Uwe Bein erfand den tödlichen Pass, ist Weltmeister und eine Eintracht-Legende. Dabei hätte der beste Zehner seiner Generation die Schuhe fast mit 27 Jahren an den Nagel gehängt. Heute wird er 60 Jahre alt.
Das Interview ist erstmals in 11FREUNDE #183 erschienen. Das Heft gibt es bei uns im Shop.
Uwe Bein, wenn Ihr Name fällt, denkt der Fan spontan an den tödlichen Pass und den vielbesungenen „Fußball 2000“ in Frankfurt. Dabei haben Sie einige Jahre zuvor mit dem 1. FC Köln eine noch kuriosere Saison gespielt.
Nach einem durchwachsenen ersten Jahr in Köln spielten wir 1986/87 eine überragende Uefa-Cup-Saison. Ich traf in fast jedem Spiel, weswegen mich die Fans bald „Mr. Europacup“ nannten. Leider nahm der Wettbewerb aber ein unschönes Ende.
Was ist passiert?
Wir kamen bis ins Endspiel, das damals noch in Hin- und Rückspiel ausgetragen wurde. Im Halbfinale in Waregem kam es allerdings zu Ausschreitungen. Als Strafe entzog uns die Uefa das Heimrecht. Wir mussten das Finale mindestens 350 Kilometer von Köln entfernt austragen.
Der FC entschied sich für Berlin. Eine gute Wahl?
Das eigentliche Problem war das Hinspiel, das wir unglücklich 1:5 verloren. Das führte dazu, dass sich der Andrang in Berlin in Grenzen hielt. Als PR-Maßnahme mussten wir Spieler am Spieltag noch über den Ku’damm laufen und auf der Straße Rosen verteilen, um Werbung für die Partie zu machen. Geholfen hat das nichts, es kamen nur 16 000 Zuschauer. Immerhin: Wir gewannen 2:0, auch wenn das nicht für den Titel reichte.
Nach zwei Jahren in Köln gingen Sie zum Hamburger SV. Da lief es zunächst nicht allzu berauschend.
Beim HSV hatten die Platzhirsche um Thomas von Heesen und Ditmar Jacobs das Sagen und machten es den Neuen nicht leicht. Unter Trainer Josip Skoblar pendelte ich zwischen Bank und Platz. Manchmal musste ich unter ihm sogar Manndecker spielen.
Wir versuchen uns gerade Uwe Bein als Manndecker vorzustellen.
Das war gegen Ajax Amsterdam im Pokal der Pokalsieger, als mich Skoblar eine Art Vorstopper spielen ließ, gegen John Bosman und Dennis Bergkamp. Die haben zwar nicht getroffen, verloren haben wir aber trotzdem. Ich weiß auch nicht, was ihn da geritten hat. Er wurde kurz danach entlassen. Sein Nachfolger wurde Willi Reimann – der mir keinerlei Chance gab.
Warum?
Ich weiß es nicht. Ich war ständig in seinem Büro, weil ich wissen wollte, was los ist, und irgendwann auch, um meine Freigabe zu fordern. Aber er sagte nur: „Uwe, ich brauche dich noch!“ Ich antwortete: „Herr Reimann, wollen Sie mich verarschen? Im Training gewinne ich mit der B‑Mannschaft jedes Trainingsspiel. Beim letzten Bundesligaspiel waren vier Mittelfeldspieler verletzt, und ich habe trotzdem nicht gespielt.“ Aber es half alles nichts. Ich kam mir so veräppelt vor, dass ich mich reamateurisieren lassen wollte.
Sie scherzen?
Nein, ich war kurz davor, mit Mitte zwanzig als Profi aufzuhören und in die Oberliga zu gehen. Ich hatte einfach die Schnauze voll. Bei Viktoria Aschaffenburg kannte ich den Trainer und befand mich schon in Verhandlungen, aber dann wendete sich das Blatt. Wir verloren 0:2 im Pokal gegen Bochum. Reimann wechselte einen der Alteingesessenen aus, worüber sich die anderen Platzhirsche beschwerten. Es kam zum Eklat, und im nächsten Spiel durften die jungen Spieler von Beginn an ran: Ich, Harald Spörl, Bruno Labbadia. Ich schoss direkt ein Tor, von da an war ich in der Mannschaft.
Mit Thomas von Heesen bildeten Sie fortan eines der besten Mittelfeld-Duos der Liga.
Das musste ich mir hart erkämpfen, in der Mannschaft war ich immer noch nicht akzeptiert. Bei einem Spiel in Bremen passte ich von Heesen auf der Kabinentoilette ab. Ich legte ihm den Finger auf die Brust und fragte: „Spielen wir jetzt endlich miteinander oder immer noch gegeneinander?“ Er war völlig verdattert, aber ab da lief es ganz gut.
Sie untertreiben. Sie schossen 15 Saisontore in jener Spielzeit.
Ich wäre auch Torschützenkönig geworden – Roland Wohlfarth hatte letztlich nur zwei Tore mehr –, hätte ich nicht Thorsten Legat umgegrätscht und dafür sechs Spiele Sperre bekommen.
Sechs Spiele? Das muss ja eine passable Grätsche gewesen sein.
Wir lagen zurück, die Bochumer fingen an, uns zu verarschen, spielten sich den Ball hin und her, da sind mir die Sicherungen durchgebrannt. Ich erwischte Legat mit beiden Beinen voraus, er hatte einen Bänderriss. Eine dumme Aktion. Am nächsten Tag rief ich Thorsten an und entschuldigte mich.
Mit dem Hamburger SV wurden Sie Vierter – und gingen zu Eintracht Frankfurt, die gerade so die Klasse gehalten hatten. Warum?
Aus Trotz. Ich hatte erfahren, was Thomas von Heesen beim HSV verdiente. Bei den Vertragsverhandlungen sagte ich unserem damaligen Manager Erich Ribbeck: „Ich unterschreibe sofort einen neuen Vertrag. Ich möchte nur das Gleiche verdienen wie Thomas von Heesen.“ Ribbeck sagte, das sei kein Problem, nannte aber eine viel niedrigere Zahl. Da bin ich aufgestanden und gegangen. Bei der Eintracht wollte Bernd Hölzenbein damals eine Mannschaft mit gebürtigen Hessen zusammenstellen. Also saß ich wenig später beim Relegationsspiel der Eintracht in Saarbrücken auf der Tribüne und drückte die Daumen.
Frankfurt blieb drin und wurde in wenigen Jahren zur Spitzenmannschaft. Die Ansammlung an Stars war damals aber auch die größte Schwäche der Eintracht, oder?
Am Wochenende spielten wir die Gegner an die Wand, aber unter der Woche saßen wir in der Kabine auf einer Zeitbombe. Ständig war Theater, der Kader zerfiel in Grüppchen. Hinzu kam die Doppelfunktion von Klaus Gerster als Berater von Andy Möller und Manager der Eintracht. So ging es auch schnell ums Geld, was für Neid sorgte. Vor allem zwischen Uli Stein und Andy Möller war die Stimmung schlecht.
Hätten Sie da als Führungsspieler nicht mal auf den Tisch hauen müssen?
Ich hatte zu den meisten ein normales Verhältnis. Nur einmal bin ich laut geworden. Wir spielten im Pokal gegen Wiesbaden und führten zur Halbzeit 2:0. Uli Stein tobte trotzdem, da habe ich ihm Paroli geboten: „Stein, jetzt halt mal die Schnauze.“ Abends traf ich ihn in der Disko, da sagte er: „Find ich gut, dass du heute mal was gesagt hast.“
1992 vergeigten Sie mit der Eintracht am letzten Spieltag die Meisterschaft. Wie oft denken Sie noch an das Trauma von Rostock?
Oft. Aber die Meisterschaft haben wir an den Spieltagen davor verloren. Am vorletzten Spieltag kam Bremen zu uns, die waren noch betrunken von ihrem Sieg im Pokalsieger-Cup unter der Woche und wollten im Anschluss mit uns feiern. Aber dann erlaubten wir uns einige Fouls, die Bremer hielten plötzlich dagegen und wir spielten nur 2:2. In der letzten Minute trat mich Dieter Eilts im Strafraum um, das war ein noch klarerer Elfmeter als eine Woche später in Rostock.
In Rostock kann man aber trotzdem mal gewinnen.
Ein großer Fehler war, dass wir uns schon drei Tage vor dem Spiel in einem Hotel nahe Rostock einquartierten. Das sollte den Teamgeist stärken, aber wir gingen uns nur auf die Nerven. Und das Spiel verlief unglücklich. Wir hatten zwei Pfostenschüsse und den nicht gegebenen Elfer an Ralf Weber. Parallel bekam Stuttgart in Leverkusen einen Elfmeter nach einem Foul außerhalb des Strafraums. Es kam viel Pech zusammen. Aber im Endeffekt hatten wir es in der Hand. Und haben es losgelassen.
Damit bleibt die Weltmeisterschaft der einzige Titel in Ihrer Vita.
Das ist ja nicht der schlechteste, oder? Meine Freunde nennen mich übrigens nur „Weltmeister“, gar nicht mehr Uwe.
Stimmt es, dass Sie Andy Möller davon abhalten mussten, vorzeitig von der WM nach Hause zu fahren?
Überspitzt gesagt schon. Vor der WM wurde Andy als Topstar der Nationalelf gehandelt. Beim Turnier war er dann aber nicht mal Stammspieler, was ihn sehr enttäuschte. Wir teilten uns das Zimmer, da bekam ich das eine oder andere Telefonat in die Heimat mit, in dem er sagte, er würde sich einfach in den Flieger setzen und wieder nach Hause kommen. Das hat er natürlich nicht so ernst gemeint, aber ich musste ihm trotzdem gut zureden.
Sind Sie mit dem Verlauf Ihrer WM zufrieden?
Ja, auch wenn es zwischendrin einen Dämpfer gab. Ich hatte mich in den letzten Vorbereitungsspielen in die Startelf gespielt und bestritt alle drei Gruppenspiele. Vor dem Achtelfinale gegen die Niederlande sagte Franz Beckenbauer zu mir, dass er einen kopfballstärkeren Spieler im Mittelfeld aufbieten wolle. Ich hoffte noch auf eine Einwechslung, aber als ich in die Kabine kam, lag mein Trikot nicht auf dem Platz. Ich musste auf die Tribüne.
Wie reagierten Sie?
Ich war erst einmal sauer. Aber es war auch kein Drama, weil ich im Viertelfinale wieder spielte. Leider zog ich mir gegen die Tschechen eine Oberschenkelverhärtung zu. Franz fragte mich vor dem Halbfinale, ob ich bei 100 Prozent sei, was ich verneinte. Damit verlor ich auch meinen Platz für das Finale. Das ist das Einzige, was mich im Nachhinein ärgert. Denn im Endspiel, mit einem Mann mehr und schön viel Platz für meine Pässe, da hätte ich schon gerne noch ein paar Minuten gespielt.
Die Party im Anschluss wird das nicht getrübt haben, oder?
Absolut nicht. In der Kabine brach das totale Chaos aus, auf der Fahrt vom Stadion in unser Quartier waren die Straßen voll mit tausenden deutschen Fans. Auf der Feier im Hotel ließen wir die Puppen tanzen. Wir sangen „Egidius, rück die Kohle raus“ und rauchten Zigarre. Ich schubste Frank Mill in den Pool, da packten mich die anderen, warfen mich auch rein und sprangen hinterher. Später bot uns Franz Beckenbauer noch das Du an, das war damals ein Highlight für uns. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich traute, ihn zu duzen.
Nach der WM machten Sie nur noch sieben Spiele für die Nationalelf, 1994 traten Sie zurück. Warum?
Ich hatte nicht das Gefühl, dass Berti Vogts auf mich setzt. In Frankfurt harmonierten Andy Möller und ich wunderbar, bei der Nationalmannschaft saß einer von uns immer draußen. Das wurde immer frustrierender, bis ich keine Lust mehr hatte.
Sie waren einer der prägenden Zehner dieser Zeit. Warum hat Ihnen Vogts nicht das Vertrauen geschenkt?
Zum Ende der Saison 1992 hatte ich eine Entzündung auf dem Spann und konnte kaum noch trainieren. Ich kam nur zum Abschlusstraining und zu den Spielen, was Heinz Gründel zu dem legendären Spruch bewog: „Woran erkennt man in Frankfurt, dass Freitag ist? Uwe Bein kommt zum Training.“ Ich spielte unter Schmerzmitteln, nach der Saison sagte ich Vogts für die EM ab. Ich musste die Verletzung auskurieren. Ich denke, das hat er mir damals nicht geglaubt und mir übelgenommen.
1994 wechselten Sie von Frankfurt nach Japan. Über den damaligen SGE-Präsidenten Matthias Ohms sagten Sie, er habe „vom Fußball keinen blassen Schimmer“.
Mit Ohms hatte ich immer so meine Schwierigkeiten. Bei meinem ersten Spiel für die Eintracht, wir siegten 3:1, stand Ohms in der Halbzeit in der Kabine und fing an, uns zu kritisieren. Ich sagte: „Was willst du denn?“ und warf ihn raus. Ich wusste nicht, dass er unser Präsident war. (Lacht.) Aber ich bin nicht im Schlechten von der Eintracht weggegangen. Mein Vertrag lief aus, ich wollte nur für drei Jahre unterschreiben, die Eintracht bot mir aber lediglich ein Jahr an. Dann kam das Angebot aus Japan, das ich finanziell nicht ablehnen konnte.
Wie kam denn der Kontakt nach Japan zustande?
Franz Beckenbauer war damals Werbeträger für Mitsubishi, dem Mutterkonzern der Urawa Red Diamonds. Er rief mich an und fragte, ob ich mir einen Wechsel nach Japan vorstellen könnte. Michael Rummenigge und Pierre Littbarski waren schon dort. Ich rief Litti an, der sagte nur: „Uwe, mit diesem Wechsel kannst du keinen Fehler machen.“
Fiel Ihnen die Umstellung schwer?
Nein. Ich hatte einen Dolmetscher und wohnte in der Nähe des Trainingszentrums, weswegen ich nicht, wie viele andere Kollegen, jeden Tag stundenlang im Verkehr steckte. Aber die Stimmung im Team war zu Beginn ziemlich eigenartig. Es kam kein Kontakt mit den Kollegen zustande. Alle waren ruhig und eher für sich. Irgendwann fragte ich meinen Dolmetscher, was denn los sei. Er sagte, dass die japanischen Kollegen einen so großen Respekt vor uns hatten, dass sie sich kaum trauten, mit uns zu reden. Aber das Problem habe ich pragmatisch gelöst.
Jetzt sind wir aber gespannt.
Ich lud die ganze Truppe zu mir nach Hause ein. Ein schöner Mannschaftsabend mit deutscher Wurst und viel Bier. Da war das Eis schnell gebrochen. In dieser Zeit sind Freundschaften entstanden, die bis heute halten. Erst vor kurzem war ich für eine Woche in Tokio. Da habe ich bis auf drei, vier Ausnahmen alle ehemaligen Mitspieler wiedergesehen.
Und Heimweh hatten Sie damals keines?
Nein, ich war die zweieinhalb Jahre ja mit der Familie dort. Außerdem hatte ich einen guten Freund, der mir samstags immer die Sportschau auf VHS aufnahm und die Kassette dann per Luftpost nach Japan schickte. So konnte ich die Bundesliga gucken, wenn auch mit ein paar Tagen Verspätung. Manchmal war auch eine nordhessische Ahle Wurscht im Päckchen, so hielt sich das Heimweh in Grenzen.