Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Johnny Rotten, stimmt es, dass Sie noch nie im Emi­rates Sta­dium waren?
Was soll ich da? Du darfst als Fan heut­zu­tage nichts mehr. Nicht rau­chen, nicht trinken, nicht schimpfen, du darfst nicht einmal stehen. Das ist doch scheiße.

Der Schrift­steller und Arsenal-Fan Nick Hornby schrieb mal von einem Freund, der früher ein beson­deres Ritual bei Rück­ständen hatte: Er hat sich eine Ziga­rette ange­macht und das Ganze Tor rein­rau­chen“ genannt.
Ich hatte so was nie, aber ich kann das gut nach­voll­ziehen. Auf den Tri­bünen sollst du machen dürfen, was du willst. Auch Dinge, die andere bescheuert finden.

Schauen Sie sich über­haupt noch Arsenal-Spiele an?
Im Fern­sehen. Ich lebe ja mitt­ler­weile in Los Angeles und muss jeden Sams­tag­morgen meinen Kumpel Rambo anrufen, um ihn zu fragen, wann es los­geht. Dann beginnt die Suche nach dem Sender im Satel­li­ten­fern­sehen.

Los Angeles Galaxy ist keine Alter­na­tive?
Soccer? Ver­dammt, nein! Es heißt Foot­ball! Wissen Sie, ich habe sogar noch eine Arsenal-Dau­er­karte, aber ich gebe sie an meine Neffen weiter. Wenn ich in Eng­land bin, gehe ich zu kleinen Klubs wie Tor­quay United oder in den Pub und pöbele dort mit den anderen Ver­rückten rum. Das ist Fuß­ball! 2011 war ich zuletzt bei einem großen Spiel im Sta­dion. Damals fand im Wem­bley das League-Cup-Finale zwi­schen Arsenal und Bir­mingham statt. Weil ich stand, for­derte mich ein Ordner auf, ich solle mich umge­hend hin­setzen. Ich sagte: Guck dir die Bir­mingham-Fans an, die stehen auch alle.“ Danach ver­schwand er.

So ein­fach geht das?
Nun, er kam wenige Minuten später zurück, im Schlepptau ein paar wei­tere Ordner. Sie drohten, mich aus dem Sta­dion zu schmeißen, wenn ich mich nicht setzen würde. Ich ant­wor­tete: Ich habe Hämor­rhoiden. Wenn Sie mir kein Hämor­rhoiden-kom­pa­ti­bles Kissen besorgen, muss ich leider weiter stehen.“ Dann drohte ich ihnen mit einem Anwalt, und schließ­lich ließen sie mich in Ruhe.

In Eng­land wird seit Jahren die Wie­der­ein­füh­rung von Steh­plätzen dis­ku­tiert. Anschei­nend ganz in Ihrem Sinne, oder?
Fuß­ball­gu­cken kann man nicht im Sitzen. Schauen Sie sich doch mal die Dort­munder Süd­tri­büne an, alle stehen, alle schreien, ein Lärm, als wäre die Tri­büne der Rachen eines rie­sigen Mons­ters. Das ist fan­tas­tisch. Wenn du beim Fuß­ball sitzt, hast du nicht mehr das Gefühl, Teil des Gesche­hens zu sein. Dann ist Fuß­ball wie Tennis. Oder wie eine Mathe­stunde in der Schule. (Pause.) Das regt mich wirk­lich auf.

Merkt man.
Das Schlimme an der ganzen Sache ist ja auch: Das Steh­platz­verbot in Eng­land basiert auf einer Fehl­ana­lyse der Hills­bo­rough-Kata­strophe im Jahr 1989. Damals starben 96 Men­schen. Schlimm, natür­lich. Nur die Schuld wurde damals den Fuß­ball­fans gegeben. Eine Unter­su­chungs­kom­mis­sion fand über 20 Jahre später heraus: zu unrecht. Die eigent­liche Schuld der Polizei und der Sicher­heits­kräfte sowie die Hin­ter­gründe wurden erfolg­reich ver­tuscht.

Wie war es als Fan im High­bury-Sta­dion Anfang der Sech­ziger?

Ich wuchs in der Ben­well Road auf. Genau dort, auf unser Haus, haben sie später dieses unsäg­liche Emi­rates-Sta­dion gebaut. Heute ist dort alles super­mo­dern und super­schick, damals war es ein hartes Pflaster. Jugend­liche und Halb­starke, die durch die Trüm­mer­grund­stücke streunten. Es roch immer nach Stress. Aber das war natür­lich auch auf­re­gend für einen Her­an­wach­senden wie mich. Es war vor allem viel fami­liärer als heute.

Sie meinen aggres­siver?
Nein, fami­liärer. Jeder kannte jeden. Wenn ich damals in der Schoolboy Sec­tion und später in der Sin­ging Sec­tion im North Bank stand, sah ich nur Freunde, Nach­barn und Bekannte um mich herum. Wir standen da, zwei Stunden vor Spiel­be­ginn, war­teten auf die Spieler, ganz so, wie ich später auf meine Lieb­lings­bands in irgend­wel­chen Musik­clubs gewartet habe. Und nicht nur das: Unsere Väter hingen mit all den Arsenal-Legenden ab. Mit Spie­lern wie Charlie George, der ja auch in High­bury bezie­hungs­weise Islington auf­ge­wachsen ist und mit einigen Fans noch die Schul­bank gedrückt hatte. Nun waren die einen eben Schweißer oder Dock­ar­beiter geworden und die anderen Fuß­ball­profis. Das hielt sie aber nicht davon ab, nach den Spielen gemeinsam in die Pubs zu gehen, gemeinsam zu rau­chen, zu trinken und eine gute Zeit zu haben. Die Fuß­baller lebten wie wir.

Das Spiel war dem­entspre­chend unpro­fes­sio­nell.
Das war egal, denn es war auch ehr­li­cher. Erst der Asket Arsène Wenger hat diese Dis­zi­plin nach Eng­land gebracht.

Sind Sie ein Roman­tiker?
Viel­leicht, obwohl das heute schon wieder kri­tisch gesehen wird. Früher war natür­lich nicht alles besser. Aber vieles.

In Ihrer Bio­grafie schreiben Sie: Fuß­ball ist das Theater der Emo­tionen, nicht der Träume.“
Fuß­ball sollte wie ein Kon­zert sein – spontan, wild, anar­chisch, und wenn mal was schief­geht, scheiß drauf. Ganz ehr­lich: Ich habe auch keine Ahnung von Taktik. Ist mir scheiß­egal. Dieses Phi­lo­so­phieren über Fuß­ball­sys­teme ist eine Seuche und eine Erfin­dung des Mit­tel­standes. Ich will, dass jeder überall spielen kann. Und genau so war es früher auch: Der Fuß­ball war nicht vor­her­sehbar, es war ein unper­fektes Spiel.

Die Leute lieben offen­sicht­lich die Per­fek­tion, viele Sta­dien sind heute aus­ver­kauft.
Aber wer sitzt da? Aus­schließ­lich Bes­ser­ver­die­nende. Im Gegen­satz zu früher, als alle gemeinsam ins Sta­dion gingen: Reiche, Arme, Schüler, Stu­denten, Arbeits­lose, sogar Greise, die zwei Welt­kriege über­lebt hatten. Wenn wir damals kein Geld hatten, hoben uns die Älteren über den Zaun – und selbst wenn die Ordner das mit­be­kamen, drückten sie ein Auge zu. Unvor­stellbar heut­zu­tage.

Fuß­ball war in den Sieb­zi­gern in Eng­land aber auch gefähr­li­cher als heute. Hatte Ihr Vater nie Angst um Sie?
Er fand immer, dass ich meine eigenen Erfah­rungen machen sollte. Natür­lich gab es oft Klop­pe­reien, auch wäh­rend eines Spiels. Ich beob­ach­tete das zu Beginn aus sicherer Ent­fer­nung, gleich­zeitig fas­zi­niert von den Fahnen, Farben, dem Lärm, den Gerü­chen, der Span­nung und auch ein biss­chen von dieser beson­deren Ästhetik der Gewalt, von diesem Heim­spiel! Nie­mand wird unsere Kurve einnehmen!“-Ding. Es war wie ein Alb­traum, es war Anar­chie, es war Krieg – nur ohne Waffen.

Wie ging man als junger Fan Schlä­ge­reien zwi­schen Hoo­ligan-Firms wie den Head­hun­ters“ und den Goo­ners“ aus dem Weg?
London war in den Sech­zi­gern und Sieb­zi­gern eine Stadt voller Dörfer. Wenn du mit einem Arsenal-Schal ins fal­sche Viertel gelaufen bist, gab’s Stress. Also hat man das ver­mieden, wenn man keinen Ärger wollte.

Und Sie?
Junger Freund, ich bekam oft Ärger. Ich war ein Typ, der Ärger anzog. Ein wütender junger Mann. Wir hingen früher oft in der Kings Road in Chelsea ab, im Kla­mot­ten­laden von Vivi­enne West­wood und Mal­colm McLaren. Dort kamen immer wieder Hoo­ligan-Firms vorbei und suchten Ran­dale. Ich weiß noch, wie einmal eine Horde Not­tingham-Forest-Hools den Laden stürmen wollte. Ich stellte mich vor sie und regelte das. Als ich wieder reinkam, stam­melte Vivi­enne: Du sollst doch nicht solche Leute anschleppen.“ Als hätte ich denen emp­fohlen, den Laden aus­ein­an­der­zu­nehmen. Ach, Vivi­enne!

Für ein Punk-Image waren solche Aus­ein­an­der­set­zungen doch eigent­lich för­der­lich.
Beson­ders die Kämpfe mit der Polizei. Die waren damals wirk­lich brutal. Ich erin­nere mich noch, wie mich einmal ein Beamter aus dem Sta­dion prü­gelte. So etwas war für einen jungen Fan wie eine Medaille.

Was war pas­siert?
Wollen Sie, dass ich mich jetzt um Kopf und Kragen rede und mir nach­träg­lich ein Ver­fahren auf­halse? Zum Mit­schreiben für alle: Ich war unschuldig, Officer! (Lacht.)

Waren Sie mal mit Ihrem Band­kol­legen Sid Vicious bei Arsenal?
Einmal, im tiefsten Winter. Dazu muss man wissen, dass Sid damals gerne eine Frisur wie David Bowie gehabt hätte. Aller­dings tou­pierte er sich seine Haare nicht mit Haargel, son­dern ent­wi­ckelte dafür eine ganz eigene Methode: Er steckte seinen Kopf in einen vor­ge­heizten Küchen­ofen, damit die Haare hart wurden. Dazu noch das obli­ga­to­ri­sche ärmel­lose Hemd. So sind wir dann, bei Minus­graden, Rich­tung High­bury gelaufen, und um uns herum standen die ganzen Goo­ners-Hools und fragten: Was iss’n das für ein Vogel?“ Ich sagte: Das ist Sid, dem kann die Kälte nichts anhaben.“ Das fanden sie dann wie­derum ganz impo­sant.

Wer waren die Arsenal-Helden Ihrer Jugend?
Charlie George, schon wegen seiner langen Haare, die wirr vom Kopf hingen. Aber auch Bob Wilson. Er spielte von 1963 bis 1974 für den FC Arsenal. Ein bril­lanter, mental unfassbar starker Tor­hüter. Oder John Rad­ford, der Tor­jäger meiner Jugend, und später Ian Wright, Thierry Henry oder Dennis Berg­kamp. Eines meiner größten Idole spielte aber nie für Arsenal.

Son­dern?
Für Man­chester United – Georgie Best. Für mich war es immer sehr hart, wenn wir gegen Man­chester spielten, denn einer­seits sah man so einem wie Best gerne beim Fuß­ball­spielen zu, ande­rer­seits nahm er die Arsenal-Defen­sive regel­mäßig aus­ein­ander. Wir wirkten neben ihm wie Idioten.

Gab’s keinen Ärger in der Arsenal-Kurve, wenn Sie von Best schwärmten?
Ich werde das oft gefragt, und ganz ehr­lich: Ich finde so eine Hal­tung dumm. Man kann doch Spieler von anderen Teams trotzdem für ihr Können oder ihre Tore bewun­dern. Georgie habe ich übri­gens auch mal ken­nen­ge­lernt.

Auf einem Ihrer Kon­zerte?
In einem Nacht­club, wo sonst? Es muss irgend­wann Ende der Sieb­ziger gewesen sein, damals ging es meiner Mutter ziem­lich schlecht – bei ihr wurde Krebs dia­gnos­ti­ziert –, und sie bat mich, mit ihr zu einem Kon­zert von Gary Glitter zu gehen. Glitter erfuhr, dass wir im Publikum waren, und lud uns zur After­show­party in den Night­club Tramp“ ein. Der erste Typ, den wir dort sahen, war Georgie Best – an der Bar. Meine Mutter war total über­wäl­tigt, auch wenn er betrunken war. Sie liebte ihn, vor allem seine Haare. Damals war die Hoch­phase der Skin­heads, viele Glatzen, gerade in unserer Gegend. Und dann war da dieser Typ, der die Haare wellig über seine Schul­tern trug und trotzdem kein Hippie war. Georgie hatte ver­dammt noch mal Stil.

Sind je Spieler zu Ihren Kon­zerten gekommen?
Stuart Pearce und Gareth South­gate waren mal bei einem Sex-Pis­tols-Gig, irgend­wann 1996, als wir wieder auf­traten. Die beiden waren aller­dings heim­lich da, weil sie eigent­lich beim Trai­ning der eng­li­schen Natio­nal­mann­schaft sein sollten. Ein geiles Gefühl.

Es kam nie raus?
Natür­lich kam es raus. Der Trainer – ich glaube, es war Glenn Hoddle – war stink­sauer. Pearce und South­gate sagten nur: Scheiß drauf! Das Kon­zert war es wert.“

Haben Sie heute noch Fans unter den Fuß­ball­profis?
Ver­mut­lich ist jeder zweite ein Fan von mir.

Sie scherzen.
Gucken Sie sich mal die Fri­suren der heu­tigen Spie­ler­ge­nera­tion an. Alles Punks, alle mit Mohawk oder gefärbten Haaren – wie ich früher. (Lacht.) Im Ernst: In den Sieb­zi­gern hätten die mit ihren Tat­toos und Haaren Auf­sehen erregt, heute ist das common sense. Es gibt mitt­ler­weile nur wenige Typen, die das nicht mit­ma­chen – Mer­te­sa­cker und Podolski, zum Bei­spiel.

Was halten Sie von den beiden?
Podolski ist ein netter Typ, manchmal erin­nert er mich an einen fre­chen Hoo­ligan-Jungen. Er hat einen guten Abschluss, aber er ist so faul. Er ist nie zurück­ge­laufen – aber dum­mer­weise auch nie nach vorne. Ist er über­ge­wichtig? Viel­leicht sollte er weniger Donuts essen. Aber jetzt ist er ja eh weg.

Und Per Mer­te­sa­cker?
Auch extrem langsam und manchmal behäbig. Wenn er aber gut drauf ist, kann er gefähr­liche Situa­tionen früh­zeitig erkennen und die Mann­schaft mit­reißen. Manchmal brauchst du nicht die besten Spieler, son­dern ein­fach nur die besten Typen. Außerdem hat er den coolsten Spitz­namen, den man haben kann: BFG – Big Fucking German. Jedes Mal, wenn wir ihn mit diesem Namen besingen, lächelt er. Cooler Typ. Wir lieben ihn.

Was ist mit Mesut Özil?
Aus ihm werde ich nicht schlau. Ver­mut­lich ist er bril­lant, und es fehlen ihm schlichtweg die bril­lanten Mit­spieler.

Wenger sieht das anders.
Wenger ist für mich ein reli­giöser Dik­tator. Der Mann macht mich Jahr für Jahr ver­rückter mit seiner arro­ganten fran­zö­si­schen Art.

Sie haben ihn mal mit dem ehe­ma­ligen Sex-Pis­tols-Manager Mal­colm McLaren ver­gli­chen.
Ich mag diesen Ver­gleich. Beide maßen sich an, alles immer besser zu wissen. Es sind Typen, die man mit Vor­sicht genießen muss.

Sie sagen, dass Sie keine Ahnung von Taktik haben. Was werfen Sie Wenger vor?
Er ist ein Theo­re­tiker, ein Pro­fessor, der Theorie vor Mensch­lich­keit stellt. Was ihm aber vor allem fehlt, ist ein Plan. Er stellt die Spieler nicht mal mehr darauf ein, gegen wen sie spielen. Wir ver­lieren plötz­lich 3:6 gegen Man­chester City, 1:5 gegen Liver­pool oder 0:6 gegen Chelsea. Mer­te­sa­cker hat mal etwas sehr Inter­es­santes dazu gesagt: Wir als Spieler müssen gucken, dass wir uns besser auf den Gegner ein­stellen.“ Das impli­ziert für mich, dass sich das Team mitt­ler­weile selbst coacht.

Stimmt es eigent­lich, dass Sie und Mal­colm McLaren mal Ange­bote von Arsenal hatten?
Ich war 14 Jahre alt, als ein Scout an unsere Schule kam. Ich durfte dann einmal vor­spielen, war aber nicht gut genug.

Und McLaren?
Ich kenne das Inter­view, in dem er das behaup­tete. Aber ich bitte Sie! Hätten Sie sich den kleinen Lord auf dem Platz vor­stellen können?

—-
John Lydon, 59, besser bekannt unter seinem Künst­ler­namen Johnny Rotten, war ab 1975 Sänger der eng­li­schen Punk­band Sex Pis­tols. Mit Public Image Ltd. ver­öf­fent­licht er im Sep­tember sein neues Album What the World Needs Now“. Kürz­lich waren PIL erst­mals nach dreißig Jahren wieder in Deutsch­land auf Tour. Im November spielen sie eine Tour in Nord­ame­rika.