Mesut Özil tritt aus der Nationalmannschaft zurück – und erhebt schwere Vorwürfe gegen DFB-Präsidenten Reinard Grindel. Hier lest ihr sein Statement im Wortlaut.
Was mich in den letzten Wochen am meisten frustriert hat, ist die schlechte Behandlung des DFB, insbesondere von DFB-Präsident Reinhard Grindel. Nach meinem Foto mit Präsident Erdogan bat mich Joachim Löw, meinen Urlaub zu unterbrechen und nach Berlin zu kommen, um ein Statement abzugeben und die Dinge richtig zu stellen. Während ich versuchte, Grindel meine Herkunft und meine Gründe für das Zustandekommen des Fotos zu erklären, war er viel eher daran interessiert, über seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung herabzusetzen.
Obwohl ich das als herablassend empfand, kamen wir zu dem Schluss, dass es das beste wäre, sich auf den Fußball und die nahende Weltmeisterschaft zu konzentrieren. Aus diesem Grund nahm ich nicht am DFB Media Day während der Vorbereitungsphase auf die WM teil. Ich wusste, die Journalisten würden über Politik und nicht Fußball sprechen und mich attackieren, obwohl Oliver Bierhoff in einem TV-Interview vor dem Spiel gegen Saudi Arabien in Leverkusen die Debatte für beendet erklärt hatte.
Grindel ist stark unter Druck geraten, und das völlig zu Recht
Etwa zu dieser Zeit traf ich auch den deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier. Anders als Grindel war Steinmeier professionell und hatte tatsächlich Interesse daran, was ich über meine Familie, meine Herkunft und meine Entscheidungen zu sagen hatte. Das Treffen war nur zwischen mir, Ilkay (Gündogan, Anm. d. Red.) und Bundespräsident Steinmeier, und Grindel war verärgert darüber, dass er nicht daran teilhaben durfte, um seine eigene politische Agenda zu propagieren. Ich kam mit Bundespräsident Steinmeier überein, dass wir eine gemeinsame Stellungnahme zur Thematik veröffentlichen würden, als ein weiterer Versuch, das Thema abzuschließen und uns auf den Fußball zu konzentrieren. Aber Grindel war verärgert, dass nicht sein Team das erste Statement veröffentlichte und dass Steinmeiers Team in dieser Thematik das Sagen hatte.
Seit dem Ende der WM ist Grindel wegen seiner Entscheidungen im Vorfeld des Turniers stark unter Druck geraten, und das völlig zu Recht. Unlängst forderte er von mir öffentlich, meine Handlungen ein weiteres Mal zu erklären, und gleichzeitig machte er mir Vorwürfe für die schlechten Mannschaftsleistungen bei der WM in Russland. Obwohl er in Berlin gesagt hatte, dass das Thema beendet sei.
Gibt es Kriterien, um ein echter Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle?
Ich spreche hier und jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will. Ich werde nicht als der Sündenbock für seine Inkompetenz herhalten, und dafür, dass er seine Arbeit nicht ordentlich macht. Ich weiß, dass er mich aus der Mannschaft entfernt haben wollte, nachdem das Foto aufgetaucht war, was er ja auch bei Twitter kundtat, ohne nachzudenken oder Rücksprache zu halten. Doch Joachim Löw und Oliver Bierhoff stellten sich vor mich und unterstützten mich. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und Immigrant, wenn wir verlieren. Und obwohl ich hier Steuern zahle, Schulen finanziell unterstütze und mit Deutschland 2014 die WM gewonnen habe, bin ich in der Gesellschaft nicht akzeptiert. Ich werde behandelt als jemand, der anders ist. Ich habe 2014 den Integrations-Bambi bekommen, als Beispiel für die erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft. Ich habe 2014 das Silberne Lorbeerblatt der Bundesrepublik Deutschland erhalten und ich war ein „German Football Ambassador“ 2015. Aber klar, ich bin kein Deutscher …? Gibt es Kriterien, um ein echter Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle?