Mit 20 Jahren war Stefan Wessels der jüngste deutsche Keeper, der bis dato in der Champions League debütierte. Mittlerweile trainiert er die Torhüter des SV Meppen. Wir sprachen mit ihm über Trainingseinheiten mit Oliver Kahn, den TuS Lingen und David Moyes.
Stefan Wessels, nach Stationen beim FC Bayern, 1. FC Köln und FC Everton sind Sie mittlerweile beim SV Meppen gelandet. Zum Karriereende verkommen Sie also nun zum Torfkicker?
Nein, verkommen werden ich beim SVM sicherlich nicht und meine aktive Karriere ist ja bereits beendet. Nach meiner letzten Station beim dänischen Odense BK, bin ich seit 2012 zurück in Osnabrück und arbeite nun als Torwarttrainer für die Regionalliga-Mannschaft in Meppen und dem angeschlossenen Jugendleistungszentrum.
Das Niveau für die Regionalliga besitzen Sie sicherlich noch. Wieso sind Sie mit 33 Jahren nur noch als Trainer aktiv?
Weil mich diese Liga einfach nicht mehr gereizt hat. Ich hatte ein sehr schönes Karriereende in Odense mit der Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation und an der Europa League. Auf diesem Niveau konnte ich mich verabschieden. In der Regionalliga wäre ich vermutlich nie zufrieden, könnte durch die fehlende Motivation nie meine gewohnte Leistung zeigen. Ich bin als Trainer zu meinen emsländischen Wurzeln zurückgekehrt.
Sie spielten für Eintracht Schepsdorf und TuS Lingen, ehe Sie erst mit 18 Jahren zum FC Bayern München wechselten.
Ein Sprung, der heute so gar kaum mehr möglich scheint, oder?
Warum wechselten Sie erst so spät?
Für mich war es die logische Konsequenz. Ich hatte in den Jahren zuvor hart an mir gearbeitet, war fußballbesessen und habe seit der U17 für die Juniorennationalmannschaften gespielt. Die Angebote der nördlichen Bundesligamannschaften wie Werder Bremen lagen auf dem Tisch. In Absprache mit meinen Eltern habe ich mich dazu entschieden erst mein Abitur abzulegen und für den TuS Lingen in der Oberliga zu spielen. Schritte, die in Zeiten der modernen Fußballakademien nicht mehr möglich sind.
Im Sommer 1998 wechselten Sie an die Säbener Straße. Während Zinedine Zidane noch eben die Fußball-Welt in Ekstase gespielt hatte, begann für einen 18-Jährigen der Traum des Fußballprofis. Welche Eindrücke blieben aus den ersten Trainingstagen?
Als Jugendnationalspieler bin ich nicht nur mit großen Augen am Trainingsgelände umher gelaufen. Durch meine vorherige Entwicklung wusste ich, was mich etwa erwarten würde. In meinem ersten Jahr habe ich ein einziges Mal mit den Profis mittrainiert, da ich für die Amateurmannschaft verpflichtet worden war. Der Kontakt zu Oliver Kahn und Bernd Dreher kam daher erst später. Nur mit Sven Scheuer wechselte ich mich unregelmäßig im Tor der zweiten Mannschaft ab. Anscheinend habe ich zu diesem Zeitpunkt überzeugen können.
Ihre Leistungen, ebneten Ihnen kurz darauf den Weg in den Bundesliga-Kader?
Nein, das war eher Glück. Kahn hatte sich im Urlaub am Fuß verletzt, auch Scheuer fiel aus. Deshalb durfte ich nach nur einem Jahr am Sommertrainingslager teilnehmen und während der ersten beiden Spieltage auf der Bank Platz nehmen. Nachdem die beiden Kollegen wieder fit waren, ging es für mich zurück zu den Amateuren.
Konnten Sie sich mit dieser Situation abfinden?
Überhaupt nicht, da ich aufgrund eines ganz hässlichen Gegentors sogar dort auf der Bank sitzen musste. Glücklicherweise ging es daraufhin mit der U21 in den Oman…
… dort kamen Sie jedoch nie an…
… sondern landete im Glasgower Ibrox-Park. Erinnern Sie sich noch an das legendäre Samstagabendspiel zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt?
Sie meinen, als Michael Tarnat als Torhüter einspringen musste?
Ganz genau! Sammy Kuffour hatte Kahn mit dem Knie am Kopf getroffen und der eingewechselte Bernd Dreher riss sich nach wenigen Minuten das Kreuzband. Ich lag träge auf dem Sofa meiner Eltern und bereitete mich innerlich auf den Flug mit der U21 vor, bis mir plötzlich klar wurde, dass unserer Mannschaft ein Torwart für das anstehende Champions-League-Spiel bei den Rangers fehlen würde. Kurz darauf rief Co-Trainer Michael Henke an.
Wie reagierten die Mitspieler auf den ungewohnten Rückhalt im Tor?
(lacht) Alle hatten mit Sicherheit einen Riesenbammel, haben es aber ganz gut versteckt. Für mich war das ein Raketenstart, ohne den meine Karriere vielleicht anders verlaufen wäre. Lothar Matthäus und Stefan Effenberg kamen in der Kabine noch einmal zu mir und sprachen eindringlich auf mich ein. Die Mannschaft wollte mir ja schließlich die Sicherheit vermitteln. Ich habe dann dem Team sehr gut helfen können. Wir spielten 1:1. Nach dem Abpfiff musste ich mich trotzdem wieder hinter Oli einreihen.
Sie sagen „Oli“. War das Verhältnis zwischen Ihnen auf Augenhöhe?
Sicherlich nicht. Er hat damals die Hochphase seiner Karriere erlebt, während ich im Training lernwillig hinter ihm stand. Es war ein ordentliches Verhältnis, aber für mich eher ein Konkurrenzkampf ohne Hoffnungen.
Stimmt es eigentlich, dass Ottmar Hitzfeld seine Nummer Eins nie kritisiert hat?
Nur sehr selten. Das kann man natürlich kritisch sehen, aber die Menschenführung zeichnete diesen Trainer immer aus. Oli hatte seinen unantastbaren Status, auch innerhalb der Mannschaft. Falls ihm Fehler unterliefen, wurde in den ganzheitlichen Mannschaftssitzungen nie darüber gesprochen. Das hat Hitzfeld sicherlich berechnet, aber die groben Patzer blieben ja eigentlich auch immer aus.
Während Sie 2003 zum 1. FC Köln wechselten, rückte für Sie Michael Rensing nach. Ein junger Torwart vom TuS Lingen. Kannten Sie ihn bereits vorher?
Ich habe mit seinem Bruder Thomas in einer Mannschaft gespielt. Auf dem Bolzplatz war Michael natürlich auch immer dabei und wir hatten vor seinem Wechsel noch miteinander gesprochen.
Was haben Sie ihm gesagt?
Ich habe ihm von einem Wechsel zum FC Bayern abgeraten. Michael war nur zweiter Torhüter in der Nationalelf, sein Konkurrent Markus Grünberger spielte schon bei uns und hatte daher einen dicken Bonus. Michael hätte zu jedem Verein wechseln können, entschied sich aber für seinen Herzensklub und profitierte kurz darauf von einer Verletzung Grünbergers. Dann wurde Uli Hoeneß auf ihn aufmerksam.
In der vergangenen Woche verließ Rensing, als zweiter Keeper degradiert, kurzerhand das Vereinsgelände seines jetzigen Arbeitgebers Fortuna Düsseldorf als er nicht für das erste Saisonspiel berücksichtigt wurde. Können Sie sich diese Reaktion erklären?
Natürlich war das Verlassen der Teamsitzung kurz vor dem ersten Spiel nicht richtig. Ich frage mich allerdings, mit welchen Versprechen Michael nach Düsseldorf gelockt wurde. Sollte Fabian Giefer nicht zu Schalke 04 wechseln? Als Reservist in Leverkusen hatte er sich in der vergangenen Saison jedenfalls vorbildlich verhalten und hat Bernd Leno nach Kräften unterstützt. Ich bin mir sicher, dass er mit der Erwartung gewechselt ist, dass er in Düsseldorf auch spielt. Damit kann ich seine Überreaktion zumindest ansatzweise nachvollziehen.
Haben Sie etwas derartiges in Ihrer eigenen Karriere erlebt?
Als mich mein ehemaliger Mitspieler Thorsten Fink 2009 zum FC Basel holte, kam ich trotz aller Anstrengungen nicht an Massimo Colomba vorbei. Ich weiß bzw. glaube zu wissen, dass das nicht am Trainer lag, sondern vereinspolitische Spielchen ihren Einfluss hatten.
Allzu häufig saßen Sie als Vertretung auf der Bank. Dennoch haben Sie zahlreiche Vereinspokale gewonnen. Welcher bedeutet Ihnen am meisten?
Nur weil ich größtenteils der zweite Torwart war, zählte ich mich selbst als vollwertiges Mitglied der Mannschaft. Natürlich hat Oliver Kahn deutlich mehr zum Champions-League-Titel beigetragen als ich, aber deshalb habe ich trotzdem diesen Pokal gewonnen. Mein Karriere-Highlight wurde sowieso nicht mit einem Cup prämiert.
Sondern?
Wir schieden aus. Die Qualifikationsspiele zur Champions League mit Odense BK gegen Panathinaikos Athen und den FC Villareal waren 2011 die vielleicht besten Spiele meiner Karriere. Gegen die Griechen haben wir nach Hin- und Rückspiel mit 5:4 gewonnen. Mit einem 1:0‑Sieg sind wir dann nach Spanien geflogen, waren völlig unterlegen und sind mit 0:3 zusammengebrochen. Das in vorderster Front erlebt zu haben, war einfach klasse. Mit diesen Spielen im Hinterkopf konnte ich zufrieden meine Karriere beenden.
Vermissen Sie die möglichen Momente in vorderster Front, die Sie nur auf der Bank erlebten?
Ich glaube, dass 99 Prozent der Profis mich um meine Karriere beneiden würden. Natürlich hatte ich auch schwere Zeiten, galt zweimal als arbeitslos, aber die meisten Spieler hätten bei meinen Vereinen gerne unterschrieben.
Eine Station war der FC Everton. Während Sie nun in Meppen trainieren lassen, lenkt ihr ehemaliger Trainer David Moyes ab der kommenden Saison die Geschicke bei Manchester United.
Er war tatsächlich mein erster Favorit auf diesen Posten. Moyes ist ein sehr geradliniger und ehrlicher Typ. Am Mersey-River kam er mit seiner menschlichen Art immer sehr gut an. Ich glaube, dass er mit seiner langfristigen Arbeitsweise, die glücklicherweise bei United im Gegensatz zu Chelsea und Co. noch gefördert wird, auch dort erfolgreich sein wird.
Sie sagten im Juli 2012, dass Sie Ihren Wohnort Osnabrück für den Fußball nicht mehr verlassen werden. Bei welchem Angebot würden Sie sich vielleicht doch noch einmal die Handschuhe überstülpen?
Das Zitat stammt aus der „Sportbild“ und kam in dieser Weise nicht von mir. Meinen Lebensmittelpunkt habe ich in Osnabrück festgelegt und möchte nur noch Dinge machen, die meinem Niveaudenken entsprechen. Ich bin seit einem Jahr nicht mehr aktiv und habe damit abgeschlossen.
Die Fans des SV Meppen werden also mit anderen Torhütern Vorlieb nehmen müssen?
Davon können Sie ausgehen.