Zum Tag der Freude: Nationalspieler Robin Gosens über die schönste Fete seiner Karriere.
Und genau so ging es auch weiter. Gegen Donezk zu Hause fingen wir uns in der 95. Minute einen Konter und verloren mit 1:2, in Manchester gab es dann noch mal fünf Stück. Ich dachte nur: War ein schöner Traum, diese Champions League, jetzt ist er aber aus. Den Abend in Manchester habe ich trotzdem in guter Erinnerung. Zum einen haben wir eigentlich echt ordentlich gespielt – zum anderen habe ich danach Ilkay Gündogan ein bisschen kennengelernt. Ein richtig feiner Kerl. Ich ging nach dem Spiel zu ihm, um die Trikots zu tauschen. Er war total verdutzt: „Wieso kannst du denn so gut Deutsch?“ Er hatte keine Ahnung, wer ich war. Bei solchen Begegnungen merke ich immer wieder, was für eine kleine Leuchte ich im deutschen Fußball noch bin. Und wie geil das ist, dass sich einer wie ich plötzlich gegen diese Weltklassespieler beweisen darf.
Nach der Hinrunde hatten wir nichts mehr zu verlieren. Noch nie hatte sich eine Mannschaft nach drei Niederlagen zum Start noch für die K.O.-Phase qualifiziert. Das Ziel war also klar: Wir wollten uns mit Anstand verabschieden. Mehr nicht. Gegen ManCity holten wir zu Hause einen Punkt, gegen Zagreb zeigten wir eine starke Leistung und gewannen mit 2:0. Plötzlich war da wieder eine Chance, international zu überwintern. Vielleicht sogar in der Champions League!
„Als wären wir gerade Weltmeister geworden“
Ich habe unsere Mannschaft noch nie so fokussiert erlebt wie in den Tagen vor dem Donezk-Spiel. Allen war klar: Wir können hier etwas ganz Besonderes schaffen. Am Tag vor dem Spiel hielt unser Präsident Antonio Percassi eine leidenschaftliche Ansprache. Er stand vor uns und sagte: „Wenn ihr das gewinnt und wir mit Atalanta ins Achtelfinale einziehen – dann schreibt ihr Geschichte. Dann zieht ihr in die Herzen Bergamos ein. Für immer!“ Danach hat es richtig geknistert. Alle hatten Bock. Wir wollten gewinnen – für uns und für die Stadt. Das Spiel selber lief dann auch ziemlich glatt. Ich habe schon in den ersten Zweikämpfen gemerkt: Wir sind heißer als die. Wir ließen hinten nichts anbrennen und erzielten vorne Mitte der zweiten Halbzeit das erlösende 1:0. Wenig später erhöhten wir auf 2:0. Dann kam mein großer Auftritt.
Es lief schon die Nachspielzeit und ich schaltete mich noch mal vorne mit ein. Doch die Flanke kam nicht an und ich hatte danach keine Kraft mehr, noch mal nach hinten zu sprinten. Ich schlenderte also einfach nur langsam zurück. Doch plötzlich kam noch mal eine Bogenlampe in den Strafraum geflogen – und der Verteidiger hatte mich in seinem Rücken vergessen. Er wollte den Ball zum Torwart klären, ich spekulierte wie ein Torjäger, spitzelte dazwischen und traf zum 3:0. Die endgültige Entscheidung. Mein erstes Champions-League-Tor! Die Sekunden danach werde ich nie vergessen. Wie ich jubelnd abdrehe und zu unserer Bank schaue. Wie dort alle aufspringen und losbrüllen. Wie die komplette Mannschaft und alle Betreuer auf mich zustürmen, meine Schweizer Gang um Berat Djimsiti und Remo Freuler, mein Kapitän Papu Gomez, mein Trainer Gian Piero Gasperini. Als wären wir gerade Weltmeister geworden. Gänsehaut.
In der Kabine wurde dann alles, was wir an Getränken finden konnten, durch die Gegen gespritzt. Und die Mucke voll aufgedreht. Wie gesagt: eine gute Party. Die im Flieger weiterging – und in Bergamo noch mal richtig Fahrt aufnahm. Im Landeanflug auf Bergamo hatte unser Fanbeauftragter gesagt: „Jungs, ich habe eine Nachricht bekommen. Die Fans erwarten uns am Flughafen.“ Und ich hatte gedacht, da stünden vielleicht 20 Leute rum, Verwandte von uns oder Freunde. Es war immerhin 04:00 Uhr Nachts an einem Mittwoch, die Menschen mussten am nächsten Tag ja wieder früh raus. Aber nix da. Uns erwarteten, Achtung, 5000 Fans. Mitten in der Nacht. An einem Flughafen. Mit Bangalos, Fahnen und Spruchbändern. Der Mannschaftsbus holte uns direkt vom Rollfeld ab, dann fuhren wir durch die Massen, als würden wir eine Meisterschaft feiern. Wir trommelten gegen die Scheiben, wir sangen mit den Fans, der Busfahrer hupte im Takt. Ich schaute in die glücklichen Gesichter all dieser Menschen und mir wurde klar: Wir haben hier wirklich etwas Historisches erreicht. Etwas, was diese Stadt nicht vergessen wird.
Die Menschen sprechen voller Stolz über unsere Mannschaft. Sie sagen, wir hätten ihnen ein Geschenk gemacht. Ein Fan hat seinen Hundewelpen nach mir benannt. Es ist total irre. Umso mehr schmerzt mich das, was derzeit hier passiert. Umso stärker hoffe ich, dass das Leid schnell endet. Dass sich die Lage entspannt. Dass sich dieses Virus verzieht. Manche der Menschen, die noch vor wenigen Wochen glücklich mit uns am Flughafen feierten, kämpfen jetzt um ihr Leben. Da rückt alles andere in den Hintergrund.