Nach 13 Jahren für Union und 15 für Hertha BSC verließ Karsten Heine seine Heimatstadt Berlin und wurde Ende 2013 Trainer beim abstiegsbedrohten Chemnitzer FC. Jetzt spielt er um den Aufstieg und im DFB-Pokal gegen Werder Bremen. Ein Gespräch über Erfolg, Glück und die Qualität von Bundesligatrainern.
Karsten Heine, sind Sie im Nachhinein froh, dass Hertha BSC Ihren Vertrag als U23-Trainer im vergangenen Jahr nicht verlängert hat?
So denke ich nicht. Ich hatte schon lange den Wunsch, irgendwann noch mal was anderes zu machen. Der Zeitpunkt der Trennung hat mich allerdings ein wenig überrascht, geradezu irritiert. Glücklicherweise haben wir die Sache inzwischen geklärt. Da bleibt somit nichts hängen.
Sie hätten den Klub, für den Sie über 14 Jahre in verschiedenen Funktionen tätig waren, freiwillig verlassen?
Noch mal: Zu diesem Zeitpunkt war ein Abschied für mich kein Thema, deshalb auch die erwähnten Irritationen. Das Schöne an der Geschichte: Die Verantwortlichen und ich haben alles ausgeräumt und auch heute noch ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Insgesamt war es eine wunderbare Zeit in Berlin.
Hertha-Manager Michael Preetz sagte damals: „Wir wollen mit unser Neuorientierung unseren jungen, talentierten Nachwuchstrainern den Weg nach oben öffnen“. Herr Heine, sind Sie ein Trainer der alten Schule?
(Lacht) Bislang hat man mich eher in die Schublade gesteckt: „Der kann nur gut mit jungen Spielen“. Ich sehe mich weder als Trainer der alten Schule noch bin ich stur oder unbelehrbar. Ich finde es absolut okay, wenn ein Klub sagt, er wolle dem Nachwuchs eine Chance geben. Wenn ich die Lesart weiterführe, könnte man auch sagen: Der Heine hat fünf Jahre einen Trainerposten blockiert. Auch wenn es abgedroschen klingt: Es gibt nur erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Trainer.
Was ist für Sie Erfolg?
Wenn ich die U23-Jungs derart unterstütze und anleite, dass der eine oder andere von ihnen den Sprung in den Profikader schafft, dann ist das ein großer Erfolg. Ebenso ist es ein Erfolg, mit einer Profimannschaft aufzusteigen oder Deutscher Meister zu werden. Dass die zweite Variante deutlich lukrativer ist, steht außer Frage. Dennoch sollte uns bei der Beurteilung immer klar sein: Es gibt unheimlich viele motivierte und zugleich hochprofessionelle Trainer, die nie die Chance erhalten werden, eine Profimannschaft zu trainieren.
Und was wollen Sie damit sagen?
Die Ligazugehörigkeit sagt nicht immer etwas über die Qualität eines Trainers aus. Da kommen nämlich auch die Faktoren Glück, Beziehung und Timing ins Spiel. Ich lehne mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage: Es hat auch in der Bundesliga schon Trainer gegeben, die – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade das Prädikat „überragend“ tragen. (Lächelt)
Was machen die jungen, modernen Trainer heute anders als die Generationen zuvor?
Das kann ich schwer beurteilen. Abgesehen von ein paar Trainingsmethoden hat sich meiner Einschätzung nach nicht viel verändert. Der eine Trainer legt mehr Wert auf Ballbesitz, der andere auf schnelles Konterspiel. Ein guter Trainer entscheidet sich für ein System, das zu seinen Spielern passt. Deren Qualitäten sollten ausschlaggebend sein, ob er eher eine offensive oder defensive Ausrichtung wählt.
Welcher Trainer fällt Ihnen da spontan ein?
Jupp Heynckes! Ein Paradebeispiel. Er hat mit 68 alle Titel geholt, die man auf Vereinsebene holen kann. Er wusste genau, wann er welche Taktik wählen muss. Ich hatte nie den Eindruck, Heynckes gehe mit der Einstellung durchs Leben, er wisse alles besser. Die übliche Journalistenphrase, „Der Trainer ist zu alt, er spricht nicht mehr die Sprache der Spieler“ ist ohnehin Schwachsinn. Es ist doch in jedem Beruf gleich: Wer sich nicht weiterentwickelt, wer nicht mit der Zeit geht, der stößt irgendwann an Grenzen. Ich muss aber auch nicht jedes Modewort kennen, um gut mit den Jungs zurechtzukommen.
Ist es für junge Spieler mittlerweile schwieriger, nach oben zu kommen?
Die Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren hat sich in den vergangenen zehn Jahren hervorragend entwickelt. Ein talentierter und zugleich ehrgeiziger Spieler hat es heutzutage vermutlich leichter, auf sich aufmerksam zu machen. Die Spieler werden inzwischen schon in jungen Jahren exzellent betreut, sie werden individuell gefördert und ihnen wird im Alltag viel abgenommen. Der Sprung in den Profibereich war früher eher schwieriger.
Im Jahr 2005 – Sie waren damals Trainer der Hertha-Amateure – stießen die Boateng-Brüder zur Mannschaft. War Ihnen schon zu jener Zeit klar, dass beide später eine derart erfolgreiche Profikarriere hinlegen würden?
Es hätte sehr viel schiefgehen müssen, damit es Kevin-Prince und Jerome nicht in die internationale Spitze schafften. Mich hat die Entwicklung der beiden in keiner Weise überrascht, denn sie waren schon in jungen Jahren extrem ehrgeizig. Sie hatten immer den Anspruch, die Besten zu sein. Egal, wie, wann oder wo – die wollten immer gewinnen! Sie können sich nicht vorstellen, wie deren Stimmung sank, wenn sie ein kleines Trainingsspiel verloren.
Keinerlei Bequemlichkeit?
Zumindest nicht auf dem Spielfeld. Dieser Siegeswille hat mich schon damals beeindruckt. Die haben sich nie zurückgelehnt, wenn es mal nicht so lief. Das kann man wahrlich nicht von jedem Spieler behaupten. Ich bin überzeugt, Kevin-Prince und Jerome würden gern noch mal irgendwann zusammenspielen.
Haben Sie denn noch Kontakt zu den beiden?
Nein. Ich habe Jerome mal auf einer Geburtstagsfeier getroffen, das war’s. Jeder macht sein Ding, das ist völlig normal. Ich verfolge die Entwicklung meiner ehemaligen Spieler aber ganz genau.
Und was ist Ihnen zuletzt bei Jerome Boateng aufgefallen?
Er hat einen Riesensprung nach vorn gemacht. Noch vor wenigen Jahren hatte er innerhalb der 90 Minuten immer wieder den einen oder anderen Bock drin. Unmotivierte Fouls und Stellungsfehler, das gehörte meist dazu. All das hat er inzwischen abgestellt. In seinen ersten Bundesligajahren war er nicht abgeklärt genug. Dass seine überragende Schnelligkeit seit jeher zu seinen großen Stärken zählt, muss ich nicht erwähnen. Zudem ist er beidfüßig und sehr athletisch. Aber keine Sorge, ich höre jetzt auf mit der Schwärmerei. (Lacht)