2005 war Florian Müller das große Talent im deutschen Fußball. Er gewann die erste Fritz-Walter-Medaille, doch dann folgte der Absturz. Heute kann er nicht mal mehr im Park kicken.
Florian Müller, Sie sind der erste Nachwuchsspieler, der 2005 die Fritz-Walter-Medaille erhielt. Haben Sie die noch?
Die liegt irgendwo im Schrank. (Lacht.) Ich weiß gar nicht, wo die genau ist. Aber es gibt sie auf jeden Fall noch. Ich habe sie nur weggepackt, weil ich Abstand vom Fußball brauchte. Die Urkunde aber hängt eingerahmt bei mir zuhause. Die sehe ich jeden Tag.
Wie haben Sie damals von der Auszeichnung erfahren?
Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube die Einladung zur Verleihung kam per Brief. Aber ich konnte nicht hin, weil wir da ein Spiel hatten. Auch bei Bayern ist es untergegangen, da hat mir auch kaum einer gratuliert. Im Nachhinein ist es schade, dass ich den Moment nicht so genießen konnte, wie man es hätte machen sollen.
Was hat Ihnen die Medaille bedeutet?
Es war die Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin und es sportlich gut läuft. Aber ich wusste damals selbst nicht, was diese Medaille für einen Stellenwert hat. Es war ja das erste Mal, dass sie vergeben wurde.
Sie sind der einzige Goldmedaillengewinner in Ihrer Altersklasse, der danach nicht ein einziges Bundesligaspiel bestritten hat.
Echt? Das wusste ich gar nicht. Mein Ziel war natürlich ein anderes. Aber leider war es für mich zu früh vorbei mit dem Fußball. Sonst hätte ich noch ein paar Jahre gehabt, um es in die Bundesliga zu schaffen.
Dabei sah Ihre Zukunft zunächst sehr rosig aus. Sie wechselten in dem Jahr, in dem Sie die Medaille gewannen, von Union Berlin zum FC Bayern. Was passierte nach dem Wechsel?
Die zwei Jahre bei Bayern liefen sportlich nicht so gut. Man hatte natürlich einen gewissen Druck und es wurden gute Leistungen von einem erwartet. Ich habe aber nicht so viel Spielzeit bekommen.
Warum?
Das Problem war, dass oft zu Zeiten trainiert wurde, in denen ich zur Schule musste, um mein Abitur zu machen. Das war eigentlich anders abgesprochen. So habe ich im ersten Jahr viele Trainingszeiten bei den Amateuren verpasst und vor allem in der A‑Jugend mittrainiert.
Wie kamen Sie mit Ihrem damaligen Trainer Hermann Gerland zurecht?
Er ist ein sehr spezieller Trainer und für mich war er in der Situation der falsche. Es war insgesamt einfach der falsche Verein zu dem Zeitpunkt. Aber so etwas weiß man vorher nicht.
Warum sind Sie denn nach München gegangen?
Bayern München war – warum auch immer – mein Lieblingsverein damals und als das Angebot kam, war für mich klar, dass ich dahingehe. Es war für mich eine Ehre, auch wenn es leider nicht geklappt hat.
Nach zwei Jahren wechselten Sie in die Regionalliga zum 1. FC Magdeburg.
Dieser Wechsel war für mich gut, weil ich da viel gespielt habe. Außerdem hatte ich das Vertrauen vom Trainer, sodass auch mein eigenes Selbstvertrauen wiederkam. Nach einem Jahr erhielt ich dann die Chance bei Alemannia Aachen in der Zweiten Liga. Ich hatte mich wieder aus dem Loch heraus gekämpft und war auf dem richtigen Weg. Aber dann kam die Verletzung.
Was ist passiert?
Am Anfang der zweiten Saison in Aachen habe ich mich bei einem Spiel gegen Union Berlin verletzt. Kreuzbandriss, Innenbandanriss und Meniskusriss.
Wie haben Sie reagiert?
Ich hatte starke Schmerzen und wusste, dass es etwas Schlimmes ist. Als ich am nächsten Tag die Diagnose hatte, war es ein Schock. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ein Kreuzbandriss ja inzwischen eine Standardverletzung ist und man ca. ein halbes Jahr nicht spielen kann. Insofern habe ich relativ schnell wieder den Fokus auf die Reha gesetzt. Mein Ziel war, ab der Sommervorbereitung wieder dabei zu sein.
Ein Jahr später rissen Sie sich wieder das Kreuzband, wieder im gleichen Knie.
Das war richtig übel. Es hatte zwar schon andere Spieler gegeben, die das überstanden hatten, aber bei mir war in der Reha von Anfang an der Wurm drin. Das Knie ist immer wieder dick geworden und hat geschmerzt. Ich war anderthalb Jahre in der Reha, aber es konnte mir keiner sagen, warum das Knie bei jeder Belastung so heftig reagierte.
War Ihnen klar, dass dies das Ende Ihrer Karriere ist?
Ich habe es noch mal probiert und einen neuen Vertrag für die dritte Liga unterschrieben, aber das Problem war, dass das Knie im Laufe der Woche immer dicker wurde. Ich habe es zunächst verdrängt und mir eingeredet, dass es wieder gut wird. Aber nach einem halben Jahr habe ich gemerkt: Es geht nicht mehr.
Gab es eine bestimmte Situation, in der Ihnen das klar wurde?
Bei einem Spiel hatte ich wieder sehr starke Schmerzen und das war für mich das Zeichen, aufzuhören. Ich konnte einfach nicht mehr die gleiche Leistung wie früher bringen. Es fehlten ein paar Prozent, um mithalten zu können. Und das frustriert einen nur, weil man ja einen gewissen Anspruch an sich selber hat.
Wie ging es nach dem Karriereende mit Ihnen weiter?
Meine Freundin und ich haben erst mal eine Weltreise für elf Monate gemacht. Es ging darum, rauszukommen und den Kopf frei zu bekommen. Wir sind mit dem Rucksack losgezogen und haben die Welt erforscht.
Hat es mit dem Abschalten geklappt?
Ich hätte gedacht, dass es einfacher wird. Die Reise war zwar eine gute Ablenkung, weil man andere Leute kennenlernt und tolle Erfahrungen macht, aber immer wenn wir Internet hatten, habe ich trotzdem nach den Ergebnissen geguckt. Ich war noch so im Fußball drin und wollte wissen, wie die Mannschaften spielen und wer die Tore schießt. Wenn man mit sechs anfängt und nichts anderes macht, als Fußball zu spielen, ist es schwer, komplett den Cut zu schaffen.
Ihr Karriereende ist drei Jahre her. Haben Sie mit dem, was Ihnen passiert ist, inzwischen abschließen können?
Noch nicht ganz. Dafür denke ich noch zu viel an alte Spiele und das, was man erlebt hat, zurück. Ich gucke auch nicht jeden Tag Fußball, weil da laufen noch zu viele herum, die ich selber kenne. Da denkt man: „Das könnte ich sein“. Aber langsam wird es besser.
Wer hat Ihnen geholfen, das alles zu verarbeiten?
Meine Freundin. Mit ihr habe ich viel darüber geredet. Aber ich war in der ersten Zeit schon sehr unangenehm, wahrscheinlich sogar unerträglich teilweise. Es gab Phasen, in denen ich alles in mich hineingefressen habe. Mit der Zeit wird es aber einfacher, wenn Fußball nicht mehr den hohen Stellenwert hat.
Was machen Sie heute?
Ich studiere seit April 2015 BWL in Berlin. Und ab November verbringe ich ein Auslandssemester in Australien. Außerdem bin ich letztes Jahr Vater geworden, sodass jetzt mein Sohn mein neuer Mittelpunkt ist und die Vergangenheit langsam verblasst.
Können Sie sich vorstellen, eines Tages mit Ihrem Sohn Fußball zu spielen?
Das Problem ist, dass mein Knie immer wieder dick wird und aktiv Fußball spielen deshalb nicht so richtig drin ist. Aber ein bisschen kicken mit meinem Neffen geht schon mal. Und wenn mein Sohn Fußball spielen möchte, werde ich ihn unterstützen. Trotz meiner Verletzungen sehe ich Fußball immer noch positiv.