Es gab eine Zeit, da konnte Schalke in einem einzigen Spiel gegen den FC Bayern sechs Tore erzielen. Olaf Thon wird heute 55 Jahre alt. Hier spricht er über die vielleicht spektakulärste Partie seiner Karriere.
Im 11FREUNDE-SPEZIAL „Spiele unseres Lebens“ erzählen wir von vergessenen Krachern und epischen Schlachten. Von Spielen wie dem 6:6 zwischen Schalke und Bayern, in dem Olaf Thon über Nacht zum Helden wurde. Das Heft gibt es hier bei uns im Shop.
Olaf Thon, haben Sie Rolf Töpperwien verziehen?
Wieso?
Nach dem Spiel stellte Töpperwien Sie vor laufenden Kameras als Bayern-Fan bloß.
(lacht) Ach, darauf wollen Sie hinaus. Ja, das stimmt. Töpperwien hatte irgendwie herausgefunden, dass ich als kleiner Junge in rot-weißer Bayern-Bettwäsche schlief – obwohl das eigentlich nur meine Eltern wussten. Natürlich sprach er mich drauf an, eine bessere Gelegenheit hätte es ja kaum geben können.
Gab es Schelte der S04-Fans?
Nicht an diesem Abend, ich schoss ja drei Tore im Spiel. Aber später durfte ich mir gelegentlich den einen oder anderen Spruch anhören. Doch damit muss man als Profi umgehen können – und dazu muss man dann auch stehen.
Wie wird man in Gelsenkirchen überhaupt zum Bayern-Fan?
Ich war sechs Jahre alt und liebte Gerd Müller. So einfach war das. Ich liebte offensiven Fußball, ich liebte Tore, große Spiele und dramatische Wendungen. Und Gerd Müller war in solchen Spielen stets mittendrin, meist als Matchwinner. Spätestens nach dem WM-Finale von 1974, in dem Gerd Müller das Siegtor gegen die Niederlande schoss, war dann klar: Gerd Müller ist mein Held und der FC Bayern mein Club – vorerst.
Schalke hatte doch auch großartige Stürmer.
Das stimmt. Klaus Fischer zum Beispiel. Der sitzt heute bei Heimspielen ein paar Plätze neben mir und weiß, dass er meine Nummer 2 ist. Auf Gerd Müller lasse ich aber auch heute noch nichts kommen. (lacht)
1988, vier Jahre nach diesem legendären 6:6‑Spiel, wechselten Sie zum FC Bayern. Ging damals für Sie ein Traum in Erfüllung?
Zu der Zeit tendierte ich eher zu einem Wechsel ins Ausland. Mailand oder Madrid – um es mit Möller zu sagen: Hauptsache Italien. (lacht) Mir lagen Angebote aus Genua und von Atlético Madrid vor. Und ein lang gehegter Traum von mir war es, eines Tages für den AC Mailand zu spielen.
Waren Sie nicht glücklich über den Wechsel nach München?
Doch, natürlich. Gerade wenn man bedenkt, dass es in meiner Kindheit genau zwei Vereine gab, für die ich schwärmte: Schalke 04 und den FC Bayern. Wer kann heute schon sagen, dass er für die Vereine spielt, von denen er seit jeher Fan ist? Ich habe sechs Saisons in München gespielt und wurde in dieser Zeit dreimal Deutscher Meister. Es wurden sehr schöne Jahre, genauso schön, wie Uli Hoeneß es mir in unserem ersten Gespräch versprach.
Der damalige Bayern-Coach Udo Lattek hätte Sie am liebsten direkt nach dem Pokal-Halbfinale verpflichtet. Kam er nach dem Spiel zu Ihnen?
Nein. Ich war aber auch schwer auffindbar, denn die Fans ließen mich nicht mehr von ihren Schultern. Ich drehte fast eine Stunde lang Ehrenrunden im Parkstadion. Die Bayern-Spieler standen derweil konsterniert und ratlos an der Linie oder verschwanden in den Katakomben. Und Udo Lattek gab ein Interview und sagte in etwa: „Für den Jungen würde ich sofort zehn Millionen Mark hinlegen.“ Als ich 1988 nach München ging, bezahlten sie nur vier Millionen. Ich war also ein richtiges Schnäppchen. (lacht)