Der ehemalige DDR-Fußballer Dirk Schuster legte nach der Wende eine bechtliche Karriere hin. Er spielte unter anderem für den KSC, den 1. FC Köln und Antalyaspor. Seit einem Jahr ist er Trainer bei Darmstadt 98, die heute im Pokal auf Schalke 04 treffen. Ein Gespräch über Ost-West-Denken, Motivationsspritzen und den Traum von einer Rückkehr nach Karlsruhe.
Dirk Schuster, Ihr Trainerkollege Jens Keller ist fast zeitgleich mit Ihnen in den Trainerberuf eingestiegen, allerdings trainiert er mittlerweile einen Champions-League-Teilnehmer, Sie dagegen einen Drittligisten, der um den Klassenerhalt kämpft. Was hat Jens Keller in den vergangenen Jahren besser gemacht?
Das kann ich nicht beurteilen. Fakt ist: Er hat seit jeher gute Verbindungen zu einem großen Klub, dem VfB Stuttgart. Dort war er zunächst Co-Trainer unter Christian Gross und wurde nach dessen Beurlaubung zum Cheftrainer ernannt. Er hatte dabei sicherlich auch das Quäntchen Glück, das man in diesem Geschäft braucht. Ich bin überzeugt davon, dass er genau so akribisch und konzentriert arbeitet wie ich.
Sie sagten mal, Sie hätten sich nach Ihrer Trainerausbildung eine Frist von achtzehn Monaten gesetzt. Wäre in diesem Zeitraum kein Vertrag zustande gekommen, hätten Sie einen anderen Weg eingeschlagen. Hand aufs Herz: Wie viel Übertreibung steckt in dieser Aussage?
Gar keine. Ein Scheitern ist in diesem Geschäft nicht ausgeschlossen.
Aber Sie haben Ihre Trainerausbildung 2007 als Lehrgangsbester abgeschlossen – da brennt man doch darauf, seine Ideen umzusetzen. Hätten Sie tatsächlich einen Schlussstrich gezogen, bevor es so richtig begonnen hat?
Mir war von Anfang an klar, dass es keinen Freifahrtschein gibt. Es kann immer etwas schiefgehen. Das hat weder mit Pessimismus zu tun noch mit fehlendem Selbstbewusstsein. Erfolge als Spieler zählen nicht.Welcher Trainerneuling kann von vornherein sagen, er werde nach der Trainerausbildung in der Ersten‑, Zweiten‑, oder Dritten-Liga unterkommen? Es gibt viele gute Trainer, die derzeit keinen Job haben.
Aber weshalb gerade diese 18-Monats-Frist?
Ich kann nicht fünf oder zehn Jahre warten, bis plötzlich irgendein Sportdirektor an die Tür klopft und sagt: „Dich will ich unbedingt holen“. Je länger man aus dem Geschäft heraus ist, desto schwieriger ist es, wieder Anschluss zu finden – das gilt sowohl für Spieler als auch für Trainer. Im bezahlten Fußball spielt es keine Rolle, ob du im Amateurbereich ein paar Akzente gesetzt hast, entscheidend sind die Referenzen und Erfolge.
Was hätten Sie denn gemacht, wenn es nicht geklappt hätte?
Auf jeden Fall hätte diese neue Aufgabe mit Sport zu tun gehabt. Vielleicht wäre ich Trainer in einem Fitnessstudio geworden, keine Ahnung.
Sie haben in Ihren letzten Profijahren für die Karlsruher Klubs ASV Durlach und den FC Alemannia Wilferdingen gespielt. Täuscht der Eindruck, dass Sie Ihr Karriereende hinausgezögert haben?
Ich habe es als angenehm empfunden, meine Spielerkarriere in den unteren Ligen peu à peu ausklingen zu lassen. Es war schön, noch einmal die Luft des Amateurfußballs zu schnuppern. Man sieht doch an vielen Beispielen, wie schwierig es ist, von einem Tag auf den anderen aufzuhören. So mancher Ex-Profi weiß in den ersten Monaten nach seinem letzten Spiel doch gar nicht, was er tun soll. Kurzum: Ich wollte auf keinen Fall in ein Loch fallen, sondern mich langsam an den Alltag abseits des Profifußballs gewöhnen.
Sie sind im Alter von 23 Jahren vom 1. FC Magdeburg zu Eintracht Braunschweig gewechselt, es war die Zeit der Wende. Wie haben Sie die ersten Monate in der neuen Umgebung erlebt?
Damals war alles neu für mich. Die mediale Beobachtung hat mich stark beeindruckt. Das kannte ich nicht. In Magdeburg gab es vielleicht einen Zeitungsartikel über das bevorstehende Spiel, das war’s. In Braunschweig dagegen war im Umfeld wesentlich mehr los, und das, obwohl der Klub damals nur in der Zweiten Liga kickte. In den ersten Monaten habe ich erfahren, was Profifußball wirklich bedeutet. Vom Teamgedanken, wie ich ihn aus der DDR kannte, war nicht viel übrig geblieben. Ich merkte: Jeder ist sich selbst am nächsten. Diese Ellenbogenmentalität haben viele DDR-Sportler zu jener Zeit erst lernen müssen. Glücklicherweise ist es mir gelungen, mich schnell anzupassen.
Hatten Sie damals Angst, dass Ihr rasanter Aufstieg, den Sie in der DDR erlebten, plötzlich stoppte? Sie hatten immerhin vier Länderspiele im Jahr 1989/90 gemacht.
Nein. Ich war jung, hochmotiviert und voller Energie. An ein mögliches Scheitern habe ich keinen Gedanken verschwendet. Hilfreich war sicherlich auch der zeitgleiche Wechsel meines damaligen Trainers (Joachim Streich, d. Red.) nach Braunschweig. Das gab mir einen Zusatzschub.
Weshalb haben Sie sich eigentlich für Braunschweig entschieden? Sie hatten doch sicherlich viele Top-Angebote vorliegen.
Ich hatte in der Tat einige Angebote aus der Bundesliga, habe mich aber bewusst für einen Zweitligisten entschieden. Bei der Eintracht hatte ich ein gutes Gefühl. Zudem nahm ich an, dieser Wechsel sei die sicherste Variante, um den nächsten Sprung vorzubereiten. Ich wollte nach ganz oben – aber Schritt für Schritt.
Ist das typische Ost-West-Denken in Ihrer Karriere jemals ein Thema gewesen?
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass innerhalb der Mannschaft darüber gesprochen wurde. Sicherlich fiel mal der eine oder andere Spruch, Stichwort Kleidung oder so, aber das ist ja auch heute noch gang und gäbe. Derjenige, der zu einer Gruppe stößt, wird von jener erst mal aufgezogen. Dennoch: Ost-West-Debatten habe ich im Fußball nie erlebt.
Welches Klischee hatten Sie vom Profisport in der Bundesrepublik?
Mir ging es nur darum, ordentlich Fußball zu spielen. Ich hatte genug damit zu tun, mich anzupassen, mich auf das Neue einzulassen. Klischees habe ich schlicht beiseite geschoben, sie hätten mich nur gebremst. Mein Ziel war es, derart gut und erfolgreich zu spielen, dass ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Am Ende geht es doch immer nur ums eins: ein gutes, angenehmes Leben.
Werden Sie eigentlich noch regelmäßig auf das sogenannte „Wunder vom Wildpark“ angesprochen, dieses 7:0 des Karlsruher SC gegen den FC Valencia im Jahr 1993?
Oh ja. Diese Partie hat offensichtlich viele Spuren hinterlassen.(lächelt) Fragen mich Jugendliche, ob ich damals dabei gewesen sei, bin ich immer wieder aufs Neue stolz, wenn ich mit „Ja“ antworte. Ich war Teil dieser wunderbaren Geschichte.
Haben Sie schon mal daran gedacht, Ihrer Mannschaft dieses Spiel in voller Länge zu zeigen? Zum Beispiel als Motivationsspritze vor der DFB-Pokal-Partie gegen Schalke…
…Nein, derlei wäre schlicht unangebracht. Der Fußball von damals hat nicht mehr viel zu tun mit dem Fußball von heute. Außerdem sind wir zu jener Zeit mit zwei Toren Rückstand in die Partie gegangen. Das ist gegen Schalke erfreulicherweise nicht der Fall. Oder habe ich etwas verpasst? (lacht) Einzige Parallele ist vielleicht die Erwartungshaltung.Valencia war damals Tabellenführer der Primera Division, dem KSC wurde nach der krassen Hinspiel-Pleite nichts mehr zugetraut.
Wer traut dem SV Darmstadt 98 einen Sieg gegen den FC Schalke zu?
Eben. Vermutlich fast niemand. Wir sind ein gefühlter Viertligist, der es nun mit einem ambitionierten Champions-League-Teilnehmer aufnimmt. Da kann ich nur sagen: Puh! Schalke ist noch mal eine härtere Nuss als unser Erstrundengegner Mönchengladbach.
Und worin liegt nun Ihre Chance?
Ich werde Ihnen jetzt nicht unsere Strategie erklären (lächelt) Die Schalker wissen genau, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent weiterkommen. Wir wollen einfach unseren Beitrag dazu leisten, dass es ein schöner Abend wird. Unser Ziel muss es sein, so lange wie möglich das 0:0 zu halten. Das könnte beim Gegner für eine gewisse Nervosität sorgen. Aber noch mal: An diesem Abend hat nur ein Team etwas zu verlieren, der FC Schalke 04.
Die DFB-Pokal-Partien gegen Mönchengladbach und Schalke spülen etwa 800.000 Euro in die Vereinskasse Ihres Klubs, das ist etwa ein Drittel des gesamtes Etats. Was haben Sie mit diesen Zusatzeinnahmen vor?
Der finanzielle Aspekt ist für den Verein zwar schön, spielt für mich im Tagesgeschäft allerdings keine Rolle. Der SV Darmstadt 98 ist strukturell so aufgestellt, dass hier kein Cent mehr ausgegeben wird, als zuvor eingenommen wurde. Dass wir mit Schalke erneut ein super Los bekommen haben, freut uns in erster Linie aus sportlichen Gründen.
Werden Sie im Winter neue Spieler verpflichten?
Wir sind von unserem Kader überzeugt. Zurzeit sehe ich keinen Handlungsbedarf. Dennoch ist es schön zu wissen, dass wir im Notfall reagieren könnten.
Mit welchen drei Adjektiven würden Sie den folgenden Satz kommentieren: „Dirk Schuster verfolgt den Traum, irgendwann Cheftrainer des Karlsruher SC zu werden“?
(Lange Pause) Wahr. Langfristig. Ehrenvoll.