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Dieses Inter­view ist erst­mals 2019 erschienen.

Marek Mintal, Sie sind 1977 in Zilina, im mitt­leren Osten der dama­ligen Tsche­cho­slo­wakei, geboren. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an Ihre Kind­heit und Jugend?
Wir hatten nicht viel, im Ver­gleich zu heute fast gar nichts, aber das reichte uns damals. Ich habe drei Geschwister, zwei tolle Eltern und eine große Familie, da war immer was los. Mein Vater und seine beiden Brüder waren Erst­liga-Fuß­baller, der Apfel fällt also nicht weit vom Stamm. Im Sommer spielten wir Fuß­ball, im Winter Eis­ho­ckey. Manchmal mit Schien­bein­scho­nern, manchmal ohne. Ich brach mir die Nase, schlug mir die Lippen auf, bekam den Puck auf die Schien­beine oder ins Gesicht. Einmal verlor ich dabei einen Zahn. Es war das beste Trai­ning für meine spä­tere Pro­fi­kar­riere.

Inwie­fern?
Ich hatte nicht son­der­lich viel Talent, aber ich konnte das durch vollen Ein­satz und eine fan­tas­ti­sche Kon­di­tion aus­glei­chen. Wenn du dich als kleiner Junge beim Fuß­ball oder Eis­ho­ckey gegen die Großen durch­zu­setzen lernst, brauchst du keinen Fit­ness­coach, das geht von ganz alleine. Denn wenn man mit den Älteren nicht mit­halten konnte, durfte man nicht mehr mit­spielen, das wollte ich natür­lich ver­hin­dern. Kurz vor Weih­nachten kauften wir uns immer neue Schläger und dann ging es bei minus 20 Grad aufs Eis, stun­den­lang. Nie­mand kon­trol­lierte die Zeit, oder ob wir uns auch nicht ver­letzten. Ich bin sehr dankbar für diese Jahre.

Wie haben Sie sie sam­tene Revo­lu­tion“ vor 25 Jahren in der Tsche­cho­slo­wakei erlebt?
Plötz­lich war das Leben voller neuer Mög­lich­keiten. Wenn wir früher mal in den Urlaub fuhren, dann nach Polen, in die Ukraine oder nach Bul­ga­rien. Jetzt waren die Grenzen offen und man durfte hin, wo man wollte. Wenn ich mit meiner Mann­schaft bei Jugend­tur­nieren im Westen spielte, gab ich mein kom­plettes Geld für Süßig­keiten aus: Gum­mi­bär­chen für meine Geschwister, Nutella für meine Eltern, Kau­gummi für mich – mein Vater hatte lange für die 100 Mark oder Gulden arbeiten müssen und ich setzte es kom­plett in süßes Zeug um. Das war gut ange­legt.

Wollten Sie immer Fuß­baller werden?
Ja! Ich habe so viele Sport­arten aus­pro­biert, aber Fuß­ball war meine Nummer eins. Wenn das Trai­ning vorbei war, spielte ich Fuß­ball-Tennis mit den Rent­nern, da musste man höl­lisch auf­passen, keinen Fehler zu machen, sonst wurde man von einem 65-Jäh­rigen ange­raunzt. Mit 19 stieß ich zur ersten Mann­schaft und musste mich erstmal hinten anstellen: Bälle auf­pumpen, Kisten schleppen, das volle Pro­gramm. Das tat ich sogar bei der U21, obwohl wir da Betreuer hatten. Aber es machte mich stolz. Und von Jahr zu Jahr schoss ich mehr Tore.

Sie waren schon 25 Jahre alt, als Sie 2003 zum 1. FC Nürn­berg wech­selten. Träumten Sie von einer Kar­riere im Aus­land?
Natür­lich. Aber meine Ziele waren Tsche­chien oder Russ­land, ich dachte daran, irgend­wann einmal in diesen Ligen zu spielen und viel­leicht 250.000 Dollar im Jahr zu ver­dienen. Die Bun­des­liga erschien uner­reichbar, ich kannte sie nur von Ranis­simo“, die Sen­dung schaute ich mir jeden Sonntag an. Die vollen Sta­dien, die groß­ar­tigen Spieler – manchmal vergaß ich vor lauter Bewun­de­rung fast zu atmen.

Der Legende nach wurden Sie dem 1. FC Nürn­berg 2003 vom deut­schen Auto­händler Peter Hammer emp­fohlen.
Nicht ganz. Der Vater von Peter Ham­mers slo­wa­ki­scher Freundin war Trainer in der Slo­wakei. Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber er offenbar mich. Er emp­fahl mich und Robert Vittek, der damals bei Slovan Bra­tis­lava spielte, und Hammer gab das an seinen Bekannten Wolf­gang Wolf weiter. Wolf trai­nierte zu dieser Zeit die frisch aus der Bun­des­liga abge­stie­genen Nürn­berger. Am vor­letzten Spieltag saß Wolf mit seinem Bruder Arno bei uns auf der Tri­büne, im ent­schei­denden Spiel um die Meis­ter­schaft trafen wir auf Slovan. Vor dem Spiel dachte ich mir: Du hast nur diese eine Chance, jetzt nutze sie auch! Wir gewannen mit 2:1 und wurden Meister vor Slovan, die nach der Hin­runde noch zwölf Punkte Vor­sprung gehabt hatten. Kurz darauf wurde ich erst­mals nach Nürn­berg ein­ge­laden.

Wie ver­lief dieses Treffen?
Fragen Sie mich nicht, warum, aber als meine Freundin und ich durch Nürn­berg fuhren, spürte ich gleich eine beson­dere Ver­bin­dung zu dieser Stadt. Und so ging es mir auch mit dem Verein. Also ver­ließ ich Zilina und ging nach Deutsch­land. Nach zwei Wochen hatte ich so fürch­ter­li­ches Heimweh, dass ich mit Tränen in den Augen wieder nach Hause fuhr.

Was war da los?
Alles war neu für mich, die Sprache, die Men­ta­lität, der Fuß­ball – ich ver­misste mein ver­trautes Zuhause. Als die Tränen getrocknet waren, dachte ich über meine Situa­tion nach. Da wurde mir bewusst, dass ich mich ein­fach vor meiner Angst ver­steckte. Meiner Angst, mich zu bla­mieren. Aber ich hatte nur diese eine Chance meinen Traum zu ver­wirk­li­chen, also riss ich mich zusammen, fuhr wieder nach Nürn­berg und stürzte mich in die Arbeit. Mit jedem Zwei­kampf ver­flog meine Angst. Und als ich in einem Trai­nings­spiel ein eigent­lich furchtbar häss­li­ches Tor schoss, wusste ich, dass ich es auch in Nürn­berg packen würde. Mit jedem Treffer gewann ich mehr Respekt bei meinen Mit­spie­lern.

Im ersten Jahr wurden Sie mit 18 Toren Tor­schüt­zen­könig in der zweiten Liga und halfen mit, den Club in die erste Liga zu führen. Nicht schlecht für einen, der vor Sai­son­be­ginn noch mit Heimweh nach Hause fliehen wollte.
Ich lief meine Gegen­spieler ein­fach in Grund und Boden. Ich war nie der Schnellste, aber ich konnte laufen. Ich bin tau­sende von Kilo­me­tern in meiner Kar­riere umsonst gelaufen, aber was heißt im Fuß­ball schon umsonst? Irgend­wann war mein Gegner müde, tat sich eine Lücke auf, kam der Ball – und dann machte ich ihn rein. Des­halb waren mir auch die Ana­lysen egal. Mintal hatte nur 25 Ball­kon­takte? Na und, wir hatten gewonnen und ich hatte alles gegeben, nur das zählte.

Auch in der darauf fol­genden Bun­des­liga-Saison schossen Sie mehr Tore als jeder andere. Kann man einen sol­chen Tor­rie­cher trai­nieren?
Ich glaube, so etwas hat man oder hat man nicht. Aus irgend­einem Grund wusste ich meist schon vorher, wohin die Flanke fliegen würde, wohin der Pass gehen könnte. Und dann muss­test du ein­fach hell­wach sein, da sein, das Tor machen. Nur war ich dafür zuvor schon viele Kilo­meter gelaufen.

Weil Sie Ihre Treffer häufig quasi aus dem Nichts schossen, bekamen Sie den Spitz­namen Phantom“ ver­passt. Ein tref­fender Ver­gleich?
Ach, das hatte sich ein Jour­na­list aus­ge­dacht und mir war das ziem­lich egal. Über­haupt die Medien. Sie wun­derten sich, warum ich so wenige Inter­views geben wollte, aber das ganze Gerede von Fuß­bal­lern ist doch meis­tens nur Blabla. Ich sagte ihnen: kommt zum Spiel und schaut euch an, wie ich Fuß­ball spiele. Das kann ich besser, als Geschichten zu erzählen.

Nach einer langen und nur von wenigen Ein­sätzen unter­bro­chenen Ver­let­zungs­mi­sere fei­erten Sie Ihr Come­back aus­ge­rechnet im Halb­fi­nale des DFB-Pokals gegen Ein­tracht Frank­furt 2007.
Ein sehr bewe­gender Moment. Wir schafften den Einzug ins Finale und fuhren tat­säch­lich nach Berlin. Ich spielte von Anfang an. In der 27. Minute gelang mir das 1:1, dann trat mich Fer­nando Meira über den Haufen und ich musste vom Feld. In der Halb­zeit wurde ich zusammen mit unserem Betreuer Boban Pri­ba­novic von einem DFB-Chauf­feur in eine pri­vate Praxis eines Ber­liner Arztes gebracht, der machte ein MRT, stellte aber fest, dass das Knie noch zu sehr geschwollen war für eine end­gül­tige Dia­gnose. Wir fuhren also so schnell wie mög­lich zurück. Im Radio hörten wir, wie die letzten Minuten der Ver­län­ge­rung anbra­chen, exakt in der 119. Minute stieg ich in den Kata­komben des Olym­pia­sta­dions aus dem Wagen und hum­pelte in den Tunnel. Gerade noch recht­zeitig, um den Schluss­pfiff mit­zu­er­leben. In diesem Moment war das kaputte Knie, waren die Schmerzen völlig ver­gessen. Am liebsten wäre ich vor lauter Freude eine Ehren­runde im Voll­sprint gelaufen. Es war wie im Film. Ich war in Berlin, ich war nicht in Berlin, ich war doch in Berlin. Jedes Mal wenn ich heute Boban über den Weg laufe, bringt er den glei­chen Gag: Danke für Berlin!“ Er hatte ja auch das halbe Spiel ver­passt.

Hat sich Meira bei Ihnen ent­schul­digt?
Nein, wir haben nie mit­ein­ander gespro­chen. Gleich nach der Partie kam Markus Babbel zu mir und erkun­digte sich nach der Schwere der Ver­let­zung. Aber ich bin nie­manden Böse, so ist Fuß­ball.

Wie war die Party nach dem Pokal­sieg?
Nach dem Ban­kett im Hotel kamen die Schmerzen. Und zwar richtig. Da halfen auch die Schmerz­ta­bletten nicht und betrinken wollte ich mich auch nicht. Wäh­rend die anderen in die Disco gingen, lag ich alleine auf meinem Zimmer. Ich konnte mich aller­dings ganz gut auf andere Gedanken bringen, fünf Tage zuvor war mein zweiter Sohn geboren worden.

Wie gingen Sie damit um, als Sie in den fol­genden Jahren immer sel­tener spielten und sich statt­dessen jün­gerer Kon­kur­renz erwehren mussten?
Zwei, drei Monate hatte ich damit rie­sige Pro­bleme. Wenn ich nach einer guten Trai­nings­woche nicht meinen Namen in der Auf­stel­lung fand, dann wurde ich wütend und ent­täuscht, aber irgend­wann stellte ich fest, dass das nicht der rich­tige Weg war, damit umzu­gehen. Ich wollte wieder Spaß am Fuß­ball haben, wollte freier im Kopf sein. Das gelang mir auch und wenn ich nicht in der Startelf stand, tat das zwar immer noch weh, war aber nicht mehr so schlimm.

2013 been­deten Sie Ihre Kar­riere. Wie war der erste Tag als Fuß­ball-Rentner?
Es war schön und traurig zugleich. Am Anfang genoss ich die freie Zeit, fuhr mit meiner Familie in den Urlaub, lag faul in der Sonne und ver­brachte viel Zeit mit meinen Kin­dern. Aber irgend­wann fehlte mir der gewohnte Tages­ab­lauf und bald stieg ich beim FCN als Trainer ein, der Fuß­ball hatte mich wieder.

Warum haben Sie nie den Verein gewech­selt? Sie hatten Anfragen von vielen großen Klubs.
Ich war damals ein­fach sehr glück­lich und zufrieden. Ich mochte die Stadt und den Verein, liebte das Sta­dion und die Fans. Meine Familie fühlte sich wohl, ich hatte also alles, was ich brauchte. Warum hätte ich nur für Geld all das auf­geben sollen? Ich bin so dankbar für alles, was man mir hier ermög­licht hat. Ich habe nie auch nur eine Sekunde daran gedacht, diesen wun­der­baren Verein zu ver­lassen.