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Vedad Ibi­sevic, Ihr Pro­fi­leben ist eine Odyssee: Sie haben in Bos­nien, den USA, in Frank­reich und Deutsch­land gespielt. Der VfB Stutt­gart ist der zehnte Klub in Ihrer Lauf­bahn. Ist der Fuß­ball Ihre Heimat?
Sicher gibt mir der Fuß­ball ein Zuhause, aber Bos­nien wird immer meine Heimat bleiben. Da bin ich geboren und habe meine prä­genden ersten Lebens­jahre erlebt.

Können Sie dieses Hei­mat­ge­fühl beschreiben?
Wenn ich in meinen Geburtsort Vla­se­nica komme, fällt mir auf, dass es dort noch so riecht, wie in meiner Kind­heit. So rau­chig, irgendwie beson­ders, unver­gess­lich.

Seit 2007 leben Sie in Baden-Würt­tem­berg. Ist diese Region auch ein Zuhause?
Sonst wäre ich nicht so lange geblieben. Ich fühle mich in Deutsch­land sehr wohl und kann mir sogar vor­stellen, nach dem Ende meiner Kar­riere hier zu leben.

Die Stutt­garter Zei­tung“ schrieb über Sie: Er ist keine Plau­der­ta­sche, aber auch kein Schweiger. Weder über­trieben freund­lich noch unfreund­lich, weder arro­gant noch bescheiden.“ Sind Sie der Mann ohne Eigen­schaften?
Jede Situa­tion im Leben ver­langt nach einem kor­rekten Ver­halten. Was ich damit sagen will: Ich kann meine Cha­rak­ter­züge auch bestimmten Situa­tionen unter­ordnen. So ent­steht viel­leicht dieses Bild in den Medien.

Sind Sie ein miss­traui­scher Mensch?
Ich habe in meinem Leben viele schlechte Erfah­rungen gemacht. Wenn man als junger Mann in dieses Geschäft kommt, stürzt vieles auf einen ein. Aber ich würde mich nicht grund­sätz­lich als miss­trau­isch bezeichnen.

Was für nega­tive Erfah­rungen?
Im Fuß­ball gibt es viel Geld zu ver­dienen. Ich habe erlebt, dass Leute ver­suchten, mich über den Tisch zu ziehen. Damals gab es nie­manden, der mir einen Rat geben konnte. Meine Eltern hatten kei­nerlei Erfah­rungen in diesem Geschäft. Also musste ich erst Fehler machen, um wach­samer zu werden.

Haben Sie den­noch Freunde im Fuß­ball?
Es ist sehr schwierig, als Profi Freunde zu finden. Aber ich habe schon Leute, mit denen ich Pro­bleme bespre­chen kann.

VfB-Manager Fredi Bobic würde wohl Kras­simir Balakow nennen, wenn man ihn nach einem Freund im Fuß­ball fragt.
Bei mir ist es Sejad. Mit Sejad Sali­hovic spiele ich schon sehr lange zusammen, wir kennen uns aus Hof­fen­heim und aus der Natio­nalelf. Wir sind sehr gute Kum­pels.

Vor 13 Jahren emi­grierten Sie mit Ihren Eltern in die USA. Wie stellten Sie sich damals Ihre Zukunft vor?
Ich träumte davon, Profi zu werden. Natür­lich wusste ich nicht, dass ich eines Tages beim VfB spielen und mich für eine WM qua­li­fi­zieren würde.

Was in der Fuß­ball­dia­spora von St. Louis auch schwer vor­stellbar ist.
Ich habe für meinen Traum gelebt, aber um ehr­lich zu sein, war ich damals oft sehr kurz davor, ihn auf­zu­geben.

Warum?
Weil der Fuß­ball, wie ich ihn mir vor­stellte, in St. Louis ziem­lich weit weg war. Ich hatte das Pech, dass Fuß­ball an meiner Schule keine große Rolle spielte. Ame­rican Foot­ball war das große Ding.

Wäre die Sportart eine Alter­na­tive gewesen?
Das war nicht meine Welt. Ich habe die Regeln über­haupt nicht ver­standen. (Lacht.)

Wie wird man Pro­fi­fuß­baller, wenn man in den USA nur Foot­ball- und Base­ball­felder vor­findet?
Ich hatte immer einen eigenen Ball. Das war wichtig, denn so konnte ich mir ein paar Jungs zum Stra­ßen­kick suchen. Wir haben dann mit anderen bos­ni­schen Emi­granten Tur­niere orga­ni­siert. Das war aber kein ernst­haftes Trai­ning.

Aber Sie haben doch auch im Verein gespielt?
Das stimmt, aber in den Spielen dort habe ich fünf oder sechs Tore pro Spiel gemacht. Am Anfang habe ich das genossen. Aber ich habe bald gemerkt, dass ich mich auf dem Niveau nicht wei­ter­ent­wickle.

Hatten Sie eine Vor­stel­lung davon, wie gut Sie sind?
Ich wusste, dass ich kein Schlechter bin. Bevor wir in die USA emi­grierten, war ich in der Junioren-Natio­nalelf aktiv. Bei den Spielen kamen oft Scouts von großen Klubs vorbei.

Und träumten Sie von einem Angebot aus Europa?
Nein, ich wollte nur jeden Tag besser werden. Ich sehe heute in den Nach­wuchs­teams vom VfB richtig gute Spieler. Denen kann aber nie­mand ver­spre­chen, dass sie es bis ganz oben schaffen. Dafür gibt es im Fuß­ball keine Garantie. Dass sie alle Mög­lich­keiten vor sich haben, steht außer Frage. Ob sie es aber wirk­lich zum Profi schaffen, hängt von ihrem Willen ab.
Woher kommt Ihr Wille?
Für mich war es gut, dass ich lange Zeit Fuß­ball unter sehr schlechten Bedin­gungen spielen musste. In Bos­nien und in den USA waren die Plätze nie gut, die Bälle eine Kata­strophe, ich hatte nicht mal rich­tige Schuhe. Ich lebte für die Hoff­nung, dass es eines Tages besser wird. Das hat mich ange­trieben.

Haben Ihre Eltern Ihren Traum unter­stützt?
Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wäre ich heute kein Profi. Sie machten sich große Sorgen. Aus heu­tiger Per­spek­tive kann ich sie gut ver­stehen. Aus ihrer Sicht war mein Wunsch uto­pisch. Sie wollten, dass ich den sicheren Weg gehe.

Wie hätte der aus­ge­sehen?
Gute Noten in der Schule, eine Aus­bil­dung, ein ordent­li­cher“ Beruf. Ich war ganz gut in der Schule, was in Ame­rika nicht beson­ders schwierig ist. Aber nur, weil meine Eltern es wollten. Mein Traum war immer Fuß­ball­profi.

Dabei hätten Sie das Zeug zum Dol­met­scher gehabt. Sie spre­chen flie­ßend Bos­nisch, Eng­lisch, Fran­zö­sisch und Deutsch.
Ich wurde erst spät zum Sprach­ta­lent, weil ich mich meinem wech­selnden Umfeld anpassen musste. Man kann die Kultur eines Landes und die Men­schen nur ver­stehen, wenn man die Sprache spricht. Und ich hatte rück­bli­ckend das Glück, dass ich ständig neue Länder ken­nen­lernte und gezwungen wurde, mich zu ver­stän­digen.

In wel­chem Land war der Anschluss am schwersten?
Als ich in die USA kam, war mir das Land völlig fremd, aber ich ver­stand die Sprache schon bald. In Frank­reich war es schwie­riger. In Paris war alles inter­na­tional, ich konnte mich auf Eng­lisch ver­stän­digen. Aber als ich bald darauf nach Dijon aus­ge­liehen wurde, wurde es schwer. Es gab dort keine aus­län­di­schen Spieler, nie­mand sprach Eng­lisch, ich ver­stand nichts. Ich merkte, dass ich etwas ändern muss.

Wann haben Sie so gut Deutsch gelernt?
In Bos­nien hatte ich Deutsch in der Schule. Als wir später für ein halbes Jahr in die Schweiz gingen, machte ich noch einen Deutsch­kurs.

In Schwei­zer­deutsch?
Zum Glück lernten wir Hoch­deutsch. Sonst würden Sie mich nicht ver­stehen.

Ihre Lauf­bahn ist von vielen Unwäg­bar­keiten geprägt. Die schwär­zeste Stunde Ihres Fuß­bal­ler­le­bens?
Der bit­terste Moment als Fuß­baller war sicher mein Kreuz­band­riss in Hof­fen­heim. Ich war auf dem Höhe­punkt meiner bis­he­rigen Lauf­bahn …

… Sie hatten in der Hin­runde der Saison 2008/09 in 17 Spielen 18 Treffer erzielt …
… und mit der Ver­let­zung ging es prak­tisch von 1000 auf Null hin­unter. Aber im Ver­gleich zu dem, was ich im Krieg in Bos­nien erlebt habe, war das trotz allem nichts.

Wie fiel Ihre Reak­tion aus: Wut, Trauer oder Depres­sion?
Im ersten Augen­blick war es ein Schock. Ich hoffte, es möge nicht das Kreuz­band sein, son­dern irgendwas anderes, so dass ich in zwei Wochen wieder spielen kann. Aber es bringt ja nichts, lange dar­über nach­zu­grü­beln, da bin ich Rea­list. So ist das Leben nun mal. Es bringt dich in die eine Situa­tion und kurz darauf in eine völlig andere. Wichtig ist, mit jedem Pro­blem zurecht­zu­kommen. In der Reha habe ich dann viel über mich – und auch viel über das Leben nach­ge­dacht und gelernt. Das war unglaub­lich – und eine Erfah­rung, die etliche Profis in ihrer Lauf­bahn gar nicht machen.

War die vor­an­ge­gan­gene Zeit in Hof­fen­heim die schönste Ihrer Pro­fi­lauf­bahn?
Es war sicher bisher die glück­lichste. Denn im Fuß­ball sind Glück und Erfolg das­selbe. Und die erste Bun­des­li­ga­saison in Hof­fen­heim war unglaub­lich erfolg­reich. Wir waren auf­ge­stiegen, standen an der Tabel­len­spitze, und alles passte zusammen.

Wie nost­al­gisch bli­cken Sie zurück?
Hat es Sie getroffen, dass Hof­fen­heim letzte Saison fast abge­stiegen wäre? Nein, im Fuß­ball muss man die Dinge schnell abhaken. Natür­lich ist es schade, dass wir dieses tolle halbe Jahr später nie mehr bestä­tigen konnten. Aber ich habe mich ent­schieden, in Stutt­gart den nächsten Schritt zu machen. Hof­fen­heim ist für mich erle­digt. Ich muss zusehen, hier einen ähn­li­chen Erfolg noch einmal zu erleben.

Wie ist der Kon­takt zu Ihren alten Bud­dies Demba Ba und Chi­nedu Obasi?
Der Kon­takt zu Obasi ist etwas abge­bro­chen, mit Demba tele­fo­niere ich ab und zu und schreibe SMS.

In Hof­fen­heim haben Sie mit den beiden oft in der Kabine Lieder ange­stimmt. Wie ist das beim VfB?
Auch in Stutt­gart habe ich eine kleine Clique. Mit Artur Boka, Ibrahima Traoré und Cris­tian Molinaro singe ich zwar nicht so viel, aber wir haben eine kleine Dis­kus­si­ons­runde.

Wie müssen wir uns das vor­stellen?
Vor dem Trai­ning spre­chen wir oft über ver­schie­dene Themen. Da sitzen meist vier, fünf Leute zusammen, auch unser Zeug­wart Kostas ist ein wich­tiger Mann in unserer ver­trauten Runde.

Wor­über haben Sie heute Morgen in der Runde gespro­chen?
Da ging es um die Spiele in der Cham­pions League. Es werden aber auch Themen abseits des Fuß­balls dis­ku­tiert.

Beim Wechsel zum VfB Stutt­gart sagten Sie: Ich habe im Fuß­ball noch sehr viel vor.“ Ihre Erwar­tungen sind aktuell nur schwer in Ein­klang mit der Rea­lität zu bringen.
Nie­mand von uns kann glück­lich sein dar­über, wie es läuft. Natür­lich wäre ich lieber auf Meis­ter­kurs mit dem VfB, aber wir müssen akzep­tieren, dass wir den BVB und Bayern Mün­chen gegen­wärtig prak­tisch nicht schlagen können. Logi­scher­weise ärgert mich das, aber es bringt ja nichts, wenn ich dem Ärger des­halb ständig Luft mache und durch­drehe.

Son­dern?
Was ich immer in meinem Leben gemacht habe: Ich kämpfe weiter. In dieser Saison ist noch viel drin. Auch wenn die Situa­tion nicht ein­fach ist, es liegt an uns.

Welche Vor­stel­lungen hatten Sie vom VfB Stutt­gart vor Ihrem Wechsel an den Neckar?
Meine frühen Erin­ne­rungen an den VfB ver­binde ich mit dem Magi­schen Dreieck“: mit Fredi, Kras­simir Balakow und Gio­vane Elber. Sie haben den VfB in meiner Gene­ra­tion bekannt gemacht. Auch in meiner Kind­heit in Bos­nien war mir der VfB Stutt­gart geläufig, aber damals konnten wir die Bun­des­liga nur selten ver­folgen. Meis­tens hat der Fern­seher nicht funk­tio­niert – oder wir hatten keinen Strom.

Wie kon­kret sind Ihre Erin­ne­rungen an den Jugo­sla­wi­en­krieg?
Ich bin in Vla­se­nica geboren, einem kleinen Ort mitten im Kriegs­ge­biet. Ich war sieben, als eines Tages die Sol­daten in die Stadt kamen. Sie haben uns ein­fach aus dem Haus ver­jagt, es wurde geschossen, um mich herum starben Men­schen, die ich kannte. Wäre ich damals älter gewesen, wäre ich viel­leicht tot, aber ich habe das Glück gehabt zu über­leben. Andere Ver­wandte hatten dieses Glück nicht.

Wie sehr prägen diese Erin­ne­rungen Ihr Leben?
All das, was damals pas­siert ist, habe ich erst viel später rea­li­siert. Das war wahr­schein­lich auch gut so, weil ich nicht weiß, wie ich es damals hätte ver­ar­beiten sollen. Für meine Eltern waren die Erfah­rungen viel schlimmer. Sie haben von heute auf morgen ihre Heimat, ihre Freunde und Teile ihrer Fami­lien ver­loren.

Sie flohen von Vla­se­nica nach Tuzla …
das eigent­lich in der kampf­freien Zone lag. Das Leben dort war ein­fa­cher, aber es gab trotzdem täg­lich Bomben- und Gra­na­ten­an­griffe.

In so einer Zeit war ver­mut­lich an Fuß­ball nicht zu denken.
Ich war ein Kind. Als Kind macht man sich nicht so viele Gedanken über die Gefahren. Wenn die Bomber kamen, haben wir uns im Keller ver­steckt und gehofft, dass uns nichts pas­siert. Nach ein paar Minuten waren die Angriffe vorbei, wir sind wieder auf die Straße raus und haben wei­ter­ge­spielt.

Wie war es, nach der erfolg­rei­chen WM-Qua­li­fi­ka­tion im Oktober 2013 in dieses Land zu kommen, wo einst alles zer­stört war?
Ein unglaub­li­ches Gefühl. Die Emo­tionen sind sehr schwer zu beschreiben.
Sie schossen den ent­schei­denden Treffer im letzten Quali-Spiel gegen Litauen. Mit nicht mal 30 sind Sie in Ihrer Heimat schon eine his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit. Das wird mir jeden Tag klarer. Selbst wenn Bos­nien sich zukünftig für WM-Tur­niere qua­li­fi­ziert, das erste Mal wird unver­gess­lich bleiben. Das macht mich unglaub­lich stolz.

Sie führen seit Jahren das kom­for­table Leben eines Profis.
Wachen Sie noch manchmal auf und müssen sich kneifen, weil Sie den Luxus nicht glauben können? Nicht mehr jeden Tag, nein. Im Ernst: Natür­lich habe ich mich an die Lebens­um­stände gewöhnt und bin stolz darauf. Den­noch treffe ich immer wieder Spieler, deren Ein­stel­lung mich wun­dert. Da merke ich, dass die es im Leben leichter gehabt haben. Ich ver­suche es zu berück­sich­tigen, aber das ist nicht ein­fach.

Wie meinen Sie das?
Es kommt auch vor, dass ich jungen Spie­lern die Mei­nung sage.

Wie sieht es aus, wenn Sie Ihre Mei­nung sagen?
Wenn jemand sein Pri­vileg nicht zu schätzen weiß, habe ich damit Pro­bleme. Viele haben das Glück, schon in jungen Jahren alles zu besitzen. Die wissen nicht, dass diese Lebens­um­stände keine Selbst­ver­ständ­lich­keit sind. Denen muss ich dann schon erklären, dass die meisten Men­schen nie­mals schöne Autos, solche Woh­nungen und teure Klei­dung haben werden.

Und wie reagieren diese Spieler?
Ich kenne Leid und Elend nicht aus dem Fern­sehen, ich habe es selbst erlebt. Die meisten ver­stehen sofort, dass ich keinen Quatsch rede. Aber natür­lich gibt es immer Leute, die es nicht ver­stehen wollen.

Vedad Ibi­sevic, warum sollten Deut­sche öfter Urlaub in Bos­nien-Her­ze­go­wina machen?
Weil es ein Land mit viel unbe­rührter Natur ist. Bos­nien hat viele ursprüng­liche Seiten, sogar in Sara­jevo, wo sich his­to­ri­sche und moderne Archi­tektur ver­binden. Aber auf dem Land: pure Natur. Glauben Sie mir, es ist sehr, sehr schön.

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HIN­WEIS: Das Gespräch wurde bereits im November 2013 für die Aus­gabe 11FREUNDE #145 geführt