Nach dreieinhalb Jahren kehrt das „Old Firm“ zurück. Redakteur Ron Ulrich über drei Tage Wahnsinn in Glasgow – von Shakespeare bis Billy Ocean.
Die SMS war sehr kurz gehalten. Der Mann, der mir Ende Januar die Wohnung in Glasgow für drei Tage vermietete, schrieb nur zwei Worte. Ich hatte ihm auf seine Frage hin mitgeteilt, was ich denn in Glasgow so unternehmen wolle: eine Sehenswürdigkeit besuchen, das „Old Firm“. Celtic gegen Rangers, Pokalhalbfinale, ein Spiel wie ein verspätetes Weihnachtsgeschenk. In der Antwort-SMS stand nur: „Lucky one!“
Viele Menschen nehmen sich vor, in ihrem Leben noch einmal einen bestimmten Berg zu erklimmen, eine Sprache oder ein Instrument zu lernen oder durch alle Kontinente zu reisen. Die Lebensziele eines Fußballfans beschränken sich häufig auf den Besuch weniger Spiele. Old Firm, Superclasico, Römer Derby sehen – und sterben.
„Karten sind wie Goldstaub“, hatten mir Fans von Celtic Anfang Januar geschrieben. Ich startete also den Versuch, mich akkreditieren zu lassen. Ohne große Hoffnung auf Erfolg. Doch umgehend erhielt ich eine Mail von einem sehr freundlichen Herrn des schottischen Verbandes. Er bestätigte mir nicht nur, dass ich zum Spiel kommen könne, sondern fragte gleich nach unserem Magazin, dem deutschen Fußball und meinem Tipp für die Partie.
Hat die Sache einen Haken?
Vielleicht liegt es am Job oder an einer Persönlichkeitsstörung, doch bei solch überbordender Freundlichkeit vermute ich fast schon immer zwangsläufig, dass die Sache einen Haken hat. Ob sich da einer in den Mailaccount gehackt hatte und mich nun vorführen wollte? Ob die Frage nach einer Akkreditierung für das Old Firm wenige Wochen vor dem Spiel so absurd war, dass die Presseabteilung des Verbandes nur mit schallendem Sarkasmus und gespielter, übertriebener Freundlichkeit darauf antworten konnte?
Die Antwort: Die Leute in Glasgow sind tatsächlich so, es gab keinen Haken, keine Tricks. Das wurde mir schon einen Tag vor dem Spiel klar. Für eine Geschichte über die Celtic-Legende Jinky Johnstone in unserem Spezialheft zur Königsklasse fuhr ich in dessen Heimatort etwas außerhalb von Glasgow. Johnstones Sohn hatte mir die Adresse per SMS geschickt, wo er und seine Mutter auf mich warten würden. Doch die Straße war nicht zu finden, ich rief ihn an, doch er ging nicht ans Telefon.
Passierschein A38 in Glasgow
Ich versuchte es also in einem kleinen Kiosk nahe des Bahnhofes. Die betagte Verkaufsdame breitete direkt eine Straßenmappe über den Tresen, weil auch sie die Straße nicht kannte. Dann sprach sie andere Kunden an, die sich in die Suche einschalteten. Plötzlich war ich von einem Knäuel von Menschen umschlossen, die alle nie von dieser Straße gehört hatten, aber nun danach suchten, als gelte es, verborgene Schätze zu finden.
Einer hielt einen Taxifahrer auf der Straße an, der reingelaufen kam. Andere telefonierten ihre Verwandten ab, durchkämmten das Internet und stellten Zeichnungen auf einer Zeitung an. Es war ein bisschen so wie in dem Asterix-Film, als ein komplettes Haus wegen des Passierscheins A38 außer Kontrolle geriet.
Dann endlich meldete sich Johnstones Sohn. Er sagte, dass er sich in der SMS vertippt habe und teilte mir den richtigen Namen der Straße mit. Ich gab es an die Menge weiter, die die Nachricht mit einem kollektiven Aufatmen vernahm.
Shakespeare im Pub
Ähnlich verhielt es sich, als ich Fans beider Lager anschrieb, um über das traditionsreiche Spiel zu sprechen. Na klar, war die Rückmeldung. Doch ich müsse unbedingt auch mit der Reporterlegende Archie Macpherson sprechen, hier die Nummer. Und Jodi könne noch viel dazu sagen, hier die Nummer. Und Jodi empfahl, die Spielerlegende Bertie Auld anzurufen. Hier die Nummer. Du musst mit Jeff sprechen, Jeff sagte, ich müsse unbedingt mit Gerry sprechen, einem Dokumentarfilmer. Irgendwann hatte ich so viele Nummern, Namen und Geschichten beisammen, dass ich ein Verzeichnis aufstellen musste.
Es lief wunderbar, doch die Sache hatte tatsächlich einen Haken. Für den die Glasgower aber nichts konnten, oder eben doch. Der Haken war: die Sprache. Ich war in der irrigen Annahme nach Schottland gereist, mit bisherigen Englischkenntnissen würden die Interviews schon problemlos zu meistern sein. Ich traf Robert Marshall, den Besitzer des Rangers-Pubs gegenüber des Ibrox. An manchen Stellen fragte ich nach, ein‑, zwei‑, oder dreimal.
Doch es wurde schwierig, schottisch wirkte wie bayrisch. Als ich wieder in der Redaktion war, spulte ich eine Stelle des Gesprächs auf dem Diktiergerät ungelogen 15-mal vor und zurück, befragte Kollegen. Dann rief ich Marshall noch mal an und schrieb ihm eine Mail. Erst dann wurde mir klar, dass er die Situation der Fans mit Shakespeare und Bezügen auf Karl Martell erklärt hatte.