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Sie ist schon wieder allein unter Män­nern. »Reiner Zufall«, sagt Nicole Petignat. In der Schweiz würden beim Roll­stuhl­bas­ket­ball nor­ma­ler­weise Männer und Frauen zusammen in einem Team spielen. Der CFR Jura leide aber unter akutem Frau­en­mangel. Dass sie es als Trai­nerin eines Behin­der­ten­sport-Teams nur mit Ver­tre­tern des starken Geschlechts zu tun habe, dürfe bitte nicht als wei­terer Ver­such miss­ver­standen werden, in die Män­ner­welt ein­zu­dringen.


 
Dabei liegt der Schluss nahe. Neun Jahre lang hat sich Nicole Petignat als Schieds­rich­terin in der höchsten Schweizer Männer-Fuß­ball­liga behauptet, trotz aller Wid­rig­keiten. Vor vier Wochen beim Spiel Neu­chatel Xamax gegen den FC Basel zeigte die zier­liche Frau mit dem blonden Pfer­de­schwanz Basels Franco Cos­tanzo die Rote Karte und der wie­derum Petignat den Vogel.
 
»Ich konnte mir ein­fach keine neuen Ziele mehr als Schieds­rich­terin setzen«


Es war nach 91 Par­tien in der Schweizer Super League und zwei Uefa-Cup-Ein­sätzen der letzte Auf­tritt der 42-Jäh­rigen im Pro­fi­fuß­ball. Nicole Petignat betont, ihr Ent­schluss, die Kar­riere zu beenden, habe weder etwas mit Cos­tanzos Geste noch mit den anderen Anfein­dungen zu tun, die sie in all den Jahren ertragen musste. »Ich konnte mir ein­fach keine neuen Ziele mehr als Schieds­rich­terin setzen«, begründet sie den Rück­tritt, den sie am Tag nach dem Spiel in Neu­chatel der ver­dutzten Öffent­lich­keit mit­teilte. »Als ich für die Partie Xamax gegen Basel auf­ge­boten wurde, wusste ich, das ist der rich­tige Zeit­punkt zum Auf­hören. Damit schloss sich der Kreis.« Denn mit der Lei­tung der Partie Xamax gegen Basel hatte am 30. Mai 1999 der Sturm der Män­ner­bas­tion begonnen.
 
Petignat, die nach der Tren­nung vom marok­ka­ni­schen Spieler Mohammed Mouidi einige Zeit mit Urs Meier das Schieds­richter-Traum­paar bil­dete, hat die Ent­schei­dung bereits vor län­gerem getroffen. Sie behielt die Rück­tritts­ge­danken aber bis zuletzt für sich. Damit der Fokus auf das Spiel und nicht auf sie, die Frau in der Män­ner­do­mäne Fuß­ball, gerichtet war. »Es geht nicht um mich, son­dern um den Fuß­ball«, sagt die Pio­nierin. »Das war von Anfang an so.«

Aber natür­lich ging es auch immer wieder um Nicole Petignat, die Frau, nach deren Pfeife die hoch­be­zahlten Profis auf dem Rasen zu tanzen hatten, ein Unding in der Macho-Fuß­ball­welt. Der erst kürz­lich von Alex­ander Frei abge­löste Schweizer Rekord­tor­schütze Kubilay Tür­ky­ilmaz sprach einmal aus, was viele Zuschauer, Spieler und Trainer heute noch denken: »Frauen sind nicht in der Lage, das Spiel zu lesen und zu ver­stehen, wie Männer das tun.«
 
Nicole Petignat hat oft genug das Gegen­teil bewiesen, auch wenn ihr sicher nicht alles gelungen ist. »Klar, hatte ich schlechte Tage, die hat jeder Schieds­richter«, sagt die Phy­sio­the­ra­peutin mit zwei eigenen Praxen. »Bei mir haben aber die Zei­tungen eine Woche lang dar­über geschrieben: Bei einem männ­li­chen Kol­legen war eine Fehl­ent­schei­dung spä­tes­tens nach zwei Tagen ver­gessen.« Von den Spie­lern fühlte sie sich größ­ten­teils akzep­tiert, von den Jour­na­listen nicht. Letz­tere warfen ihr unter anderem einen Hang zur Selbst­in­sze­nie­rung auf dem Fuß­ball­platz vor.
 
Bei aller Kritik macht Nicole Petignat kei­nes­falls einen ver­bit­terten Ein­druck. Über vieles kann sie schmun­zeln. Zum Bei­spiel über den Schmähruf »Nicole an den Herd«, der zum Stan­dard­re­per­toire Schweizer Fuß­ball­fans zählte. »Kein Pro­blem«, sagt Petignat. »Ich koche wirk­lich gern.« Sie spricht von einem Schutz­schild, den sie schnell auf­ge­baut habe. Schlag­fer­tig­keit zählte zu den Ver­tei­di­gungs­stra­te­gien. Als Petignat einmal einen über­harten Ein­satz ahn­dete und sich der Sünder echauf­fierte, man sei hier nicht beim Frau­en­fuß­ball, nahm sie das erst kom­men­tarlos hin. Später, nach einem kläg­li­chen Schuss­ver­such des Roh­lings, gab sie ihm mit auf den Weg: »Zum Glück ist es kein Frau­en­fuß­ball. Danach«, so Petignat, »war er ruhig.«
 
Die hart­nä­ckige Juras­sierin betont immer wieder, den Weg in den Män­ner­fuß­ball frei von femi­nis­ti­schen Motiven gesucht und gefunden zu haben. Es ist die Fas­zi­na­tion des Spiels, die Span­nung und die Energie, die Nicole Petignat nach eigenen Worten in den Bann gezogen hat. Sie, die als Teen­agerin eine Mäd­chen­fuß­ball­mann­schaft gründen wollte, aber am Des­in­ter­esse der Freun­dinnen schei­terte und des­halb die Schieds­rich­t­er­lauf­bahn ein­schlug.
 
Als nun Nicole Petignat über­ra­schend deren Ende bekannt gab, erhielt sie viele E‑Mails und Kurz­mit­tei­lungen, auch von Spie­lern. »Die haben mir zu einer tollen Kar­riere gra­tu­liert«, erzählt Petignat. »Ich denke, dass ich mir viel Respekt erworben habe.« Urs Meier jeden­falls stellt seiner Ex-Lebens­ge­fährtin in fach­li­cher Hin­sicht ein sehr gutes Zeugnis aus. »Wäre sie ein Mann gewesen«, glaubt er, »hätte sie es auf inter­na­tio­nalem Niveau weiter gebracht.«