Ronald Reng schrieb die Biographie von Robert Enke – und war einer seiner engsten Freunde. Hier erzählt Reng vom Leben mit und ohne den Nationaltorhüter.
Worüber konnten Sie mit ihm streiten?
Wir haben uns zum Beispiel mal über den Irak in die Wolle bekommen. In den Nachrichten lief ein Bericht darüber, wie irakische Menschen einen Selbstmordattentäter als Märtyrer feierten. Robbie meinte: „Einen Terroristen zu feiern, einen Mann, der Menschen umgebracht hat, ist abstoßend.“ Ich meinte, er müsse sich auch in das Weltbild dieser Leute hineinversetzen, für die der Mann eben kein Terrorist, sondern ein Held gewesen ist. Und so ging es dann eine Weile hin und her. Aber ich habe auch ganz triviale Szenen im Kopf. Wie er mir erklärt, warum er ganz dünne Torwarthandschuhe lieber mag als welche mit dickerem Belag.
Gibt es Momente, in denen er Ihnen besonders fehlt?
Definitiv. Vor allem mit dem Wissen, wie viel besser der Umgang mit psychisch erkrankten Sportlern heutzutage ist. Ich würde ihm manchmal gerne sagen: „Schau mal: Diese Therapie-Möglichkeiten gibt es mittlerweile für Hochleistungssportler.“ Aber ich vermisse ihn auch in ganz banalen Momenten. Neulich hätte ich ihn sehr gerne angerufen, um ihm eine Frage zu stellen.
Was denn?
Ich hatte Oliver Baumann, den Torhüter von Hoffenheim, spielen sehen und mir dabei gedacht: Von den Bewegungen her ist er Robbie total ähnlich. Ich hätte gerne Roberts Meinung dazu gehört.
Sie haben gerade die verbesserten Therapie-Möglichkeiten für Sportler angesprochen. Hat sich strukturell in den vergangenen zehn Jahren wirklich viel verbessert?
Absolut. Robert wusste damals nicht: Was macht man bei psychischen Krankheiten? Wo kann man sich überhaupt melden? Wo gibt es einen Facharzt, einen Psychiater, einen Psychotherapeuten, der etwas mit Sportlern anfangen kann? Er hat damals wahnsinnig lange herumgesucht, bis er Dr. Valentin Markser gefunden hat. Und gleichzeitig war das einzige Beispiel für das, was passiert, wenn die psychische Erkrankung eines Sportlers öffentlich wird, Sebastian Deisler. Ein für Robert abschreckendes Beispiel, da Sebastian ja wegen seiner Krankheit den Fußball aufgab. Diese beiden Faktoren haben sich im Fußball deutlich verbessert. Erstens gibt es mittlerweile ein Netzwerk von Sportpsychiatern, in Deutschland sind es über 70. Wenn ein Sportler den Verdacht hat, dass er oder ein Kollege unter Depressionen leidet, kann er innerhalb von Minuten kompetente Hilfe erreichen. Zweitens wissen die meisten Menschen heute mehr. Sie wissen: Depressionen sind eine Krankheit, die behandelt werden muss – und die dementsprechend auch geheilt werden kann. Robert hat sich leider getötet, aber er gehört damit zu nur 0,2 Prozent der Menschen, bei denen die Krankheit im Suizid endet. 99,8 Prozent der Menschen leben weiter, und ein großer Prozentsatz davon auch beschwerdefrei.
Trotzdem sorgen Depressionen bei Sportlern im Gegensatz zu einem Kreuzbandriss oder einer Muskelverletzung auch heute noch für ein großes öffentliches Echo. Aber Sportler lassen sich heutzutage anders als Robert damals sofort behandeln. Und kommen danach zurück wie nach einem Kreuzbandriss oder nach einer Muskelverletzung. Danny Rose zum Beispiel hat vor der WM 2018 bekannt gegeben, dass er nicht wegen einer Verletzung ausgefallen war, sondern wegen einer psychischen Behandlung. Danach hat er eine super WM gespielt und ist mit England bis ins Halbfinale gekommen. Das ist eine sehr gute Entwicklung.