Eigentlich wollte Giovane Élber gar nicht vom VfB Stuttgart zum FC Bayern wechseln. Warum das so war und wie ihn seine Frau dann doch überredete, erzählt er vor dem Aufeinandertreffen seiner Ex-Vereine.
Herr Élber, Sie haben sowohl für den VfB Stuttgart als auch für den FC Bayern München gespielt. Für wen schlägt bei der heutigen Partie Ihr Herz?
Für Bayern – so schön die drei Jahre in Stuttgart mit dem magischen Dreieck auch waren. Ich bin heute als Markenbotschafter Angestellter des FC Bayern und habe als Spieler sehr viele Erfolge mit diesem Verein gefeiert. Der FC Bayern München ist mir daher noch näher.
Dabei wollten Sie anfangs gar nicht von Stuttgart zum damals schon großen FC Bayern München wechseln.
Das stimmt. Ich wäre gerne in Stuttgart geblieben. Der damalige Präsident, Herr Mayer-Vorfelder, hatte die Verträge mit Fredi Bobic und Krassimir Balakov schon verlängert, bevor es in die Winterpause ging. Ich bin dann nach Brasilien geflogen und dachte, dass mein Vertrag danach verlängert wird. Aber als ich zurückkam, hat man mir gesagt, dass ich nach München wechseln soll. Bayern hatte eine sehr hohe Ablösesumme angeboten.
Ruft der große FC Bayern, gibt es doch als Spieler eigentlich nichts zu überlegen.
Die Stimmung beim VfB war sehr familiär. Ich habe das sehr genossen. Zum Beispiel hat uns Herr Mayer-Vorfelder einmal im Monat immer zum Essen eingeladen – mit unserer ganzen Familie. Das waren sehr schöne Abende. Wir haben ein, zwei Gläser Wein getrunken, aber nicht gesoffen. Diese Treffen haben den Zusammenhalt ungemein gefördert. Wenn du die Familie deines Mitspielers kennst, verstehst du dich mit ihm auch auf dem Platz besser.
„Meine Frau meinte: Giovane, du willst Nationalspieler werden. Dann musst du zu Bayern gehen“
Beim FC Bayern ging es Mitte der 90er Jahre nicht ganz so harmonisch zu.
Der FC Bayern, das war ja der FC Hollywood. Ich hatte wirklich Zweifel und Angst, ob ich in München Fuß wirklich fassen kann. Es gab vor mir viele Spieler mit großen Namen, die den Verein nach zwei Jahren schon wieder verlassen haben. Sie waren in München gescheitert. Meine Frau meinte: Giovane, du willst Nationalspieler werden. Dann musst du zu Bayern gehen. Beim VfB gut zu spielen, hat dafür offenbar nicht ausgereicht. Okay, dann mache ich das halt, habe ich schließlich gesagt.
Letztlich war es der richtige Schritt. Sie wurden Nationalspieler, gewannen mit Bayern vier mal den Meistertitel, 2001 die Champions League und wurden Publikumsliebling.
Aber anfangs war es schon eine Umstellung. Beim VfB haben wir immer nur nach vorne gespielt. Alle hatten Spaß, wir auf dem Platz und die Zuschauer auf den Rängen. Bei Bayern hattest du alle drei Tage ein Spiel und musstest immer gewinnen. Haben wir 1:0 geführt, hat mich der Trainer ausgewechselt und einen Defensivmann gebracht. Da verlierst du schon ein bisschen die Lust am Fußball. Ich erinnere mich noch an die Worte von Trapattoni: Giovane, für ein 1:0 gibt es drei Punkte, für ein 2:0 gibt es drei Punkte und für ein 3:0 gibt es auch nur drei Punkte.
Die Ausrichtung der heutigen Bayern-Mannschaft ist ganz anders, viel offensiver. Ein Traum für jeden Stürmer. Sie wären bestimmt gerne dabei.
(Lacht) Oh ja. Das wäre ein Spaß. Aber in dieser Mannschaft würde wohl jeder gerne mitspielen.
Giovane Elber kam als 22-Jähriger zum VfB und bildete dort drei Jahre lang mit Bobic und Balakov das magische Dreieck. Nach dem Wechsel zum FC Bayern schoss der Brasilianer für den deutschen Rekordmeister in 169 Bundesligaspielen 92 Tore. Elber feierte mit den Bayern zahlreiche Titel, ehe er 2004 zu Olympique Lyon wechselte. Nach einer weiteren Station in Mönchengladbach beendete Elber 2006 in Brasilien bei Cruzeiro Belo Horizonte seine Profikarriere. Der 48-Jährige ist heute als Markenbotschafter des FC Bayern München weltweit unterwegs. Daneben betreibt er in seiner Heimat eine Rinderfarm. Elber ist zudem Vorsitzender der Giovane-Elber-Stiftung, ein Verein zur Förderung brasilianischer Straßenkinder (www.giovane-elber-stiftung.de). Und er kämpft gegen die weitere Abholzung von Regenwäldern in Brasilien.
Das Team schießt Tore am Fließband, zeigt aber Abwehrschwächen.
Ja, wir haben in den letzten Spielen ein paar Tore kassiert. Das hängt aber auch mit der Spielweise zusammen. Verlieren wir den Ball, sucht sich jeder gleich einen gegnerischen Spieler, geht drauf und versucht den Ball zurückzuerobern. In der Regel klappt das ja auch. Wenn nicht, dann wird es halt gefährlich. Die Mannschaft weiß das. Ich war beim Champions-League-Endturnier in Lissabon dabei. Dort hat Thomas Müller zu mir gesagt: ‚Wir wissen, auch wenn wir mal in Rückstand geraten, dann können wir das Spiel auf jeden Fall noch gewinnen.‘ Diese Mentalität zeichnet die Mannschaft aus.
Mit einer Tormaschine wie Robert Lewandowski an seiner Seite, fällt es auch leicht, immer an den Sieg zu glauben.
Lewy ist für mich der derzeit beste Stürmer auf der Welt. Als er von Dortmund zu Bayern kam, dachte er noch: es reicht aus, wenn ich hier meine Tore schieße. Aber er hat gemerkt, dass er beim FC Bayern auch nach hinten, für die Mannschaft arbeiten muss. Wenn du das tust, bekommst du von den anderen den Ball. Lewy hat das verstanden.
Eigentlich ist Robert Lewandowski mit seinen 32 Jahren längst aus den besten Stürmeralter raus.
Ich bin mir sicher, dass er noch eine paar Jahre auf diesem Niveau spielen wird. Lewy ist kaum verletzt, obwohl er keinen Zweikampf scheut. Er hat gute Muskeln und verhält sich einfach extrem professionell – auch abseits des Fußballplatzes. Er achtet zum Beispiel sehr auf seine Ernährung. Und Lewy trainiert sogar im Urlaub. (Lacht) So ein Spieler war ich nicht. Ich wollte den Urlaub genießen – kein Lauftraining, nicht einmal zehn Minuten. Einfach Beine hoch legen.
„Haaland ist vor dem Tor noch nicht so eiskalt wie Lewy“
Trauen Sie Lewandowski zu, den Uralt-Rekord von Gerd Müller mit 40 Saisontoren zu knacken?
Wenn das einer schaffen kann, dann er. Er hat jetzt nach acht Spielen schon elf Tore geschossen. Wenn man das auf 34 Spieltage hoch rechnet, dann würde es reichen. Aber in den vergangenen Jahren hat Lewy gegen Ende der Saison nicht mehr so oft getroffen. Mal schauen, wie es diesmal läuft.
Dortmunds Erling Haaland ist Lewandowski mit zehn Tore Bundesliga-Toren dicht auf den Fersen und glänzte auch unter der Woche wieder mit einem Doppelpack in der Champions League.
Unglaublich dieser Junge. Er setzt seine Schnelligkeit perfekt ein. Aber er ist vor dem Tor noch nicht so eiskalt wie Lewy. Der ist für mich momentan einfach der kompletteste Stürmer. Ein super Kopfballspieler, der rechts und links schießen kann. Haaland hat nur einen starken linken Fuß. Aber er ist ja noch jung und entwicklungsfähig.
Könnte Haaland möglicherweise der Nachfolger von Lewandowski bei Bayern werden?
Das ist schwer zu sagen. Kann durchaus mal sein. Aber ich bin mir sicher, dass Robert noch viele Jahre spielt und Tore für Bayern München schießt.