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Seite 4: „Ich habe nicht ans Biertrinken gedacht“

Hätte dieses Spiel über­haupt einen Sieger ver­dient gehabt? 
Eigent­lich nicht. Doch ich glaube, wenn es ein Elf­me­ter­schießen oder eine Ver­län­ge­rung gegeben hätte, wären wir als Gewinner vom Platz gegangen. Ich fand es damals ziem­lich frus­trie­rend, dass es an diesem Abend keine Ent­schei­dung geben konnte. 

Das Wie­der­ho­lungs­spiel verlor Schalke in Mün­chen mit 2:3. Hätten Sie im Nach­hinein das erste Spiel lieber 1:0 gewonnen oder ist Ihnen die Erfah­rung dieses epo­chalen Spiels wich­tiger gewesen? 
Es war mir damals schon bewusst, dass dieses Spiel, so wie es letzt­lich gelaufen ist, viel bedeu­tender sein wird – für die Mann­schaft und auch für mich per­sön­lich –, als wenn wir gewonnen hätten. Des­wegen hätte ich die Erfah­rung dieses 6:6‑Spiels nie gegen einen schnöden 1:0‑Sieg ein­ge­tauscht.

Auch wenn Sie viel­leicht den DFB-Pokal gewonnen hätten? 
Und was wäre gewesen, wenn wir dann im Finale ver­loren hätten? Ich mag solche Gedan­ken­spiele nicht. Das ist alles rein hypo­the­tisch. Ich behalte bis heute ein­fach dieses 6:6 in meinem Herzen und freue mich, dass ich bis zu meinem Lebens­ende dar­über phi­lo­so­phieren kann. (lacht)

Inwie­fern war denn dieses 6:6 für den FC Schalke 04 von hoher Bedeu­tung?
Das Spiel rüs­tete uns für die 1. Bun­des­liga, es war die Gene­ral­probe. Zumin­dest glaubten wir das. Als wir in der 1. Liga spielten, wurden wir tat­säch­lich ein wenig auf den Boden der Rea­lität geholt. Die erste Saison schlossen wir als Achter ab, die zweite als Zehnter. Wir wurden suk­zes­sive durch­ge­reicht. Bis Schalke 04 dann, nach der Saison 1987/88, wieder abstieg. Den­noch wurde uns nach diesem 6:6 klar, dass, wenn wir in Top­form sind, mit jeder Mann­schaft mit­halten können.

Sie wurden einen Tag vor diesem Pokal-Halb­fi­nale 18 Jahre alt. Wie berei­tete Sie Trainer Diet­helm Ferner auf das Spiel vor? 
Ich war natür­lich noch längst kein gestan­dener Profi, doch auch nicht so frisch und naiv, wie vielen annahmen. In der Zweit­li­ga­saison 1983/84 machte ich alle Spiele – und erzielte dabei 14 Tore. Ich war zu dem Zeit­punkt ein gesetzter Spieler, ein Stamm­spieler. Zudem hatte ich das Glück, auf viele ältere und erfahre Spieler zu treffen, etwa die drei Köpfe des Teams: Ber­nard Dietz, Manni Drexler oder Klaus Täuber. Dann waren da noch Michael Jakobs oder Peter Stichler. An diesen Spie­lern konnte man sich als junger Spieler anlehnen. Der Trainer brauchte nicht mehr viel sagen – wir haben uns fast selbst gecoacht. 

Heute wird immer wieder davon gespro­chen, junge Spieler behutsam auf­zu­bauen. Sie wurden sofort ins kalte Wasser geworfen: Würden Sie dies rück­bli­ckend als positiv bewerten?
Ich hatte den Vor­teil, dass ich meine erste Saison in der 2. Bun­des­liga spielte. Das war mein Lehr­jahr. Und es war ein­fa­cher als heute. Junge Spieler stehen heute von Anfang in steter Kon­kur­renz zu sehr starken Aus­län­dern, die oft­mals Natio­nal­spieler ihrer Hei­mat­länder sind. Den ein­zigen Aus­länder, den wir damals in der Mann­schaft hatten, war Pavel Macak, der zweite Tor­wart hinter Walter Jung­hans. 

War es für Sie auch vor­teil­haft, dass damals das mediale Inter­esse nicht so groß war wie heute? 
Es war schon ein Inter­esse da. Doch bei weitem nicht so groß, das ist richtig. Außerdem habe ich anfangs bewusst kaum Inter­views gegeben. Als junger Spieler bat ich Rudi Assauer mich von Anfragen unbe­hel­ligt zu lassen, denn ich fühlte mich mit 17 oder 18 Jahren noch nicht bereit für Inter­views. Nachdem ich etwas Rou­tine für das Bun­des­li­ga­ge­schäft ent­wi­ckelt hatte, nahm ich auch Ein­la­dungen zu Fern­seh­ter­minen wahr. Zum Bei­spiel zu einem Inter­view mit Ernst Huberty im WDR, dann folgte das Sport­studio. Alles wurde vorher abge­spro­chen, schön dosiert und gut vor­be­reitet. 

Auf dem Platz waren Sie von Beginn an bei jedem Spiel dabei. Hielten Sie sich mit Ihren 17 oder 18 Jahren anfangs noch zurück? 
Nein, denn ich wusste, dass ich mit­halten konnte. Das merkte ich im Trai­ning. Vor Spielen wie dem Pokal-Halb­fi­nale 1984 darfst du nicht vor Respekt in Ehr­furcht ver­sinken, weil da viel­leicht deine alten Stars rum­laufen. Ich konnte mich schon als junger Spieler mit gestan­denen Profis wie Karl-Heinz Rum­me­nigge oder Karl­heinz Förster richtig zoffen. Natür­lich war die 1. Bun­des­liga totales Neu­land für mich. Da kommt etwa ein Uli Borowka noch vor dem Anpfiff zu mir und sagt: Wenn du an mir vorbei willst, brech’ ich dir die Beine!“ Das war natür­lich nicht ernst gemeint – eine typi­sche Kampf­an­sage. Ich konnte das richtig ein­ordnen, denn die 2. Liga war eine harte Schule für mich…

Was machten Sie eigent­lich nach dem Spiel? 
Sie meinen, nachdem mich die Fans wieder von Ihren Schul­tern ließen? Ich fuhr zu meiner Freundin, meiner heu­tigen Frau. Dort war­teten Freunde und Ver­wandte auf mich. Ich sagte: Guten Abend.“ Die Leute applau­dierten und beglück­wünschten mich. Dann sagte ich: Danke, das Spiel hat Spaß gemacht.“ Diese Feier, wenn man sie so nennen will, dau­erte gerade einmal fünf Minuten. Als ich zu Hause war, legte ich mich sofort ins Bett. Ich habe nicht ans Bier­trinken oder die große Sause gedacht. Eigent­lich habe ich das gar nicht richtig genießen können. Aber das weiß ich erst heute. (lacht)

Sie haben das Spiel für sich im Stillen ver­ar­beitet? 
Ja. Ich habe am nächsten Tag lange geschlafen, natür­lich ließ ich dieses Erlebnis ein wenig Revue pas­sieren. Aber es ging dann sehr schnell weiter. Die Saison lief zu Ende, wir spielten drei Tage später gegen Wat­ten­scheid. Dann stand natür­lich das Wie­der­ho­lungs­spiel an, wenig später wurde ich Natio­nal­spieler. Es blieb mir eigent­lich gar keine Zeit, dass Spiel lange zu ver­ar­beiten.

Haben Sie in Ihrer Kar­riere eigent­lich ein Spiel erlebt, das annä­hernd die Dra­matik dieses Halb­fi­nales erreichte? 
Nein. Das UEFA-Cup-Finale in Mai­land 1997 war natür­lich auch span­nend. Doch es hatte nicht diese dra­ma­ti­schen Brüche wie das Spiel gegen Bayern. Das Halb­fi­nale der WM 1990 war ein eben­sol­ches High­light für mich, auch weil ich den ent­schei­denden Elf­meter ver­wan­delte.

Auf wel­ches Spiel werden Sie denn am häu­figsten ange­spro­chen?
Ver­mut­lich auf das Spiel gegen Bayern. Es waren zwar nur 70.000 Fans im Sta­dion, doch manchmal habe ich das Gefühl, dass die halbe Welt dort gewesen ist. Wer mir nicht schon alles erzählte, hautnah am Spiel­feld gestanden zu haben. (lacht) Viel­leicht ist dieses Spiel wirk­lich so eines, von dem sich jeder Fuß­ballfan wünscht, dabei gewesen zu sein. Es ein­fach das beste Pokal­spiel aller Zeiten.