Die 11FREUNDE-Dienstagskolumne: Jede Woche machen sich Frank Willmann, Lucas Vogelsang, Titus Chalk und Frank Baade im Wechsel Gedanken über den Fußball, die Bundesliga und was sonst noch so passiert. Dass unser heutiger Kolumnist, der Buchautor und Ostfußball-Experte Frank Willmann überhaupt noch Zeit für eine Kolumne hat, ist ein Wunder. Sein neuestes Werk heißt „Zonenfußball“ („Verlag Neues Leben“.)
Nach inoffizieller Legende befindet sich das Stadion des SC 1903 Weimar direkt auf einer einstigen Hinrichtungsstätte. Wo im finsteren Mittelalter reichlich unschuldige Frauen als Hexen geröstet wurden, fand später Weimars bekanntester Bolzklub seine Heimat. Mein Vater schwang in den siebziger Jahren bei den balltretenden Sportfreunden der Alten Herren seinen Turnbeutel.
Doch ein wenig weiter zurück: Nach 1945 wurden alle deutschen Fußballklubs umbenannt. Sie waren für die Alliierten nationalsozialistische Organisationen. Aus SC 1903 Weimar wurde innerhalb von zehn Jahren SG Weimar Ost, dann Eintracht Weimar, später KWU Weimar, gefolgt von BSG Turbine Weimar bis zu Lok Weimar. Seit 1961 hieß der Verein plötzlich Motor Weimar. Und wurde ausgehalten vom Mähdrescherwerk Weimar. Die Spieler der 1. und 2. Mannschaft als Erbauer fröhlicher Mähdrescher. Die realsozialistische Wirklichkeit sah natürlich ganz anders aus. Die Kicker erblickten nie einen Mähdrescher aus nächster Nähe. Motor kickte in der 2. Liga einen gemütlichen Stiefel, dafür wurden die Spieler berappt. Der Westen nannte sie verbittert Staatsamateure. Die Spieler waren Chefs in den Weimarer Discos und wussten, wo der Krimsekt floss.
Den DDR-Funktionären wünsche ich die Beulenpest an den Hals!
Zurück zu meinem Vater. Ursprünglich war er Hockeyspieler. Doch Hockey war in den fünfziger Jahren in der DDR als bürgerlich-dekadent verschrieen. Der einst in Weimar blühende Hockeysport in Weimar wurde von doofen Funktionären kleingemacht und eingeebnet. Nachträglich wünsche ich der Bande die Beulenpest an den Hals. Wie auch dem Rest der Bonzencrew, die in der Zone über den Sport mit der Knute herrschte. Fußballfreunde! Haltet die Bonzen und großen Bestimmer eurer Clubs gut im Auge. Sie haben selten nur Gutes im Sinn.
Sport war in der DDR ein Aushängeschild, um Politik zu machen. Welt- und Lokalpolitik. Wenn schon die Wirtschaft nicht viel taugte und man mit gleichgeschalteter Kunst nur in Ulan Bator und Tirana glänzte, bot der Sport genügend Möglichkeiten um international den Max zu machen.
Die Blöden müssen immer bluten. Und sie bluten meistens gern.
Mannschaftssportarten waren trotz des kollektiven Charakters verpönt. Der finanzielle und organisatorische Aufwand, der betrieben werden musste, um an olympisches Gold zu gelangen, war einfach zu hoch. Einzelsportarten brachten die hungrigen Herzen der Nomenklatura zu leuchten! Und es gab genug willige Sportler, die sich nur zu gern vor den Karren der Mächtigen spannen ließen. Marlies Göhr, Kati Witt, Jens Weißflog, Udo Beyer. Endlos die Namen. Bezahlt hat das Medaillenspektakel wie immer: das Volk. Die Blöden müssen überall bluten. Und sie bluten meist gern.
Wir schreiben das Jahr 1970. Mein Vater brachte mich im Fohlenstall Motor Weimar unter. Ich war ein Kind der seltsamen Diktatur von Dachdeckern und Bauernlümmeln. Unser Vereinschef war angeblich CDU. Darauf waren wir in unserer Einfältigkeit noch stolz, derweil die CDU-ler in der Zone Mitläufer mit gottgefälligen Deckmäntelchen waren. Wir trainierten auf einem Schlackeplatz. Schwarzer, rußiger Schotter verfärbte meine Knie. Wenn unser hagerer Trainer im Kasernenton seine Jungs zu Höchstleistungen zusammenbrüllte, verging jede Primel. Er rauchte filterlose Zigaretten. Kette. Und roch gern den ehrlichen Arbeiterschweiß unter seinen Achseln. Er hasste den Westen. Dort lebten doch nur gierige Kapitalisten, die den arglosen Arbeiter ausbeuteten.
Guerillas im Gagafußball gab es wenige.
Wir liebten den Westen. Er sandte uns Jenas und Bravo. Wer in Westklamotten zum Training kam, oder dessen Wäsche nach Westseife roch, konnte gleich wieder nach Hause gehen. Guerillas im Gagafußball gab es wenige. Wer aufmuckte, zog den Kürzeren und verschwand beim Bodenturnen oder Ballett. Das waren die Alternativen in jener finsteren Zeit, als uns achtjährigen Jungs ein degenerierter Hampelmann den Spaß an Fußball austrieb. Ballett oder Bodenturnen? Ich war bereits Brillenschlange. Ballett oder Bodenturnen hätten mich in der Rangliste meiner Klasse noch weiter nach hinten geworfen. Also weiter Fußball.
Dreimal die Woche Training, Samstagvormittag meist ein Spiel. Wir wurden von einem dubiosen Bus, der anscheinend mit Holz betrieben wurde, über die Dörfer bei Weimar geschickt. Unsere Feinde waren rotglotzige Mellinger, rammdösige Tannrodaer, sabbernde Niederzimmrer… Wir wurden scheel angestarrt, weil unsere Haare meist drei Millimeter länger als ihre Bauernfrisuren Marke Russenstolz waren. Wir schlugen sie beim Fußball, angetrieben vom garstigen Schleifer, der uns nach dem Spiel zärtlich unter die Dusche trieb. Natürlich mit ohne Warmwasser. Warmwasser war für Ballerina.
Später legten wir die Weiber der Bauernsöhne flach…
Fast alle waren Arbeiterkinder aus der Vorstadt. Wir kannten Vergnügungen wie Kino oder Freibad. Somit von Hause aus den Bauern überlegen, deren Weiber wir Jahre später reihenweise im Kornfeld flachlegten. Nur mir stand der Makel eines Intelligenzlersöhnchens auf der Stirn: die Brille…
Meine Mitspieler wurden für jeden Gegentreffer zu Hause vertrimmt. Ihre Eltern waren noch schlimmer als unser Trainer. Meine Eltern schauten mich hingegen höchstens bei einer Niederlage traurig an. Im Bus schwärmte ich wie alle anderen vom harten Gürtel meines Vaters, der mir nach schwachen Spielen auf dem Arsch tanzte. Der heitre Glanz der Jugend. Am Sonntag gingen wir zur Männermannschaft der Betriebssportgemeinschaft Motor Weimar. Den Großen beim Fußball zuschauen. Motor spielte DDR-Liga, das war die zweithöchste Spielklasse.
Aschmann! Wolle Dummer! Gisbert Job!
Ach Motor, du einstiger Stolz der Mähdrescherbauer! Der kleine, wieselige Aschmann mit dem großen Durst. Genannt der Schwarze! Wolle Dummer, der schnauzbärtige Barbar im Sturm! Gisbert Job, der Intelligenzler. Der Arbeiter trank sein ehrliches Hell, wir unsere rote Brause. Dazu die vor Fett triefende Bockwurst in der Tatze. Wir träumten 1974 vom Weltmeistertitel für Deutschland. Für DDR-Deutschland selbstverständlich. Als die DDR nach grandiosem Sieg gegen die BRD trotzdem aus dem Turnier schied, weinte unser Trainer beim nächsten Training. Wir verloren jeglichen Respekt vor ihm. Und erschienen fortan zum Training mit unseren Westjeans. War das der Anfang vom Ende?