Jürgen beim BVB und hoffte, etwas Ähnliches zu erleben. Zumal das, was Tuchel in Dortmund angestoßen hatte, sich damals sehr gut entwickelte.