Am heutigen Sonntag steigt das Manchester-Derby. Wir sprachen mit Manchester City-Legende Uwe Rösler über Citys Scheich-Millionen, Fußball-Romantik in der Dritten Liga und Warm-Up in der Sauna.
Uwe Rösler, Sie sind eine Legende bei Manchester City und Mitglied der vereinseigenen Hall of Fame. Ist das noch Ihr Verein?
Selbstverständlich. Warum sollte er das nicht mehr sein?
Durch die Scheich-Millionen hat sich in sehr kurzer Zeit sehr viel verändert.
Was heißt schon Millionen? Bayern München hat auch viele Millionen. Manchester City ist ein Verein, der sich Jahrzehnte im Mittelmaß der Premier League bewegt hat – wenn überhaupt. Durch die Strukturen in England ist eine Übernahme wie die durch Scheich Mansur möglich. Und den Abstand zu den Top-Teams zu überwinden, war nur durch erhebliche finanzielle Mittel machbar. Das hat ManCity geschafft. Dass es nicht ewig so weitergeht, ist allen klar. Deshalb investiert man in Manchester unheimlich viel in die Nachwuchsarbeit. Ich denke, in den nächsten Jahren werden nur noch punktuell Stars eingekauft. Der Großteil wird aus der Jugendakademie kommen.
Eine Reaktion auf das Financial Fairplay?
Natürlich. Die Investoren haben den Verein nach oben gebracht und die Meisterschaft ermöglicht. Jetzt soll der Verein oben bleiben und irgendwann auch auf europäischer Ebene erfolgreich sein. Die Basis dafür ist gelegt.
Wie haben Sie denn die Meisterschaft in diesem Jahr erlebt?
Der FA-Cup im Vorjahr war für mich fast noch emotionaler. Den ersten Titel seit Ewigkeiten live im Wembley-Stadion mitzuerleben, war einfach phantastisch. Aber auch die Meisterschaft war unglaublich. Die Art und Weise, wie der Titel gewonnen wurde, mit den zwei benötigten Toren in der Nachspielzeit, war an Dramatik nicht zu überbieten. Ich glaube, es ist Schicksal, dass dieser Verein jetzt das Glück auf seiner Seite hat, nachdem er so lange am Boden lag. Aber auch typisch für den Club: City geht immer den Weg, auf dem die Fans die meisten Nerven verlieren.
Waren Sie im Stadion?
Ja. Einige Fans sind aus Enttäuschung schon vorzeitig gegangen, unglaublich, wie die sich später geärgert haben müssen. Diese Nachspielzeit werde ich nie vergessen. Ich habe noch nie so viele Menschen heulen sehen. Und die Feier danach auf dem Platz und in den VIP-Räumen war phantastisch.
Zu Ihrer aktiven Zeit war Manchester City nicht gerade ein Spitzenklub. Waren die jüngsten Erfolge auch das Emotionalste, was Sie persönlich jemals mit dem Verein erlebt haben?
Das kann man nicht vergleichen. Ich hatte als Aktiver auch unglaublich schöne, aber auch sehr dramatische Momente. Ich erinnere mich noch, dass ich sehr geweint habe, als wir mit City aus der Premier League abgestiegen sind. Das war einer der bittersten Momente meiner Karriere überhaupt. Trotzdem hatte ich eine wunderschöne Zeit in Manchester. Ich konnte nach der Wende meinen Traum erfüllen und in England Fußball spielen und ich bin dem Verein immer noch sehr verbunden. Ich fühle mich auch immer noch als Repräsentant von Manchester City.
Eine Verbundenheit, die auf Gegenseitigkeit beruht. Sie werden immer noch mit Sprechchören gefeiert, 15 Jahre nach Ihrer aktiven Zeit bei City. Wie fühlt sich das an, eine lebende Legende zu sein?
Es ist wundervoll zu sehen, was man hinterlassen hat. Meine Kinder haben mich nie für City spielen sehen. Als ich vor Kurzem beim Champions League-Spiel gegen Real Madrid mit ihnen im Stadion war und die Fans anfingen, meinen Namen zu rufen, war das unheimlich bewegend und hat mich sehr stolz gemacht. Manchester ist meine Heimat geworden. Hier habe ich meine Frau kennengelernt, hier ist mein erster Sohn geboren und hier leben wir mittlerweile wieder.
Zwischenzeitlich waren Sie im beschaulichen Norwegen tätig, nun sind Sie nun wieder im Mutterland des Fußballs und trainieren den Drittligisten Brentford FC. War das eine große Umstellung?
Ich war sechs Jahre Trainer in Norwegen, hier in Brentford bin ich Manager nach dem englischen Modell. Das heißt, dass ich viel mehr Verantwortung habe und die Aufgabengebiete viel umfangreicher sind. Ich bin für die Mannschaft zuständig, für das Scouting, für die Angestellten, für die Jugendakademie und vieles mehr. Ich bin aber sehr froh, auf diesem Niveau zu arbeiten.
Findet man in den unteren Ligen Englands noch den ehrlichen, englischen Fußball, der hier in Deutschland so gerne verklärt wird?
Die Premier League ist die beste Liga der Welt, die in den vergangenen 20 Jahren eine steile Entwicklung genommen hat. Das Geld ist vorhanden, die besten Spieler der Welt dementsprechend auch. Es wurde aber auch viel Geld in die Jugendakademien gesteckt. Das Niveau bei den jungen Spielern ist dadurch gestiegen, die Kader der Erstligisten sind allerdings so aufgebläht, dass viele der Nachwuchsspieler nicht zum Zuge kommen. Das macht sich in den unteren Ligen bemerkbar. Viele junge, gut ausgebildete Spieler, die es in der Premier League nicht schaffen, kommen in die unteren Ligen.
Also kein Kick-and-Rush mehr? Kein Gras fressen im Nieselregen?
Das Niveau ist überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Die Qualität der Premier League strahlt nach unten aus. Technisch und taktisch ist das Lichtjahre entfernt von früher, wo der Ball nur hoch nach vorne gebolzt wurde.
Ist das das Reizvolle an Ihrem Job? Junge, gut ausgebildete Spieler formen und verbessern?
Das Problem im englischen Fußball ist, dass man als Trainer kaum Zeit hat für langfristige Aufbauarbeit. Die Clubbosse agieren oft nach dem Prinzip „Hiring and Firing“. Wenn man aber als Trainer gute Beziehungen zu den Managern der Premiere League hat, bekommt man den ein oder anderen talentierten Nachwuchsspieler. Wir haben zur Zeit Leihspieler aus Norwich, Everton und Southampton, andere Leihspieler aus der letzten Saison haben wir fest verpflichten können.
Also sind sie eine Art Ausbildungsverein?
Das ist unser Weg in Brentford. Wir zeigen den Spielern, dass sie sich hier gut entwickeln und den nächsten Schritt machen können. Wir können uns auch nicht aus der Liga rauskaufen, sondern müssen durch gute und kontinuierliche Arbeit den Weg nach oben finden.
Reicht das für den Aufstieg?
Das werden wir sehen. Momentan haben wir eine sehr gute Phase. Letzte Saison wären wir schon fast in die Playoffs gekommen, dieses Jahr wollen wir es besser machen. Wenn wir die Playoffs erreichen, ist alles möglich.
Von Spielern, die lange in England waren, hört man immer wieder skurrile Geschichten aus dem englischen Fußball. Haben Sie zum Abschluss auch eine Anekdote aus Ihrer Zeit als Profi auf der Insel?
Mit den ganzen Stories könnte ich ein komplettes Buch füllen. Als Beispiel: Bei meinem ersten Spiel für Manchester City bin ich zum Warmmachen rausgelaufen und habe irgendwann gemerkt, dass nur vier oder fünf Spieler mit mir aus der Kabine gekommen waren. Ich konnte noch kein Englisch und wusste nicht so recht, was los ist. Ich ging also zurück in die Kabine und sah, dass die älteren Spieler in der Sauna und im Warmwasserbecken saßen und sich in der Wärme ganz entspannt ein wenig dehnten. Ich war entsetzt. Aber die Spieler, die sich so altherrenmäßig warm gemacht hatten, waren mit dem Anpfiff die aggressivsten Spieler auf dem Platz.