Jürgen Hingsen ist einer der besten Zehnkämpfer aller Zeiten. Im Interview spricht er über seinen Kollaps bei Olympia 1984, drei Fehlstarts in Seoul und die elfte Disziplin: Sex.
Wie hoch ist der Trainingsaufwand eines Zehnkämpfers?
Zwischen sechs und acht Stunden täglich.
Profifußballer veranstalteten in den Achtzigern noch regelmäßig zünftige Mannschaftsabende. Wie war das bei Ihnen?
Das ging nicht. Ich erinnere mich an ein Trainingslager auf Lanzarote, wo wir abends etwas länger ausgegangen waren, weil am nächsten Tag leichtes Koordinationstraining auf dem Plan stand. Pixken bekam es mit und veranstaltete am nächsten Morgen spontan Tempoläufe in der Gluthitze. Hinterher sah ich entsprechend lecker aus.
Norbert Pixken übernahm Sie als Jugendlicher.
Ein ganz entscheidender Mann in meinem Leben.
Dennoch haben Sie sich 1987 getrennt.
Wir waren zehn Jahre zusammen. Ein hervorragender Trainer, aber er hatte auch Schwächen.
Inwiefern?
Daley hat stets mit Spezialisten gearbeitet. Norbert Pixken hingegen war eifersüchtig, wenn jemand etwas zu meinen Bewegungsabläufen sagte. Er war da sehr einnehmend. Als ich etwa 1987 anfing, mit einem Fachmann Speerwurf zu trainieren, der mir mit Ballwürfen beibrachte, wie ich mehr aus meiner Koordination heraushole, warf ich mit einem Mal viel weiter.
Wie vertrug sich der enorme Trainingsaufwand mit ihrem schillernden Leben auf den roten Teppichen?
Das war nur die Außenwahrnehmung. Ich war nicht so oft auf Promi-Veranstaltungen.
Immerhin drehten Sie 1984 mit Karl Dall, Patrick Bach und ihrem Kumpel Rolf Milser, dem Gewichtheber, den Kinoklamauk „Drei und eine halbe Portion“.
Meine Güte hat sich die Fachjournaille aufgeregt. Von wegen: „Der Hingsen soll sich auf Sport konzentrieren.“
„Sportschau“-Chef Heribert Faßbender weigerte sich, mit Ihnen über den Film zu sprechen.
Bei der Bewerbung des Films wurden wir vom WDR, der in der ARD für Sport zuständig war, zu Radio Bremen strafversetzt, wo Jörg Wontorra das Interview mit Rolf und mir führte. Faßbender hatte abgelehnt, mit Sportlern über derartigen Klamauk zu reden. Die Sportmedien waren damals noch erzkonservativ.
Heute wäre es unvorstellbar, dass ein Zehnkämpfer und ein Gewichtheber einen Publikumsfilm machen?
Es drehte sich eben noch nicht alles um Fußball.
Bereuen Sie den Film?
Natürlich hätten wir uns das sparen können, zumal uns die Presse grillte. Aber, mein Gott, wir haben vier schöne Wochen auf Mallorca verbracht und einfach mal an was anderes gedacht als an Training. Wir haben sogar am Drehbuch mitgearbeitet. Die Entscheidung für den Streifen fiel nicht zuletzt deshalb, weil ich kein Management hatte und wie ein Elefant im Porzellanladen in mediale Fallen tappte.
Was waren sonst noch Image-Fehler?
Was heißt Fehler? Mir wurde vieles angekreidet. Selbst mein Stern-Titelbild.
Das Sie als „Herkules“ mit Goldstaub am ganzen Körper zeigte.
Als wir nach acht Stunden in dem Düsseldorfer Fotostudio fertig waren, sagte der Fotograf: „Sorry, Jürgen, meine Dusche ist kaputt.“ Ich fuhr in Goldmontur nach Hause und brauchte eine Woche, um das Zeug wieder von der Haut zu kriegen.
Arno Breker, Hitlers Lieblingsbildhauer, fertigte eine von Ihnen Bronze-Skulptur an.
Das war natürlich ein Politikum. Damals bekamen wir sogar noch aufs Dach, weil wir bei Olympia mit der deutschen Fahne eine Ehrenrunde drehten.
Haben Sie die Zusammenarbeit mit Breker nie in Frage gestellt?
Mich hat das Zusammenspiel von Kunst und Sport immer fasziniert. Breker war ein international hochangesehener Künstler, der vorher schon Ulrike Nasse-Meyfarth und den Schwimmer Walter Kusch porträtiert hatte. Vielleicht war es naiv, aber ich wusste nichts von seiner Vergangenheit. Erst mein Vater klärte mich auf.
Wie oft mussten Sie Breker Modell sitzen?
Oft. Es ging über Jahre. Die Statue habe ich heute noch zuhause.
Wie war es in seinem Atelier?
Ich habe ihm Löcher in den Bauch über die NS-Zeit gefragt – und dabei viel gelernt.
Zum Beispiel?
Er distanzierte sich von dieser Epoche und war der Meinung, dass er vom Regime aus propagandistischen Gründen benutzt worden war.
Mussten Sie sich damals für die Aktion rechtfertigen?
Ilja Richter warf mir in seiner Talkshow vor, wie ich nur mit so einem Mann zusammenarbeiten könnte.
Was entgegneten Sie?
Dass ich mit der Nazi-Generation und der NS-Ideologie nichts zu tun habe. Außerdem hatte Breker nach dem Krieg auch schon Konrad Adenauer oder Salvatore Dali porträtiert.