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Seite 2: „Wieso kannst du denn so gut Deutsch?“

Und genau so ging es auch weiter. Gegen Donezk zu Hause fingen wir uns in der 95. Minute einen Konter und ver­loren mit 1:2, in Man­chester gab es dann noch mal fünf Stück. Ich dachte nur: War ein schöner Traum, diese Cham­pions League, jetzt ist er aber aus. Den Abend in Man­chester habe ich trotzdem in guter Erin­ne­rung. Zum einen haben wir eigent­lich echt ordent­lich gespielt – zum anderen habe ich danach Ilkay Gün­dogan ein biss­chen ken­nen­ge­lernt. Ein richtig feiner Kerl. Ich ging nach dem Spiel zu ihm, um die Tri­kots zu tau­schen. Er war total ver­dutzt: Wieso kannst du denn so gut Deutsch?“ Er hatte keine Ahnung, wer ich war. Bei sol­chen Begeg­nungen merke ich immer wieder, was für eine kleine Leuchte ich im deut­schen Fuß­ball noch bin. Und wie geil das ist, dass sich einer wie ich plötz­lich gegen diese Welt­klas­se­spieler beweisen darf. 

Nach der Hin­runde hatten wir nichts mehr zu ver­lieren. Noch nie hatte sich eine Mann­schaft nach drei Nie­der­lagen zum Start noch für die K.O.-Phase qua­li­fi­ziert. Das Ziel war also klar: Wir wollten uns mit Anstand ver­ab­schieden. Mehr nicht. Gegen Man­City holten wir zu Hause einen Punkt, gegen Zagreb zeigten wir eine starke Leis­tung und gewannen mit 2:0. Plötz­lich war da wieder eine Chance, inter­na­tional zu über­win­tern. Viel­leicht sogar in der Cham­pions League!

Als wären wir gerade Welt­meister geworden“

Ich habe unsere Mann­schaft noch nie so fokus­siert erlebt wie in den Tagen vor dem Donezk-Spiel. Allen war klar: Wir können hier etwas ganz Beson­deres schaffen. Am Tag vor dem Spiel hielt unser Prä­si­dent Antonio Per­cassi eine lei­den­schaft­liche Ansprache. Er stand vor uns und sagte: Wenn ihr das gewinnt und wir mit Ata­lanta ins Ach­tel­fi­nale ein­ziehen – dann schreibt ihr Geschichte. Dann zieht ihr in die Herzen Ber­gamos ein. Für immer!“ Danach hat es richtig geknis­tert. Alle hatten Bock. Wir wollten gewinnen – für uns und für die Stadt. Das Spiel selber lief dann auch ziem­lich glatt. Ich habe schon in den ersten Zwei­kämpfen gemerkt: Wir sind heißer als die. Wir ließen hinten nichts anbrennen und erzielten vorne Mitte der zweiten Halb­zeit das erlö­sende 1:0. Wenig später erhöhten wir auf 2:0. Dann kam mein großer Auf­tritt. 

Es lief schon die Nach­spiel­zeit und ich schal­tete mich noch mal vorne mit ein. Doch die Flanke kam nicht an und ich hatte danach keine Kraft mehr, noch mal nach hinten zu sprinten. Ich schlen­derte also ein­fach nur langsam zurück. Doch plötz­lich kam noch mal eine Bogen­lampe in den Straf­raum geflogen – und der Ver­tei­diger hatte mich in seinem Rücken ver­gessen. Er wollte den Ball zum Tor­wart klären, ich spe­ku­lierte wie ein Tor­jäger, spit­zelte dazwi­schen und traf zum 3:0. Die end­gül­tige Ent­schei­dung. Mein erstes Cham­pions-League-Tor! Die Sekunden danach werde ich nie ver­gessen. Wie ich jubelnd abdrehe und zu unserer Bank schaue. Wie dort alle auf­springen und los­brüllen. Wie die kom­plette Mann­schaft und alle Betreuer auf mich zustürmen, meine Schweizer Gang um Berat Djim­siti und Remo Freuler, mein Kapitän Papu Gomez, mein Trainer Gian Piero Gas­pe­rini. Als wären wir gerade Welt­meister geworden. Gän­se­haut.

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In der Kabine wurde dann alles, was wir an Getränken finden konnten, durch die Gegen gespritzt. Und die Mucke voll auf­ge­dreht. Wie gesagt: eine gute Party. Die im Flieger wei­ter­ging – und in Ber­gamo noch mal richtig Fahrt auf­nahm. Im Lan­de­an­flug auf Ber­gamo hatte unser Fan­be­auf­tragter gesagt: Jungs, ich habe eine Nach­richt bekommen. Die Fans erwarten uns am Flug­hafen.“ Und ich hatte gedacht, da stünden viel­leicht 20 Leute rum, Ver­wandte von uns oder Freunde. Es war immerhin 04:00 Uhr Nachts an einem Mitt­woch, die Men­schen mussten am nächsten Tag ja wieder früh raus. Aber nix da. Uns erwar­teten, Ach­tung, 5000 Fans. Mitten in der Nacht. An einem Flug­hafen. Mit Bangalos, Fahnen und Spruch­bän­dern. Der Mann­schaftsbus holte uns direkt vom Roll­feld ab, dann fuhren wir durch die Massen, als würden wir eine Meis­ter­schaft feiern. Wir trom­melten gegen die Scheiben, wir sangen mit den Fans, der Bus­fahrer hupte im Takt. Ich schaute in die glück­li­chen Gesichter all dieser Men­schen und mir wurde klar: Wir haben hier wirk­lich etwas His­to­ri­sches erreicht. Etwas, was diese Stadt nicht ver­gessen wird.

Die Men­schen spre­chen voller Stolz über unsere Mann­schaft. Sie sagen, wir hätten ihnen ein Geschenk gemacht. Ein Fan hat seinen Hun­de­welpen nach mir benannt. Es ist total irre. Umso mehr schmerzt mich das, was der­zeit hier pas­siert. Umso stärker hoffe ich, dass das Leid schnell endet. Dass sich die Lage ent­spannt. Dass sich dieses Virus ver­zieht. Manche der Men­schen, die noch vor wenigen Wochen glück­lich mit uns am Flug­hafen fei­erten, kämpfen jetzt um ihr Leben. Da rückt alles andere in den Hin­ter­grund.