Schiedsrichter Peter Gagelmann hat eine bewegte Saison hinter sich: Beim Spitzenspiel der 2. Bundesliga stellte er vier Spieler vom Platz, das Pokalfinale erlebte er als vierter Offizieller mit. Wir sprachen mit ihm über Bengalos und Tränen in der Kabine.
Peter Gagelmann, Sie haben in dieser Saison insgesamt 19 Erstligapartien geleitet. Sind Sie mit Ihrer Leistung zufrieden?
Peter Gagelmann: Zufrieden sollte man nie sein. Wir Schiedsrichter haben immer den Anspruch, uns stetig zu verbessern. Nach jedem Spiel steht eine ausführliche Analyse auf dem Programm. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir Bundesliga-Schiedsrichter ein sehr gutes Jahr hatten. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn wir in den letzten Wochen der Saison, in denen es um Meisterschaft und Abstieg geht, nicht im medialen Fokus stehen. Und das war diesmal der Fall.
Dafür standen Sie im Mittelpunkt der womöglich härtesten Partie in dieser Saison. Beim Zweitligaspiel des FC Augsburg gegen Hertha BSC haben Sie vier Spieler vom Platz geschickt.
Peter Gagelmann: Das war schon extrem. Kein Schiedsrichter der Welt ist stolz darauf, wenn er so viele Karten zeigen muss. Das Gegenteil ist aber auch kein Qualitätsmerkmal. Es gibt Phasen, da hat man es als Unparteiischer mit drei oder vier hitzigen Partien hintereinander zu tun – viele Gelbe und Rote Karten sind dann nur die logische Folge.
Viel diskutiert wurde zuletzt auch über das Fanverhalten – Morddrohungen am Kölner Trainingsplatz, Ausschreitungen in Frankfurt und immer wieder Leuchtraketen und Bierbecher, die Richtung Spielfeld geworfen werden. Stellen Sie eine negative Entwicklung fest oder handelt es sich um Einzelfälle, die in den Medien dramatisiert werden?
Peter Gagelmann: Ich denke schon, dass sich die Fälle in den letzten Monaten gehäuft haben. Das ist sehr bedenklich und sehr schade. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass wir in der Liga mal wieder einen Zuschauerrekord verzeichnet haben und der Sport insgesamt einen riesigen Stellenwert genießt. Negative Aktionen werfen natürlich einen Schatten auf die Liga. Hunderttausende Fans verhalten sich vorbildlich und wollen sich in den Stadien amüsieren, einige Chaoten sorgen dann leider immer wieder für diese negativen Schlagzeilen. Das ist bitter.
Sie haben auch Spiele in Südkorea und Saudi-Arabien gepfiffen. Verhalten sich die Fans dort anders?
Peter Gagelmann: Wir Deutschen sind im Umgang miteinander offensichtlich rigoroser. Aber es gibt auch ganz andere Beispiele: Schauen Sie nach Griechenland, das ist noch mal eine ganz andere Geschichte?
Was meinen Sie damit konkret?
Peter Gagelmann: Als am 34. Spieltag zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt zum Beispiel bengalische Feuer entzündet wurden, kam Eintracht-Stürmer Theofanis Gekas plötzlich auf mich zu und fragte mich, was denn daran bitteschön so problematisch sei. In Griechenland seien solche Aktionen völlig normal. Man sieht: Wir haben andere Maßstäbe in Deutschland. Und genau das macht die Bundesliga ja auch speziell.
Ist der Umgang auf dem Spielfeld in den vergangenen Jahren in Deutschland respektloser geworden?
Peter Gagelmann: Den Eindruck habe ich nicht. Der Umgang untereinander – auch gegenüber uns Schiedsrichtern – ist meistens von Fairness geprägt. Man kennt sich schließlich.
Anfeindungen von den Rängen, brüllende Trainer an der Seitenlinie und diverse Kameras am Spielfeldrand – wie gehen Sie eigentlich mit dem enormen Druck um?
Peter Gagelmann: Der Druck ist riesig, das stimmt. Nehmen wir zum Beispiel das letzte Spiel in Dortmund: Die Partie ist in fast 200 Länder übertragen worden, einzelne Aktionen können über Abstieg oder Nichtabstieg entscheiden. Dieser gewaltigen Verantwortung ist man sich natürlich bewusst. Aber auf der anderen Seite sind wir Bundesligaschiedsrichter erfahren genug, um diesem Druck standzuhalten.
Würden Sie sich in Ihrer Rolle als Schiedsrichter sicherer fühlen, wenn Ihnen bei entscheidenden Szenen technische Hilfsmittel zur Seite stehen?
Peter Gagelmann: Wir Schiedsrichter wären sicherlich dankbar, wenn wir bei der Frage „Tor oder kein Tor?“ Hilfe bekämen. Bei allen anderen Fragen bin ich aber fest davon überzeugt, dass ein Einsatz der Technik nicht sinnvoll wäre. Es gibt im Laufe eines Spiels viele Situationen, die man nicht nur schwarz oder weiß sehen kann, sondern auch hellgrau oder dunkelgrau. Hier halte ich es für wichtig, dass eine Person da ist, die klare Entscheidungen trifft. Auch Fernsehbilder können manchmal täuschen und verzerren.
Was war das bisherige Highlight Ihrer Karriere?
Peter Gagelmann: Es war auf jeden Fall eine große Ehre, das Finalspiel in Südkorea pfeifen zu dürfen. Ich komme aus dem kleinsten Landesverband (Bremen, d. Red.), da ist es natürlich besonders spannend, wenn man über Grenzen hinweg Erfahrungen sammeln kann. Neue Eindrücke, andere Kulturen – das war schon irre.
Und der negative Höhepunkt?
Peter Gagelmann: Kein konkreter, aber ich erinnere mich an Spiele aus meiner Anfangszeit, die total daneben gegangen sind. Da gab es Momente, in denen ich weinend in der Kabine saß und grübelte. Aber solche Momente kennt wahrscheinlich jeder Schiedsrichter.