Sandra Starke ist Profifußballerin beim VfL Wolfsburg, deutsche Nationalspielerin – und Typ-1-Diabetikerin. Die 28-Jährige über die chronische Krankheit, ihre Bedeutung für den Leistungssport und wie sie gelernt hat, mit ihr umzugehen.
Sandra Starke, Sie stehen in der Bundesliga für den VfL Wolfsburg auf dem Platz, sind deutsche Nationalspielerin und Typ-1-Diabetikerin. Wenn Sie jemandem erklären müssten, was Diabetes ist, wie würden Sie das tun?
Knapp gesagt: Diabetes ist eine Zuckerkrankheit, von der es zwei Typen gibt. Das ist den Leuten manchmal ein bisschen schwer beizubringen, weil in den Köpfen vieler Menschen Diabetes nur übergewichtige Menschen haben, die sich ungesund ernähren und keinen Sport machen. Bei Typ 2 Diabetes mag das teilweise stimmen. Auf mich als Typ-1-Diabetikerin trifft das aber gar nicht zu. Die Krankheit ist wahrscheinlich angeboren, also oft auch genetisch bedingt. Deshalb ist sie auch nicht so einfach wieder wegzukriegen.
Bei Typ 1 Diabetes produziert die Bauchspeicheldrüse wenig bis gar kein eigenes Insulin mehr. Die Folge ist ein hoher Blutzuckerspiegel, das kann auf Dauer Blutgefäße und Organe beschädigen. Wie wirken Sie dem entgegen?
Ich nutze Insulin, das ich mir täglich selbst spritze, um meinen Blutzucker zu regulieren. Dafür verwende ich einen sogenannten Pen. Von vielen Diabetikern höre ich, dass sie eine Pumpe nutzen, die am Körper befestigt ist, aber das wollte ich nie. Ich habe bereits einen Sensor am Arm, mit dem ich meine Blutzuckerwerte per Handy messen kann und bin froh, dass ich nicht noch mehr am Körper tragen muss.
Technisch hat sich in den letzten Jahren viel in der Diabetes-Forschung getan. Hätten Sie auch vor zehn oder zwanzig Jahren als Typ-1-Diabetikerin im Profifußball unterwegs sein können?
Ich glaube schon, dass das irgendwie möglich gewesen wäre, aber wahrscheinlich hätte es nicht so gut funktioniert wie jetzt. Der Sensor ist eine extreme Hilfe.
Sie haben im März 2018 Ihre Diagnose bekommen. Gab es irgendwelche Anzeichen, dass die Erkrankung vorliegen könnte?
Damals habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Ich hatte zunächst eine Grippe, habe dadurch viel abgenommen und mich nicht gut gefühlt. Als ich wieder mit dem Training angefangen habe, konnte ich gar keine Muskeln mehr aufbauen und hatte Probleme, in die Ferne zu sehen. Die Ärzte dachten zunächst, dass das noch die Nachwehen der Grippe seien, aber es wurde nicht besser. Ich habe extremen Durst bekommen und hatte Heißhunger auf Süßigkeiten. Irgendwann meinte mein Athletiktrainer, ich solle mal zum Arzt gehen, weil ich immer mehr abgenommen habe.
Waren Sie von der Diagnose überrascht?
Ja. Ich wusste zwar, dass etwas nicht stimmt, aber niemand in meiner Familie hat Typ 1 Diabetes. Deswegen war das gar nicht in meinem Kopf.
„Was bedeutet das für mich und was bedeutet das für den Sport?“
Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Mein erster Gedanke war: Was bedeutet das für mich und was bedeutet das für den Sport? Da konnten mir die Ärzte lange nichts zu sagen, weil sie so etwas in Bezug auf Leistungssport auch noch nie hatten. Ich habe aber auch lange gebraucht, um das Ganze wirklich zu verstehen.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert?
Aus meiner damaligen Mannschaft hat jede Spielerin mich mindestens einmal im Krankenhaus besucht. Damals war ich noch beim SC Freiburg und auch der Verein hat mich super unterstützt. Ich wollte aber nicht, dass daraus ein Riesenthema gemacht wird oder dass die Krankheit eine Ausrede ist – gerade am Anfang. Mittlerweile kann ich damit aber besser umgehen und finde es auch nicht schlimm, darüber zu reden. Meine engsten Freundinnen wussten natürlich immer Bescheid, meine Familie auch, aber meine Eltern wohnen zum Beispiel in Namibia. Ich glaube, dass sie das teilweise heute noch nicht richtig realisiert haben, dass ich Typ-1-Diabetes habe, weil ich nicht so oft dort bin. Für sie ist das immer wieder etwas Neues. Aber sie unterstützen mich total gut, genauso wie mein Bruder.
Im Sommer 2021 sind Sie von Freiburg zum VfL Wolfsburg gewechselt. Haben Sie beim Verein eine gewisse Vorsicht gespürt, weil Diabetes im Fußball noch eine große Unbekannte ist?
Nein, gar nicht. Sowas würde ich auch erschreckend finden. Am Anfang habe ich nicht verstanden, warum Sportlerinnen und Sportler nicht sagen sollten, dass sie Diabetes haben. Bis dann mal jemand meinte, dass Vereine auch anders reagieren können. Nach dem Motto: Nein, die verpflichten wir lieber nicht, da könnte ja was passieren. Diese Vorsicht gibt es wahrscheinlich aus Sorge vor einer Hypoglykämie, also einer Unterzuckerung, die vorkommen kann, wenn beispielsweise zu viel Insulin gespritzt wurde. Im schlimmsten Fall kippt man dann einfach weg. Natürlich habe ich vor sowas auch Respekt, aber glücklicherweise ist mir das noch nie passiert.
Seit Sommer 2021 geht Sandra Starke für den VfL Wolfsburg auf Torejagd.
Zumal Sport den Blutzucker auch senken kann und Sie zum Beispiel an einem Spieltag vorher gar nicht sagen können: Spiele ich heute 90 Minuten oder werde ich zehn Minuten vor Schluss eingewechselt. Wie sieht so ein Spieltag also für Sie aus?
Das hat sich für mich in Wolfsburg ein wenig verändert. Ein klassischer Spieltag in Freiburg hat für mich immer vier Stunden vor Anpfiff mit Haferflocken zum Frühstück und der entsprechenden Insulinmenge angefangen. Mein Wert war dann beim Aufwärmen und zu Spielbeginn stabil, aber ich hätte auf jeden Fall die Möglichkeit gehabt, im Zweifelsfall noch zu reagieren. Ich habe immer versucht, vor und auch während des Spiels viel Wasser zu trinken, in der Halbzeitpause gab es meist eine Banane, manchmal habe ich auch dann noch Insulin nachgespritzt. Das war eigentlich meine Routine.
Und in Wolfsburg?
Da frühstücken wir gemeinsam bei Heimspielen vorher im Hotel. Als ich die ersten Male in der Startelf stand, war das für mich zunächst ein innerer Kampf, weil wir uns drei Stunden vor Spielbeginn getroffen haben und nicht vier. Am Anfang habe ich sogar noch zuhause gegessen und dann im Hotel nichts mehr, aber wir frühstücken als Mannschaft auch bei Auswärtsspielen zusammen und auf dem Hotelzimmer kannst du dir schlecht was zu essen machen. Deswegen habe ich mir gesagt: Du musst das jetzt auch so hinkriegen. Es ist aber auch einfacher, wenn ich von Anfang an spiele, denn wenn ich nicht in der Startelf stehe, muss ich das anders berechnen. Werde ich zum Beispiel in der Halbzeitpause eingewechselt, dann spritze ich nochmal kurz Insulin und esse etwas Kleines. Wenn ich wiederum nur zehn Minuten auf dem Feld stehe, dann mache ich dahingehend eigentlich nichts. Ich bin da auch noch ein wenig in der Findungsphase und tausche mich mit dem Mannschaftsarzt, aber vor allem mit meiner Diabetes-Beraterin aus. Das ist Ulrike Thurm. Sie betreut einige Leistungssportler mit Diabetes. Dadurch konnte ich auch Kontakte knüpfen.
Kontakte zu weiteren Sportlerinnen und Sportlern mit Diabetes?
Genau, zum Beispiel zu Timur Oruz, einem deutschen Hockey-Nationalspieler. Er ist schon seit Jahren ein bekanntes Gesicht, wenn es um das Thema Leistungssport mit Diabetes geht. Mit ihm habe ich mich oft ausgetauscht und er hat mir gerade am Anfang wertvolle Tipps gegeben.
Was für Tipps waren das?
Er hat mir durch seine Geschichten ein wenig die Angst genommen. Ich hatte zu Beginn Panik, dass ich wegen Diabetes umkippen könnte und er meinte: „Nein, als Leistungssportler hast du ein sehr gutes Körpergefühl und du merkst ganz genau, was gerade passiert.“ Bei ihm konnte ich sehen, wie weit er trotz Diabetes im Sport gekommen ist. Das war eine Motivation für mich.