Im Sommer 2011 wurde Piotr Trochowski unrühmlich aus Hamburg verabschiedet. Nun ist er Stammspieler beim FC Sevilla. Ein Gespräch über eine Beinahe-Abschiebung, seine Zeit beim HSV und 20 Prozent Ballbesitz gegen den FC Barcelona.
Piotr Trochowski, tauschen Sie gerne Trikots?
Piotr Trochowski: Wenn es sich anbietet: Warum nicht?!
Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler verbot seinen Spielern zuletzt einen Trikottausch mit Barcelonas Lionel Messi.
Piotr Trochowski: Habe ich mitbekommen. Hier dürfen wir tauschen, wie und wann wir wollen. Allerdings wird hier auch nicht so ein Rummel um Messi- oder Ronaldo-Trikots veranstaltet. Schließlich spielt jede La-Liga-Mannschaft mindestens zweimal pro Saison gegen den FC Barcelona und Real Madrid.
Erklären Sie uns: Wie verhindert man gegen Barcelona sieben Gegentore?
Piotr Trochowski: Leverkusen machte den Fehler, zu sehr mitspielen zu wollen. Gegen Barcelona musst du aber verteidigen, du musst arbeiten, 90 Minuten lang. Und dann bieten sich gelegentlich Möglichkeiten für Konter. Wobei das auch sehr frustrierend sein kann, denn sobald du einen Ball mit viel Mühe eroberst hast, weißt du: So und jetzt sind’s noch 70 Meter bis zum gegnerischen Tor. Da fehlt dir dann oft die Kraft.
Der FC Sevilla spielte diese Saison 0:0 im Nou Camp. Ein verdienter Punkt?
Piotr Trochowski: Ganz ehrlich: Wir hatten eine Menge Glück, Messi verschoss in der 92. Minute einen Elfmeter und auch sonst waren wir klar unterlegen. Und zur Verteidigung von Leverkusen muss ich sagen, dass sich die Ballbesitzwerte aus jenen Champions-League-Partien nicht groß von Barca-Spielen in der Primera Division unterscheiden. Auch hier hast du häufig 20 zu 80 Prozent Ballbesitz. Oder, wenn’s gut läuft, 25 zu 75.
Macht Messi allein den Unterschied?
Piotr Trochowski: Messi. Geboren, um eine Legende zu werden. Natürlich ist er ein großartiger Spieler, vermutlich der beste Spieler der Welt. Aber Barcelona ist auf jeder Position verdammt gut besetzt. Schauen Sie sich etwa Xavi, Andres Iniesta oder Carles Puyol an.
Der FC Sevilla hatte in der Vergangenheit auch viele große Spieler in seinen Reihen: Diego Maradona, Javier Saviola oder Bebeto. Wie sehr setzt man sich als Spieler vor einem Wechsel eigentlich mit der Historie eines Klubs auseinander?
Piotr Trochowski: Der HSV hat auch ja keine schlechte Historie (lacht). Natürlich hat mich das Angebot des FC Sevilla gereizt, auch weil der Klub eine große Geschichte hat. Außerdem wollte ich immer schon nach Spanien. Die Primera Division ist für mich nach wie vor die beste Liga der Welt.
Hatten Sie vor Ihrem Wechsel Kontakt zu Andreas Hinkel, der zwischen 2006 und 2008 für den FC Sevilla spielte?
Piotr Trochowski: Wir haben dreimal telefoniert. Er hatte damals eine schwierige Zeit, denn er kam kaum zu Einsatz. Sein Konkurrent beim FC Sevilla hieß Dani Alves. Dennoch hat er in höchsten Tönen von der Stadt gesprochen. Außerdem studiert ein Kumpel von mir in Sevilla, der mich ein wenig auf das Leben in Spanien vorbereitete. Sie haben alle recht behalten: Hier ist es um einiges entspannter als in Deutschland, hier spielt sich sehr viel auf der Straße ab und die Leute können nach der Arbeit oder dem Training auch mal abschalten. In Deutschland stand ich ständig unter Strom.
Sprechen Sie schon Spanisch?
Piotr Trochowski: Ja und es wird auch immer besser. Ich lerne.
Wie denn?
Piotr Trochowski: Als Fußballer verbringt man ja viel Zeit im Auto. Dort lässt man sich dann normalerweise mit Musik berieseln. Ich kaufte mir also im April 2011 eine Lern-CD, und seitdem redet auf jeder Autorfahrt eine Stimme auf Spanisch. Und auch wenn mir die Akzente und Slang-Vokablen noch Schwierigkeiten bereiten, kann ich sagen: Es wird besser. Seit meinem Wechsel weiß ich jedenfalls, wie schwer es manche ehemalige HSV-Mitspieler aus dem Ausland gehabt haben müssen.
Was war noch gewöhnungsbedürftig für Sie?
Piotr Trochowski: Wenig. Ich habe jedenfalls keinen Kulturschock erlebt. Eher einen Temperaturschock. Momentan ist es regelrecht frisch, wir haben gerade 27 Grad. Im vergangenen Sommer war es hingegen echt hart, da konntest du dich bei 40 Grad im Schatten kaum bewegen. Tagsüber half nur: Gardine zu – und auf das Training am Abend warten.
Und wie kommen Sie mit den Journalisten zurecht?
Piotr Trochowski: Das Verhältnis ist gut. Wobei ich sagen muss, dass ich gar nicht so viel Zeitung lese. Einmal war’s allerdings kurios. Ich befand mich im April 2011 auf dem Weg nach Sevilla, um den Vertrag zu unterschreiben. Der Flug ging über Mallorca. Dort erkannten mich einige Leute, Fans, so dachte ich. Sie machten ein Foto mit mir. Am nächsten Tag schlug ich die Zeitung auf und erblickte eben jenes Bild. Aber ganz ehrlich: Es gibt Schlimmeres.
„Ich dachte, es wären Fans“ – Piotr Trochowski und die spanischen Journalisten (Bild: Privat)
Herr Trochowski, Sie haben mal auf die Frage, warum Ihre Brüder nicht in der Bundesliga spielen, geantwortet: „Ihnen fehlt Glück.“ Ist das tatsächlich so: Braucht ein Profifußballer vor allem Glück?
Piotr Trochowski: Er benötigt vor allem Durchhaltevermögen.
Wie war das denn bei Ihnen, als der FC Bayern Sie 1999 verpflichtete? War das Glück oder Durchhaltevermögen?
Piotr Trochowski: Ich war damals 15 Jahre alt, und mit einem Mal hatte ich etliche Optionen. Ich hätte zum HSV oder zu Borussia Dortmund gehen können. Schließlich wechselte ich zum FC Bayern München. War das Glück? Vielleicht war es Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Der FC St. Pauli, bei dem ich seinerzeit spielte, war eine der besten deutschen Adressen im Jugendbereich.
Meister! Piotr Trochowski bei Concordia Hamburg. Mit 13 Jahren wechselte Trovhowski zum FC St. Pauli. (Bild: Privat)
Karl-Heinz Rummenigge sagte nach Ihrem Wechsel: „Wir würden versagen, wenn wir es nicht schaffen, Trochowski im Profiteam zu etablieren.“ Hat der FC Bayern versagt?
Piotr Trochowski: Was heißt versagt? Ich fühlte mich 2005 bereit, den nächsten Schritt zu machen. Mein damaliger Trainer Felix Magath sah das vielleicht anders. Also wechselte ich zum HSV.
Ein Jahr später nahmen Sie beinahe im Alleingang den FC Bayern auseinander. Sie bereiteten einen Treffer vor, das 2:0‑Siegtreffer erzielten Sie mit einem sehenswerten Distanzschuss. Sie spielten die Partie und das Tor damals herunter. Hand aufs Herz: Wie viel bedeutete Ihnen dieser Treffer?
Piotr Trochowski: Die Medien hypten das Tor damals tagelang. Ich wollte schlichtweg nicht den Eindruck erwecken, dass ich nun abheben könnte. Doch klar, das Tor war wichtig für mich. Mit einem Mal war ich überall präsent. Ich stand im Fokus. Und mit einem Mal war ich der Junge, der eines sehr gut konnte: Schießen.
Oliver Kahn sagte einmal: „Piotr hat einen richtig fiesen Schuss, damit hat er mich schon früher im Training geärgert.“ Wie haben Sie Ihre Schussstärke und Ihre Beidfüßigkeit trainiert?
Piotr Trochowski: Vielleicht lag es daran, dass ich mich eines Tages in der Jugend an meinem rechten Fuß verletzte und mein Vater sagte: „Versuch’s doch mit links.“ Also trainierte ich drei Wochen lang andauernd nur Linksschüsse.
Sie haben für das Hamburger Abendblatt ein Tagebuch geführt. Dort schrieben Sie 2007: „Druck, Druck, Druck, immer dieses Wort“. Die Erwartungshaltung in Hamburg war stets immens hoch, Sie standen häufig im Schatten von Rafael van der Vaart. Haben Sie denn nie Druck gespürt?
Piotr Trochowski: Wenn du ein Führungsspieler sein möchtest, ein Nationalspieler, einer, der vorweg geht, dann bist du immer der Erste, der in der Kritik steht. Das ist völlig normal. Damals, beim HSV, habe ich das nicht immer verstanden, ich habe mich oft gefragt, warum man mich ständig an den Pranger stellt. Heute gehe ich lockerer damit um, denn ich will diese Rolle des Führungsspielers erfüllen. Ich habe mir sie ausgesucht.
Sie spielten sieben Jahre beim HSV. Ihr Abschied im Mai 2011 fand dennoch zwischen Tür und Angel statt, genauer: Kurz vor dem letzten Saisonspiel gegen Borussia Mönchengladbach. Wie bewerten Sie Ihre Zeit beim HSV rückblickend?
Piotr Trochowski: Ich hatte eine gute Zeit, ich bin Nationalspieler geworden, war Stammspieler. Natürlich hat mich der Abschied ein wenig enttäuscht. Vor allem, weil Michael Oenning mich in jener Partie keine einzige Minute spielen ließ. Und dann sah ich später noch, wie Dede oder Nuri Sahin aus Dortmund verabschiedet wurden. Ich habe auch immer noch Kontakt zu einigen HSV-Spielern, zu Dennis Aogo etwa. Auch zum Teammanager Jürgen Ahlert. Als der HSV zuletzt ein Trainingslager in Marbella abhielt, habe ich die Jungs besucht.
Schauen Sie sich noch Spiele des HSV an?
Piotr Trochowski: Gelegentlich schaue ich mir die Zusammenfassungen im Fernsehen an. Außerdem informiere ich mich übers Internet. Sie können mich ruhig fragen: Ich bin auf dem neuesten Stand.
Wir wollen lieber noch über die Nationalmannschaft sprechen.
Piotr Trochowski: Gerne. Ich habe allerdings seit Herbst 2010 nichts mehr von Herrn Löw gehört. Das letzte Länderspiel habe ich bei der WM in Südafrika bestritten – das Halbfinale gegen Spanien.
Machen Sie sich trotzdem noch Hoffnungen auf eine EM-Teilnahme?
Piotr Trochowski: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich wäre natürlich wahnsinnig gern bei der EM in meiner alten Heimat dabei.
Ehemalige Nationalspieler wie David Odonkor, Timo Hildebrand oder Andreas Hinkel gerieten aus dem DFB-Blickfeld, nachdem Sie nach Spanien gegangen waren. Haben Sie das Gefühl, dass Sie für Jogi Löw noch präsent genug sind?
Piotr Trochowski: Seit Hinkels oder Hildebrands Zeit hat sich einiges geändert. Heute spielen ja Mesut Özil oder Sami Khedira bei einem der besten Klubs der Welt. Ich denke, dass die Verantwortlichen vom DFB schon aus diesem Grund häufiger nach Spanien schauen.
Stimmt es eigentlich, dass Sie beinahe gar nicht für Deutschland hätten spielen dürfen?
Piotr Trochowski: Nun, ich wäre beinahe gar nicht in Deutschland geblieben. Wir sind 1989 kurz nach der Wende aus dem polnischen Tczew nach Hamburg gekommen. Fünf Jahre später sollte meine Familie abgeschoben werden. Etliche Mitspieler und Schulkameraden organisierten daraufhin eine Demonstration vor dem Hamburger Rathaus. Ich weiß nicht, ob wir deswegen bleiben durften. Aber letztendlich war der entfachte Presserummel hilfreich.
Hat sich der polnische Verband nie um Sie bemüht?
Piotr Trochowski: Nein. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Mutter über eine polnische Zeitung in Hamburg einen Brief an den PZPN schrieb. Ich war damals zwölf oder 13 Jahre alt. Sie bat darum, dass die Scouts mal vorbeikämen und sich ein Spiel von mir ansähen. Doch die Scouts kamen nie. Mit 15 war mir dann klar, dass ich für Deutschland spielen möchte. Ich hatte in dem Land meine Kindheit und Jugend verbracht, hatte hier meine Ausbildung genossen, meine Freunde wohnten hier. Das war und ist meine Heimat. Und auch wenn ich seit einiger Zeit kein Länderspiel gemacht habe, bereue ich die Entscheidung nicht.