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Ruwen Wert­h­müller spielt für Hertha BSC und hat sich in diesem Sommer einen Kreuz­band­riss zuge­zogen. Seitdem twit­tert er – über seine Ver­let­zung, die Reha und das Leben. An dieser Stelle wird er fortan regel­mäßig für 11FREUNDE schreiben.

In dem sonst so blitz­sauberen, nach Ord­nung schrei­enden Arzt­zimmer krab­belte eine kleine, schwarze Spinne über das Fens­ter­glas. Je schneller sie sich bewegte, desto mehr schweifte ich mit meinen Gedanken ab. Zwi­schen mir und der Spinne befand sich nur noch der Arzt, der mit ernstem Blick in meine Rich­tung sprach. Doch seit er dieses eine, in der Sport­welt ver­fluchte Wort gesagt hatte, schaute ich durch ihn hin­durch, als sei er Luft: Kreuz­band­riss“. Es bohrte sich wie eine Nadel in meinen Kopf. Die Spinne war mitt­ler­weile ver­schwunden und ich emp­fand nur noch eine große Leere, Gleich­gül­tig­keit und noch etwas mehr Leere.

Sie müssen wissen: Ich heiße Ruwen Wert­h­müller, ich bin 21 Jahre alt und im Begriff, Fuß­ball­profi zu werden. Ich spiele für Hertha BSC, in der U23, bin mit einem Pro­fi­ver­trag aus­ge­stattet und es lief – das behaupte ich hier einmal – ganz ordent­lich. Doch dann kam das zweite Sai­son­spiel gegen des SV Babels­berg 03, und eines kann ich ver­raten, es kam nicht in guter Absicht, denn ein paar Tage später saß ich beim Arzt und dort spielte sich eben jene Szene ab. Ich hatte mir das Kreuz­band gerissen.

Kein nor­maler Schmerz

An den genauen Moment des Unglücks erin­nere ich mich kaum, wie könnte ich auch, so ein ein­schnei­dendes Erlebnis schwärzt die Erin­ne­rung maß­geb­lich. Doch erin­nere ich mich an den ste­chenden Schmerz, der mein linkes Knie durch­fuhr. Bei einem Kreuz­band­riss wird das Knie direkt auf eine eigen­ar­tige Weise steif, das erkannte ich sofort und ver­grub mein Gesicht dem­gemäß im Rasen. Ich wusste, dass dies kein nor­maler Schmerz war, da ich ihn schon einmal, vor unge­fähr einem Jahr, gespürt hatte. Viele Stimmen sollten an diesem Abend noch auf mich ein­pras­seln, doch keine fand bei mir Gehöhr. Ich war emo­ti­onslos, fast apa­thisch und ich glaube, ich ver­suchte der Welt in meinen Gedanken zu ent­fliehen.

Die vier Tage zwi­schen Dia­gnose und Ope­ra­tion, eine ver­hält­nis­mäßig kurze Zeit, zogen sich so lang, wie Tage selten sind. Ich konnte mich selbst dabei beob­achten, wie ich nicht im Stande war, das Gesche­hene zu rea­li­sieren. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich einen Jungen, der in der Form seines Lebens war, drahtig, ein biss­chen mus­kulös. Nach einem harten Sommer der Vor­be­rei­tung war ich darauf gepolt, dass dies mein Jahr werden sollte. Und nun schei­terte all das an einem dünnen Band im Knie, das in zwei Teile gerissen war.

Fuß­ball ent­scheidet sich im Kopf, heißt es ja. Ich glaube, bei Ver­let­zungen ist das auch so“

Ich stand unter Schock. Doch als hätte der Chirurg mir wäh­rend der zwei­stün­digen Ope­ra­tion das neue Kreuz­band gera­de­wegs ins Hirn gepflanzt, waren diese Gedanken ver­schwunden, als ich aus der Nar­kose erwachte. Ich konnte es gar nicht abwarten, mit der Reha zu beginnen, ein­beinig Ten­nis­bälle gegen eine Wand zu werfen, selbst­ge­kürter Welt­meister im Fahren eines Spin­ning Bikes zu werden und zu sehen, wie sich meine Narben ver­klei­nern und meine Zuver­sicht wachsen würden. Jeden Abend saß ich auf dem Rand meiner Bade­wanne und schmierte mir Arni­ka­salbe auf das Knie. Immer, in der von mir selbst als unrea­lis­tisch erkannten Hoff­nung, gleich am nächsten Morgen mit einem geheilten Knie auf­zu­wa­chen.

Mitt­ler­weile kann ich wieder auf den Kopf­stein­pflas­ter­straßen des Prenz­lauer Bergs spa­zieren gehen, so als wäre nichts pas­siert und habe das wahr­schein­lich schlimmste, die ersten sechs Wochen nach der Ope­ra­tion, hinter mir. Und ent­gegen meinen Erwar­tungen ver­gingen diese Wochen sehr schnell. Vier­zehn Tage am Stück merkte ich, unge­logen, denn ich würde euch nie­mals anlügen, wie das Gehen ein­fa­cher und schmerz­freier wurde. Jeden Morgen nach dem Auf­stehen schlen­derte ich den Flur meiner Woh­nung ent­lang und fragte mich, was gegen eine Kar­riere auf dem Cat­walk spräche und war im Begriff, den ersten kleinen Sprint anzu­ziehen.

Diese posi­tiven Gefühle trugen mich durch die ersten Wochen, und ich bestellte mir aus über­stürzter Euphorie ein paar neue Fuß­ball­schuhe – nur zum Angu­cken, natür­lich. Es ist näm­lich so: Der Hei­lungs­ver­lauf meiner Narben stellte sich als per­fekt heraus und mein Knie? Das ist ohnehin per­fekt, finde ich. Ihr seht, ich habe in diesen Wochen eine unglaub­liche Sym­pa­thie gegen­über meinem ver­letzten Bein ent­wi­ckelt, was psy­cho­lo­gisch bestimmt sehr hilf­reich für die Gene­sung sein sollte. Fuß­ball ent­scheidet sich im Kopf, heißt es ja. Ich glaube, bei Ver­let­zungen ist das auch so.

Genau des­halb habe ich nun ein Pro­blem: Die Glücks­ge­fühle ebben ab, ich kann schon lange wieder gehen und das Knie ist abge­schwollen. Es gibt kaum neue Erfolgs­er­leb­nisse, aber gesund bin ich noch lange nicht. Fünf bis sechs Monate – oder mehr, hof­fent­lich nicht, doch man kann es nie so genau wissen – werde ich noch in der Reha ver­bringen. Und plötz­lich sehe ich mich mit etwas neuem kon­fron­tiert: der Zeit.

Ein Fuß­baller hat für seine Kar­riere nur begrenzt Zeit, wesent­lich weniger als ein nor­maler Arbeit­nehmer. Und so kostet mich diese Ver­let­zung ein Jahr, das ich hätte nutzen wollen, um im Pro­fi­fuß­ball anzu­kommen. Doch ist diese Zeit nicht ver­schwunden, ich gewinne sie gleich­zeitig für Dinge abseits des Fuß­balls. Und das ist erst einmal schwer zu rea­li­sieren. Was soll ich bloß mit dieser Zeit anfangen? Es ist ein Dilemma: Wenn ich nicht gerade auf der Liege bei der Reha liege, um mich durch­kneten zu lassen oder Gewichte stemme, denke ich, dass ich all die anderen Momente ebenso nutzen muss, um irgend­etwas für mein Knie zu tun. Darf ich also Zeit ver­strei­chen lassen, ohne an mein Knie zu denken?

Diese Frage stelle ich mir immer wieder und so langsam kann ich mir eine Ant­wort darauf geben.

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Kampf gegen die Zahn­sto­cher: Ruwen Wert­h­müller legt Extra­schichten ein.

Murat Aslan

Ich lebe zwi­schen meinen eigenen vier Wänden. Man stelle es sich etwa so vor: Ich liege, das Knie küh­lend, auf dem Sofa, neben mir das Buch Zenos Gewissen“ von Italo Svevo auf­ge­schlagen. Par­al­lelen zu dem Prot­ago­nisten, der dau­ernd an ein­ge­bil­deten Krank­heiten leidet und in immer neue Rollen schlüpft, sind sicher­lich nur zufällig. Ich hatte das Buch eigent­lich als Geschenk gekauft, fing es an zu lesen und komme nun nicht mehr davon weg. Der Laptop liegt auf meinem Schoß und aus der Anlage dröhnen meine 3000 Lieb­lings­songs auf shuffle. Ich tue ange­strengt so, als hätte ich keine Zeit, dabei habe ich aus­ge­rechnet davon mehr als genug. Schon schlimm pri­vi­le­giert, oder nicht?

Ich muss mir keine Gedanken über die Miete, Lebens­mittel oder den kom­menden Winter machen. Es wäre also nur reine Ver­schwen­dung, wenn ich aus reiner Faul­heit diese Zeit nicht nutzen würde. Nur wie? Der Fuß­ball, meine Lei­den­schaft und die für mich sinn­vollste Beschäf­ti­gung, fällt bekann­ter­maßen weg. Fuß­ball ist für mich sinn­voll, weil er meinem Leben einen Sinn schenkt. Ich bin Fuß­baller, Fuß­ball ist mein Sinn, ja, Teil meiner Iden­tität. Fuß­ball ist meine Kunst. Ich spiele, also bin ich, das ist ein­fache Phi­lo­so­phie, Freunde. Und was, wenn nicht? Wenn ich den Wind in meinen Augen spüre, direkt auf den Tor­wart zulaufe, mir den Ball einen Hauch zu weit vor­lege, nur um ihn dann über den her­aus­ei­lenden Keeper zu lupfen, dann gibt mir das einen Sinn.

Dieser Kreuz­band­riss hat mich schon jetzt ver­än­dert. Er hat mir die Gele­gen­heit geschenkt, mich selbst zu reflek­tieren“

Fuß­ball macht mich zufrieden, weil ich es kann. Weil ich weiß, wie Fuß­ball funk­tio­niert, darin bin ich sicher. Ein Foto­graf nutzt den Licht­ein­fall, drückt genau im rich­tigen Moment ab und ein wun­der­schönes Foto ent­steht. Das ist die inner­liche Befrie­di­gung eines gelin­genden Kunst­werks.

Es hat den Hauch des Gefähr­li­chen, wenn ich mit dem Gedanken spiele, wäh­rend meiner Ver­let­zung ein Stu­dium zu beginnen. Dabei reizt auch mich die Vor­stel­lung, im Hör­saal zu sitzen, neue Leute ken­nen­zu­lernen und abends auf eine WG-Party zu gehen, ohne daran zu denken, dass ich am nächsten Morgen topfit sein muss. Ich hatte nie den Ein­druck, in meiner Jugend etwas ver­passt zu haben. Ich habe Erfah­rungen gemacht, die nur wenige machen durften. Jetzt aber mani­fes­tiert sich langsam die Tat­sache, dass ich mir eine Alter­na­tive suchen muss zu meinem Plan, Profi zu werden. Wobei: Muss ich das wirk­lich?

Futbol Arte

Zico, Sócrates, Falcão – sie hatten die beste Mann­schaft der Welt. Warum nur gewannen die Bra­si­lianer in den Acht­zi­gern keine WM?

Ich betreibe vor­erst ein flei­ßiges Selbst­stu­dium, lese. Denn dank der vielen Buch­spenden, die ich erhalten habe seit ich bei Twitter Ein­blicke in mein Leben gebe, kann ich meine Woh­nung bald Biblio­thek nennen. Zwi­schen­durch ver­suche ich mich am Schreiben, zum Bei­spiel für 11FREUNDE. Ich war in der Zei­tung und habe mit dem ZDF gedreht. Dieser Kreuz­band­riss hat mich schon jetzt ver­än­dert. Er hat mir die Gele­gen­heit geschenkt, mich selbst zu reflek­tieren.

Viel­leicht gibt es bes­sere Zeiten, aber diese ist die unsere“, hat Jean Paul Sartre einst gesagt, in einem ganz anderem Kon­text. Für mich klingt es wie eine War­nung, in den nächsten acht bis neun – nein, Stopp – fünf bis sechs Monaten nicht nur auf dem Sofa zu liegen und ver­passten Chancen hin­ter­her­zu­trauern. Und ich könnte behaupten, ich würde die Zeit gut nutzen. Doch ist es das, was ich will? Denn, wenn ich ehr­lich bin, gibt es für mich nur eins: Fuß­ball spielen. Zeit ist begrenzt und die Zeit meiner Kar­riere ist umso begrenzter. Das wird mir durch die Ver­let­zung noch einmal mehr vor Augen geführt.

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