Tobias Schweizer, Sie sammeln Fußballstatistiken. Warum?
Ich mag es, Dinge zu vervollständigen. Früher habe ich Telefonkarten gesammelt und natürlich auch Paninibilder. Und im Grunde ist es mit den Statistiken ähnlich wie mit Panini: Man will die Lücken schließen.
Welche Lücken stören Sie denn besonders?
Ich bin Mitglied beim DSFS (Deutscher Sportclub für Fußballstatistiken, d. Red.) und dort Vorsitzender der Arbeitsgruppen DFB-Pokal und Bayerischer Pokal. Für diese Wettbewerbe liegen uns sehr viele Daten vor, aber bei einigen Spielen fehlen uns Details. Ein besonders hartnäckiger Fall ist das Wiederholungsspiel zwischen TuS Neuendorf und den Amateuren von Werder Bremen am 13. September 1978. Endstand 5:2 für Neuendorf. Wir haben alle Spieler, zumindest die Nachnamen. Es fehlt uns aber der Schiedsrichter.
Klingt wie eine Suchmeldung in Aktenzeichen XY.
Aber es ist ja wirklich eines der großen Geheimnisse der DFB-Pokalgeschichte. Genauso fehlt übrigens auch der Schiedsrichter beim Pokalspiel VfR Achern gegen BV Bad Lippspringe am 8. August 1977. Und im Bayrischen Pokal sind noch viel mehr Lücken, besonders vor 1982.
Mit Verlaub: Wen interessiert es überhaupt, wer beim Spiel Neuendorf gegen Werder der Schiedsrichter war?
Man könnte man ja genauso fragen: Wen interessieren Briefmarkensammlungen oder Panini-Hefte? Es geht darum, die Dinge komplett zu haben. Außerdem hat nicht mal der DFB die Daten. Da haben wir schon nachgefragt.
Es geht also um die Schönheit der Ordnung?
Sagen wir es so: Ich liebe die Dinge aufgeräumt und vollständig.
Liegen die Kugelschreiber auf Ihrem Schreibtisch alle im 90-Grad-Winkel zur Kante?
Nur die Dokumente und Ordner, die ich gerade bearbeite, liegen auf dem Schreibtisch.
Sie sammeln Ihre Daten also analog? Es ist doch alles online verfügbar.
So denken viele, es stimmt aber nicht. Gerade im unterklassigen und im Jugendbereich fehlen tausende Statistiken. Wir suchen uns die Daten zusammen, hilfreich sind da vor allem lokale Archive und Bibliotheken, die Regionalausgaben des Kicker und die lokale Sportpresse. Und dann veröffentlichen wir die Ergebnisse in unseren Büchern.
Der DSFS hat hunderte Bücher veröffentlicht. Sie heißen „Landesliga Bayern 1963 – 2012“, „Bezirk Karl-Marx-Stadt 1952 – 1970“ oder „Fußball im Baltischen Sportverband 1933 – 1945“ und sind oft über 500 Seiten dick. Lesen Sie solche Statistik-Schinken wie andere einen Roman?
Ich nutze sie als Nachschlagewerke. Manchmal denke ich zum Beispiel: Wie hat mein Lieblingsverein, der SV Oberfranken Bayreuth, 1979 im Pokal abgeschnitten? Und dann schaue ich nach. Und so wird es vermutlich auch den anderen Mitgliedern des DSFS gehen.
Seit wann gibt es den DSFS eigentlich?
Gegründet wurde er 1971, die ersten Mitglieder fanden sich über eine Annonce im„Kicker“. Der erste Name war Bundesliga-Experten-Club.
Auf der Homepage erfährt man, die erste große Anschaffung war ein Umdrucker im Jahr 1972, mit dem man Abzüge in kleinen Auflagen herstellen konnte. Er kostete den Verein 184 Mark. Im November 1980 folgte die erste Publikation, ein 20-seitiges DIN-A5-Heftchen mit dem Titel„Der HSV – Erfolgsbilanz eines großen Bundesligavereins“.
Lange her. Ich bin Jahrgang 1981 und erst seit 2007 dabei.
In der Printausgabe von 11FREUNDE veröffentlichen wir in einer Serie historische Tabellen. Die Rubrik heißt „Erotikseite“. Passt der Titel?
Bei mir schon. Eine Statistik lässt mich nicht so schnell los. Und wenn man eine seltene und besonders schöne Perle gefunden hat, geht man mit einem guten Gefühl ins Bett.