Der VfB Stuttgart hat Tim Walter als Cheftrainer für die kommende Saison vorgestellt. Wir sprachen vor wenigen Wochen mit ihm über seine Spielidee, die Entwicklung von Holstein Kiel und warum sich seine Spieler quälen müssen.
Auf welche Eigenschaften Ihrer Spieler legen Sie wert?
Dass sie bereit sind, sich zu quälen. Dass sie sich in Verzicht üben und notfalls auch private Themen vernachlässigen. Dass sie ihr Leben danach ausrichten, alles für das große Ziel zu tun.
Also genau das, was Sie nicht getan haben.
Stimmt. Deshalb habe ich nie Profifußball gespielt.
Ein Trainer, der nie höherklassig Fußball gespielt hat, auf einem Trainingsplatz mit 23 Zweitligaprofis. Wird das nicht irgendwann zu einem Problem?
Um das klarzustellen: Wenn ich mit den Jungs 5‑gegen‑2 spiele, dann kann ich schon mithalten. Aber ich glaube nicht, dass es für einen Trainer entscheidend ist, wie er als Spieler war. Entscheidend ist die Vermittlung. Ich habe es immer vermisst, dass mich mal einer in den Arm nimmt. Ich kann als Trainer hart sein, aber im alltäglichen Umgang bin ich doch ein Teil ihres Lebens. Das Zwischenmenschliche, der Umgang mit den Jungs, ist entscheidend.
Also ist es nur folgerichtig, dass Trainer neuerdings eher keine Profikarriere vorweisen?
Wichtiger ist, ob der Trainer früher selbst defensiv oder offensiv gespielt hat. Kreativ, arbeitend oder verteidigend. Weil sich das auf den eigenen Spielstil auswirkt.
Auf welcher Position haben Sie gespielt?
Anfangs immer defensiv. Aber zum Ende meiner Karriere habe ich offensiv gespielt, und das lag mir bedeutend besser. Da konnte ich meine Kreativität ausspielen, mich ausleben. Das hat mir gelegen. Und so ist auch meine Spielphilosophie ausgelegt: Fußball spielen.
Zur Mitte der Hinrunde, nach dem 4:4 gegen den SC Paderborn, schrieb der „Paderball“…
Oh, der Text war toll. Den habe ich gern gelesen.
Der einleitende Satz lautet: „Holstein Kiel hat komplett die Vernunft verloren… Und es ist wunderbar!“ – Fasst das Ihre Spielidee treffend zusammen?
Wunderbar, ja. Aber unser Spiel ist auch vernünftig. Ich würde es als „Mut“ bezeichnen. Oder wie viele dann sagen: Risiko. Aber Mut ist einfach das Vertrauen in seine eigene Stärke. Ich vertraue meiner Mannschaft und deshalb ist es vernünftig, was wir machen.
War die Analyse trotzdem stimmig?
Dass sich ein Mensch so viel Mühe macht, fand ich unglaublich toll. Unser Spiel so zu sezieren, daran würde ich nicht einmal im Traum denken.
Warum?
Blogger und Taktiknerds denken manchmal viel zu weit. Im Fußball geht es oftmals nur um Prinzipien und Leitlinien. Auf dem Platz sind es dann Kleinigkeiten, wie eine optimale Ballannahme oder die Spielfortführung, die wir gar nicht beeinflussen können. Die Analyse trifft viele Punkte sehr gut. Aber bei manchen Dingen denke ich auch: Okay, das ist jetzt weit hergeholt.
Wie gehen Sie vor?
Ich schaue nur auf meine Jungs.
Kürzlich hielt Leeds’ Trainer Marcelo Bielsa eine beispiellose Pressekonferenz, in der er verriet, dass er für jeden Gegner 300 Stunden Videomaterial sammeln würde.
Wenn ich das machen würde, könnte ich mich nicht ausreichend um meine eigene Mannschaft kümmern. Ich gehe komplett anders an die Sache ran. Ich will sehen, wie die Jungs individuell reagieren, welche Abläufe wir trainieren müssen. Es ist viel wichtiger, dass ich unser eigenes Videomaterial sichte, als den Gegner so auseinander zu nehmen.
Bielsa sagt, er könne nur so – in dem Wissen, alles getan zu haben – beruhigt zu einem Spiel fahren.
Kann man so machen. Aber da geht es ihm ja dann nur um seine eigene Person. Für mich ist aber wichtiger, dass die Spieler beruhigt sind. Nein, da nutze ich die Zeit lieber und beschäftige mich mit meinen Jungs.