David Weatherston war einmal ein talentierter Nachwuchsprofi — bis ihn psychische Erkrankungen aus der Bahn warfen. Der Fußball hat ihn seine Gesundheit gekostet.
David Weatherston ist unruhig, wirkt ein wenig nervös. Seine Stimme zittert leicht, von Zeit zu Zeit lacht er verlegen. Er spricht noch immer nicht gerne über sein Seelenleben. Viele Jahre hat er gar nicht darüber gesprochen, wenn dann überhaupt mit seiner Frau. Aber leichter fällt es ihm zu reden, wenn auch sie nicht im Raum ist.
Nervös. Das ist ohnehin so ein Gefühl, das Weatherston zur Genüge bekannt ist. Zumindest ist es der Begriff geworden, mit dem er die Vergangenheit und auch noch immer die Gegenwart umreißt. Wenn er „nervös“ sagt, meint er mehr als diese leichte Aufregung und Anspannung; die Nervosität, die jeder kennt. Weatherston hingegen leidet seit zehn Jahren unter Angststörungen und Depressionen.
Wenn die Angst nicht wäre
Während Weatherston erzählt, sitzt er in seinem Wohnzimmer im norwegischen Levanger, einem 10.000-Einwohner-Nest, eineinhalb Autostunden nördlich von Trondheim gelegen. Im Nachbarort hat er mittlerweile seine Karriere als Fußballer beendet, mit nur 29 Jahren, in der dritten Liga Norwegens. Dabei hätte er aus rein sportlicher Sicht noch problemlos bestehen können — auch in höheren Spielklassen.
Wenn die Angst nicht wäre. Erstmals trifft sie ihn vor zehn Jahren. Weatherston hat 2007 seinen Heimatverein verlassen, um bei St. Johnstone FC in der zweiten schottischen Liga seine ersten Schritte im professionellen Fußball zu gehen. Er spielt einige ordentliche erste Spiele, verletzt sich dann aber und ist unter dem zwischenzeitlich neu installierten Coach nicht mehr erste Wahl.
Beine wie Gelee
Als Weatherston plötzlich wieder in der Startelf stehen soll, ist nichts wie vorher. Er erinnert sich: „Wir waren im Auto auf dem Weg, ich saß hinten. Ich habe mich gefühlt, als ob ich krank sei. Ich habe es versucht, aber ich konnte nicht essen. Ich konnte kaum mit meinen Freunden reden, war damit beschäftigt an all die schlechten Dinge zu denken, die passieren könnten. Mir war kalt und gleichzeitig habe ich geschwitzt.“
Auch auf dem Feld wird es nicht besser: „Ich fühlte mich schrecklich. Während des Aufwärmens bin ich alle zwei Minuten auf die Toilette gegangen. Nach fünf Minuten im Spiel war ich platt, habe schwer geatmet. Meine Beine fühlten sich wie Gelee an. Dabei war ich 21 und absolut fit — so fit wie man nur sein kann.“
Seit diesem Erlebnis lässt ihn das Gefühl nicht mehr los. Weatherston wechselt am Ende der Saison zum Liga-Konkurrenten Queen of the South, drei Jahre später zu Falkirk. Hier erlebt er zwar die „besten neun Monate“ seiner Karriere. Er spielt viel, im schottischen Pokal scheitert Falkirk erst im Halbfinale knapp an Celtic. Seine Ängste scheinen fast verschwunden.
Doch der Schein trügt. Als Weatherston sich verletzt, holen ihn auch die Zweifel wieder ein. Weg waren sie wohl nie, meint er, aber er habe sie für einige Zeit auch vor sich selbst verbergen können. Jetzt treffen sie ihn umso härter. Ihm fehlt das Selbstbewusstsein, um seiner Karriere noch einmal einen Anschub zu verpassen. Kurzerhand wechselt er in den Amateurbereich, wird aber auch dort nicht glücklich: „Ich hatte überhaupt keine Energie, dachte, ich kann nicht einmal auf diesem Level mithalten.“ Trotzdem versucht er es noch einmal im professionellen Fußball. Wieder verfolgen ihn Verletzungen.
Damit die Seele sich erholen kann
Weatherston glaubt, seine psychische Verfassung sei mitursächlich für sein Verletzungspech. Physisch sei er immer fit gewesen, mental aber nicht – und sein Körper habe darauf reagiert. Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der „Vereinigung der Vertragsfußballer“ in Deutschland — der Spieler-Gewerkschaft —, hat einige Erfahrung mit depressiven Fußballern. Im Gespräch mit 11FREUNDE sieht auch er einen Zusammenhang: „Psychische Erkrankungen können sich beispielsweise auf die Muskulatur auswirken. Der Körper streikt, damit sich die Seele erholen kann. Aber es kann natürlich auch andersherum laufen. Es bedingt sich gegenseitig.“
Weatherston hat davon irgendwann genug. Er schafft es nicht mehr sich für den Fußball zu motivieren, sieht keinen Sinn in seiner Karriere. Seine Frau ist Norwegerin, er beschließt mit ihr in ihre Heimat zu ziehen. Aber selbst dort, fernab der großen Fußballwelt, ist der Druck zu groß, um die Freude am Spiel zurückzugewinnen. Er sagt: „Ich habe mich gefühlt, als wäre es das Ende. Ich habe gut trainiert, aber nicht gespielt. In mir drinnen habe ich mich nie gut gefühlt.“
Also trifft Weatherston die Entscheidung, die ihm unumgänglich scheint und doch schmerzt. Mit der Fußball-Karriere ist es vorbei. „Ich liebe alles an Fußball, ich rede den ganzen Tag über Fußball, aber ich hasse das Gefühl, dass er in mir auslöst“, erzählt er. Wenn die Krankheit nicht wäre, hätte er eigentlich erfolgreicher und höherklassiger spielen können, glaubt Weatherston. Seine besten Spiele macht er ausgerechnet gegen Celtic, Dundee und die Rangers — die renommierten Namen des schottischen Fußballs.
„Es ist seltsam, komplett irrational. Du kannst nicht kontrollieren, wie es sich anfühlt“, berichtet er. Die Angst war einfach plötzlich da und wurde größer, wenn er sich ihr hingab. Dann begann er sich zu hinterfragen: „Anstatt auf die guten Dinge zu blicken, habe ich mich nach den Spielen immer selbst analysiert: Ich hätte das machen sollen, ich hätte dies machen sollen.“
Fußball hilft nicht
Am Anfang denkt Weatherston, das sei ein wenig ungewöhnlich, aber im Grunde ganz normal. Zumal die Ängste mal größer und mal kleiner sind. Aber als sie auch auf sein Privatleben übergreifen, merkt er, dass etwas nicht stimmt. Soziale Zusammenkünfte, selbst der Urlaub mit den besten Freunden beunruhigen ihn plötzlich. Trotzdem bleiben Depression und Fußball für ihn stets verknüpft.
„Es war nicht auf den Fußball beschränkt, aber dass ich Fußball gespielt habe, hat auch nicht geholfen“, sagt er. Im Gegenteil: „Die Umgebung hat es schlechter gemacht“. Im Fußball sei doch jeder in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Zwar hänge die Mannschaft tagtäglich aufeinander, Freundschaften seien aber selten. Sobald er den Verein wechselte, war es, als sei er niemals dagewesen, meint Weatherston.
Nie mehr wie vorher
Die Härte und Konkurrenz des Fußballgeschäfts setzen Weatherston ungemein zu. Er sieht keine Möglichkeit sich zu öffnen oder über seine psychische Verfasstheit zu sprechen, befürchtet gar, ausgelacht zu werden. Seine Ängste frisst er also lieber in sich hinein: „Es wurde nie mehr wie es vor dem Fußball war.“
Er hätte viel eher über seine Krankheit sprechen sollen, sagt Weatherston heute. Aber er nimmt es hin, wenn seine Trainer ihn aussortierten, ohne diese über seine Probleme aufzuklären. Lange redet er gar nicht darüber, auch nicht außerhalb des Sports: „Ich dachte, ich sei die einzige Person, die sich so fühlt. Es gab niemanden, dem ich genug vertraut hätte, um mich zu erklären.“ Deshalb sucht er auch nicht nach Hilfe, von sportpsychologischen Angeboten erfährt er nicht.
Für Ulf Baranowksy von der Spieler-Gewerkschaft ist das auch ein hausgemachtes Problem. Noch immer ist die mangelnde psychologische Betreuung eines der größten Hindernisse, weshalb depressive Fußballer ihre Erkrankung für sich behalten, kritisiert er. Hinzu komme der Druck der Öffentlichkeit und im Verein — also die (für einen Profi-Spieler existentielle) Angst, künftig nicht mehr berücksichtigt zu werden.
Auch David Weatherston schafft es erst nach seinem Karriereende, sich öffentlich zu outen. Dieser Schritt kostet ihn viel Energie und Überwindung. Der Artikel, den er auf seinem Blog und später unter der Überschrift „The dressing room is a tough place to be if you have anxiety or depression“ (Die Kabine ist ein harter Ort, wenn du Angststörungen oder Depressionen hast) im „Guardian“ veröffentlicht, liegt monatelang in seiner Schublade. In der Zwischenzeit bekennt sich der ehemalige englische Nationalkeeper Chris Kirkland ebenfalls öffentlich zu seiner Depression.
Weatherston zeigt sich von Kirklands Worten bewegt: „Ich habe es gelesen und dachte: ›Das ist genauso, wie ich mich fühle‹.“ Auch mit Robert Enkes Geschichte beschäftigt er sich. Trotzdem zögert er die Veröffentlichung seines Artikels immer wieder hinaus. Als er es endlich doch macht, melden sich alte Mitspieler und Trainer bei ihm ebenso wie völlig fremde Fußballprofis. Manche sagen, ihnen geht es ganz genauso — und auch sie fürchten sich vor den Reaktionen im Falle eines Outings. Weatherston jedenfalls hilft das Sprechen. Es sei die beste Therapie, sagt er.
Ein langer Weg
Bis hierhin war es ein langer Weg. Seine Karriere ist wenig mehr als geprägt vom Zurechtkommen mit der Krankheit, dem Versuch, sich nicht völlig überwältigen lassen. Ein Anpassen an die Situation. Weatherston seufzt und sagt, man gewöhne sich irgendwann an die Gefühle. Auf dem Platz hilft es ihm, sich an den schieren Fakt zu erinnern, dass er eigentlich physisch fit ist — auch wenn er sich nicht so fühlt. Er eignet sich kleine Tricks an, um seine Ängste zu beherrschen, etwa indem er sich Videos von seinen Toren ansieht. Auch seinen Körper zu kontrollieren, gelingt ihm bisweilen: „Wenn du jeden Samstag das gleiche Gefühl hast, lernst du irgendwann: ›Wenn ich esse, werde ich nicht krank‹. Also habe ich mich zum Essen gezwungen, weil ich die Energie brauche. Du musst nur einen Weg finden, um durchzukommen. Ich realisierte, ich kann mich zum Essen zwingen.“
Dann aber geht es nicht mehr. Brechin, seine letzte Station in Schottland, gibt ihm „den Rest“. Weatherston hat den Fußball, seine Leidenschaft, an die Krankheit verloren. Die belastet ihn noch immer, aber es ist nicht annähernd mehr so schlimm, wie es im Fußball war, sagt er. Vielleicht kehrt er eines Tages zurück, wenn es ihm wirklich besser geht, aber das ist Zukunftsmusik. Gesund werden, das ist derzeit das primäre Ziel.