Vom Müllmann in Wales zur Kultfigur in Everton: Neville Southall war einer der besten Torhüter Europas. Er verließ Pokalfeiern und chauffierte lieber die Fans des Gegners. Heute wird er 65 Jahre alt.
Sie haben nie Alkohol getrunken. Wie liefen die Mannschaftsabende für Sie ab?
Ich wollte immer so schnell wie möglich wegkommen. Spätestens gegen zwei Uhr waren die meisten Mitspieler so betrunken und der Raum so verraucht, dass keiner mehr etwas mitbekommen hat. Aber das Beste innerhalb einer Mannschaft sind doch sowieso nicht die Trinkgelage, sondern der alltägliche Quatsch, den man so macht.
Zum Beispiel?
Wir waren einmal vor einem Auswärtsspiel im Hotel auf unseren Zimmer. Einer aus der Mannschaft war gerade auf einer Sauftour, da haben wir sein Zimmer komplett leer geräumt. Wir haben alles weggestellt: das Bett, den Fernseher, die Schränke, die Stühle – alles. Er kam zurück und dachte, er sei im falschen Hotel und irrte durch die Gegend.
Was war Ihr Lieblingsscherz?
Ich habe meine Mitspieler am liebsten beim Torschusstraining gefoppt, indem ich ihre Schüsse lächerlich machte. Ich zog zuerst die Handschuhe aus und wehrte ihre Bälle dann sogar mit dem Kopf ab. Das hat die Jungs wahnsinnig gemacht.
Dabei trainierten Sie doch ansonsten wie ein Besessener. Sie gelten als einziger Fußballer, der seinen Urlaub hasste.
Genau, die Urlaube haben mich total aufgeregt. Ich saß auf der Liege und dachte: „Das ist doch scheiße, ich könnte in der Zeit doch viel besser trainieren.“ Ich nahm ein Buch, las zwei Seiten und packte es wieder weg.
Wie war das für Ihre Familie?
Sie fragten: „Kommst du mit zum Strand oder ins Wasser?“ Ich sagte nur: „Nein, warum? Ich sehe darin keinen Sinn.“ Eine Woche Urlaub war hart, zwei Wochen die Hölle. Auch wenn das nicht romantisch klingt, aber so war es nun einmal für mich.
Immerhin waren Sie der wohl erste Spieler, der seiner Frau eine Liebesbotschaft auf dem Spielfeld überbracht hat.
Richtig, ich habe einen Trend losgetreten. Es gab damals viele schmierige Berichte in den Zeitungen, auf die ich hier nicht eingehen will. Also schrieb ich auf mein Shirt: „I love my wife.“ Einige Wochen später spielten wir gegen Sheffield Wednesday und deren Torwart zeigte ein Shirt, auf dem stand: „I love Neville Southall’s wife, too.„ Ich habe mich schlappgelacht.
Wenn Sie auf Ihre Laufbahn zurückblicken: Was war Ihr Highlight? Die zwei englischen Meisterschaften, zwei Pokalsiege, der Europapokalsieg …
… bei mir überwiegt der Ärger: Wir hätten schließlich noch viel, viel mehr erreichen können. Doch mitten in unserer Hochphase hat die UEFA in Folge der Heysel-Katastrophe die englischen Mannschaften mit einem Bann für die europäischen Wettbewerbe belegt.
Sie wirken noch immer sehr sauer auf den Fußballverband.
Lassen Sie es mich so sagen: Die UEFA kehrt auch mal sehr gerne Dinge unter den Teppich.
Was meinen Sie?
Ich war Trainer der walisischen U17, wir bestritten ein Spiel in Osteuropa, in dem einer unserer Jungs von den gegnerischen Spielern als „Nigger“ beschimpft wurde. Wir meldeten den Vorfall bei den UEFA-Offiziellen, doch die sagten nur: „Wir wollen keine Probleme.“ Bei einem Jugendturnier in Minsk waren wir auf derselben Hoteletage wie die Schiedsrichter. Sie haben sich Nutten aufs Zimmer kommen lassen. Auch davon hatte der Verband Kenntnis. Doch die Funktionäre nehmen Wales nicht ernst, sie reagieren nur, wenn es um die Großen geht. So ist es mittlerweile im Fußball: Wenn du kein Geld hast, dann haben sie dich an den Eiern.
Heute arbeiten Sie immer noch mit Kindern und Jugendlichen. Was machen Sie genau?
Ich habe sehr lange für ein Projekt namens NEET, „Not In Education, Employment or Training“, gearbeitet. Es drehte sich um Kinder, die die Schule schwänzten, sie abgebrochen hatten oder auch keine berufliche Zukunft besaßen. Wir haben mit ihnen vor allem im Bereich Sport gearbeitet und darüber versucht, ihnen Selbstvertrauen und Struktur fürs Leben zu vermitteln. Momentan arbeite ich an einer Schule mit 12- bis 16-Jährigen und knüpfe Kontakte zu Firmen, die den Kindern Praktika anbieten.
Was für ein Typ Betreuer oder Lehrer sind Sie?
Kein gewöhnlicher. Ein Schüler hatte Probleme mit dem Rechnen, da fing ich an, mit ihm Dart zu spielen. So hat er sich das Multiplizieren draufgeschafft. Und natürlich ist der Fußball ein Schlüssel. Er ist in manchen Dingen besser als die Schule: Er lehrt dich, mit Enttäuschungen umzugehen und die Stimmen von anderen auszublenden. So war es bei mir: Deshalb saß ich auch eine Halbzeitpause lang unbeeindruckt am Pfosten.