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Seite 2: „Steffen Freund gewinnt jeden Krieg für dich“

Wie sind Sie zu Ihrem Glauben gekommen?
Durch Jor­g­inho, meinen Mit­spieler bei Bayer Lever­kusen. Als ich sah, wie dieser Mensch wirk­lich jeden Men­schen mit der glei­chen Freund­lich­keit und Güte behan­delte und dabei keinen Unter­schied machte, ob es sich nun um Reiner Cal­mund oder die Putz­frau han­delte, war ich fas­zi­niert. Ich beglei­tete ihn zu den von ihm ins Leben geru­fenen Bibel­kreisen und ent­deckte, was für einen Reichtum mir der uner­schüt­ter­liche Glauben in jeder Lebens­lage ein­brachte. Wäh­rend meiner Krebs­er­kran­kung habe ich davon sehr pro­fi­tiert.

Was hat Sie in dieser Zeit auf­ge­hei­tert?
Meine Frau war mit unserem ersten Kind schwanger. Die Vor­freude auf meine Tochter hat mich häufig aus den Löchern der Depres­sion befreit. Wobei: Dass ich meiner Frau in dieser für Sie so anstren­genden Zeit keine Hilfe sein konnte, noch schlimmer, selbst ein Pfle­ge­fall war, bedaure ich bis heute. Eine Frau ist eben nur einmal schwanger mit dem ersten Kind.

Wann hatten Sie das Schlimmste über­standen?
Die Bestrah­lung dau­erte ein halbes Jahr. Ein Vier­tel­jahr benö­tigte ich, um mich phy­sisch und psy­chisch wieder eini­ger­maßen zu erholen. Meine Tochter wurde geboren und der Tumor war tat­säch­lich geschmolzen, wie es mir die Ärzte pro­phe­zeit hatten. Von da an ging es wieder bergauf.

Am 15. Sep­tember 2001 fei­erten Sie schließ­lich Ihr Come­back: Beim Derby gegen Schalke wurden Sie nach 77 Minuten ein­ge­wech­selt. Wie befreiend war es, wieder auf dem Platz zu stehen?
Befreiend ist viel­leicht das fal­sche Wort. Pro­fi­fuß­ball war für mich immer knall­harte Maloche, meine Exis­tenz. Auf dieses Come­back hatte ich hin­ge­ar­beitet. Es war eine Genug­tuung.

Überall, wo Sie in diesen Monaten auf­tauchten, emp­fingen Sie Fans beider Lager mit einem warmen Applaus.
Kurz nach der Bekannt­gabe meines Wech­sels von Borussia Mön­chen­glad­bach zu Borussia Dort­mund 1995 wurde ich von der Bild“-Zeitung als geld­geiler Sack abge­stem­pelt, in meinem ersten Jahr mit dem BVB wurde ich in jedem Sta­dion beschimpft. Obwohl ich mich meiner Mei­nung nach absolut kor­rekt ver­halten hatte. Jetzt, nach meinem Come­back, bekam ich plötz­lich lan­des­weite Aner­ken­nung für etwas, was ich selbst gar nicht beein­flusst hatte, son­dern fähige Ärzte. Irgend­wann gleicht sich alles wieder aus.

Sie wirken sehr sach­lich und distan­ziert, wenn Sie über Ihr Come­back oder das Dasein als Profi spre­chen. Ich hätte nost­al­gi­schere Gefühle erwartet.
Die habe ich auch. Aber nicht, wenn ich an Tore, Titel oder große Spiele denke. Das ist Schnee von ges­tern.

Son­dern?
Die Stim­mung kurz vor dem Spiel. Wenn du mit deiner Mann­schaft in der Kabine sitzt, draußen die Masse bro­delt und es gleich gemeinsam in die Schlacht geht. Es stinkt nach Angst­schweiß. Du schaust nach rechts, da sitzt einer, hat die Augen geschlossen, hört Musik und ist im Tunnel. Links von dir hat ein Kol­lege die nackte Angst in den Augen. Und gegen­über sitzt ein Steffen Freund, du schaust ihm in die Augen und weißt, wer für dich den Krieg da draußen gewinnen wird.

Das klingt sehr mar­tia­lisch.
So habe ich es aber wahr­ge­nommen: als Krieg. Kennen Sie die Eröff­nungs­szene in Der Soldat James Ryan“, in der die Sol­daten in den Lan­dungs­booten stehen und warten, dass die Luke run­ter­ge­lassen wird? Die Stim­mung in der Kabine vor einem großen Spiel lässt sich damit durchaus ver­glei­chen. Ich erin­nere mich gerne daran.

Sie haben nach Ihrem Come­back nie wieder zur alten Form finden können und been­deten 2004 Ihre Kar­riere. Wie sehr hat der Krebs in diesen Jahren eine Rolle in Ihrem Leben gespielt?
Es hat gedauert, bis ich mich von den Spät­folgen der Erkran­kung erholt hatte. Psy­chisch, nicht phy­sisch. Natür­lich hatte ich Angst, dass der Krebs zurück­kehren könnte. Kurz nach meiner Gene­sung füllte ich mit unserem Mann­schafts­arzt einen Fra­ge­bogen bezüg­lich der Inva­li­dität aus. Er klärte mich auf, dass ich für den Rest meines Lebens offi­ziell als chro­nisch krank gelten werde. Das haut schon rein. Ich musste mich auch ander­weitig neu ori­en­tieren. Früher bin ich schon durch­ge­dreht, wenn ich ein Trai­nings­spiel verlor. In den ersten Monaten nach dem Come­back dachte ich: Was ist schon so ein ver­lo­renes Übungs­spiel dagegen, dass du wei­ter­leben darfst?“ Mit so einer Ein­stel­lung bist du aller­dings nicht gesell­schafts­fähig, gerade im Pro­fi­fuß­ball.

Sie wurden Trainer, arbei­teten in Dort­mund, für den DFB, in Bochum, Unter­ha­ching und für die U17 des FC Bayern. Welche Erkennt­nisse aus Ihrer aktiven Kar­riere wollten Sie an den Nach­wuchs wei­ter­geben?
Ich sagte meinen Jungs immer: Es gibt für mich vier Leis­tungs­fak­toren: Technik, Taktik, Ath­letik und Per­sön­lich­keit.“ Die Per­sön­lich­keit ist häufig ent­schei­dend, ob ein Spieler den Sprung zu den Profis schafft. Du kannst noch so talen­tiert sein, wenn du in diesem Sport nur an dich denkst, hast du schon ver­loren. Eine erfolg­reiche Mann­schaft besteht für mich aus elf Die­nern – da will jeder dem anderen helfen. Steffen Freund war für mich der Inbe­griff des Die­ners. In meiner ersten Zeit als U19-Trainer von Borussia Dort­mund sprach ich häufig von der Steffen-Freund-Men­ta­lität“. Das kann ich heute leider nicht mehr machen.

Warum?
Weil die Jungs dann mit den Augen rollen und denken: Jetzt erzählt der Trainer wieder vom Mit­tel­alter!“ (Lacht.) Das ver­mittle ich heute anders. Indem ich zum Bei­spiel immer mit anpacke, wenn die Tore vom Platz geschleppt werden müssen. Da stehen dann die ver­wöhnten Teen­ager und gucken mich schräg an. Ich sage: Ruh dich ruhig aus, ich habe kein Pro­blem damit.“ Dann haben die Spieler ver­standen.

Haben Sie heute noch Angst vor dem Krebs?
Nein. Die letzte Unter­su­chung hatte ich vor drei Jahren. Ich bin viel­leicht nicht mehr so unbe­küm­mert wie vor der ersten Dia­gnose, aber das macht nichts. Ich habe vieles gewonnen durch die Krank­heit. Vor allem die all­täg­liche Dank­bar­keit dafür, wenn die Men­schen um mich herum gesund sind. Alles andere ist ohnehin zweit­rangig. Sehen Sie: Ich war Cham­pions-League-Sieger, Welt­po­kal­sieger, Natio­nal­spieler, Fuß­ball­profi mit einem gut gefüllten Konto. Dann wurde ich krank und wollte nur noch über­leben.

Das haben Sie zum Glück geschafft.
Und des­halb darf ich mich in meinem Leben über man­gelndes Glück eigent­lich nie wieder beschweren.