Beim VfB ohne Chance, in Leipzig ohne Anschluss. Joshua Kimmich erlebte früh in seiner Karriere herbe Rückschläge. Hier spricht er über sein Vorbild Sebastian Rudy, seinen Kumpel Serge Gnabry und Einsamkeit im Hotel.
Dies sind zwei Interview-Extrakte aus der Titelgeschichte „Schrei nach Siegen“ über Joshua Kimmich (11Freunde 214).
Sie sind mit zwölf Jahren zum VfB gewechselt. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Zunächst spielte ich als Gastspieler bei den Turnieren und Spielen. Trainiert habe ich weiter in meiner Heimat in Bösingen. Im zweiten Jahr bin ich drei Mal in der Woche nach Stuttgart gefahren, dazu einmal zum Stützpunkttraining im Schwarzwald. Das war brutal: Drei- bis viermal Mittagsschule bis 15 – 16 Uhr, dann zum Park and Ride, ab zum Training, spät abends noch die Hausaufgaben machen. Das Programm war straff. Zum Glück wechselte ich ein Jahr später ins Internat des VfB, damit erfüllte sich auch ein Traum von mir. Ich hatte früher mal einen Artikel gelesen, dass sie dort einen Kunstrasenplatz auf dem Dach haben und man von dort aus ins Stadion schauen kann. Außerdem war Sebastian Rudy immer jemand, dessen Weg ich verfolgte, da er aus einem Nachbarort kam. Doch trotzdem war für mich der Traum vom Profi noch nicht wirklich da, auch weil ich im Vergleich zu den Älteren körperlich hinten dran war.
Aber Sie waren doch Kapitän Ihrer Mannschaften.
In den ersten zwei drei Jahren schon, ab der U17 nicht mehr. Ich war auch nicht der alles überragende Spieler, das war immer der Serge (Gnabry). Die Rolle des „Anführers“ lag mir jedoch, weil ich die nötige Mentalität mitgebracht habe und die anderen mitziehen wollte.
Stimmt es, dass Sie dabei auch häufiger überzogen? Dass Sie zu hart zu sich und Ihren Mitspielern waren?
Das war sicher bei meinem Heimatverein noch extremer und hat sich beim VfB etwas gelegt, da konnte ich die Energie schon positiver für mich nutzen. Aber ich habe es nicht rausbekommen, dass ich bei Niederlagen total fertig war, rumgeschrien und auch geheult habe. Da war zu negativ gegenüber mir selbst und meinen Teamkollegen. Entscheidend war aber das Jahr in der U17: Ich übersprang einen Jahrgang und wollte auch da den Ton angeben. Bis ich merkte: Hey, du spielst ja gar nicht mehr! Ich saß unter Thomas Schneider, dem späteren Co-Trainer der Nationalelf, plötzlich fünf Spiele auf der Bank. Das hat mich so angetrieben, dass ich Extraschichten auf dem Trainingsplatz und Kraftraum einlegte. Ich kämpfte mich zurück in die Mannschaft, wurde Stammspieler und am Ende wurden wir Deutscher Vize-Meister. In dieser Zeit wurde mir klar: Ich darf den Leuten keine Alibis mehr liefern.
Was meinen Sie damit?
Überall bekam ich zu hören: „Du bist zu klein, du bist zu schmächtig.“ Aber für meinen Körperbau kann ich nicht viel. Was sollte ich machen? Mit 15 richtig den Bizeps aufpushen?! Ich wollte nicht an etwas wie meiner Körpergröße scheitern, für die ich ja nichts konnte. Also sagte ich mir: Du musst alles andere besser machen, andere Bereiche trainieren und dort besser als die anderen werden. Dann können all die Trainer und Verantwortlichen das nicht als Ausrede nutzen, wenn sie mich aussortieren.
Sie wechselten später nach Leipzig. Wie verlief Ihre erste Zeit dort?
Das war schon schwierig, ohne Frage. Es kam vieles zusammen. Zum einen war ich noch am Schambein verletzt, zuvor hatte ich monatelang unter Schmerzen trainiert und gespielt. Diese Verletzung hatte sich insgesamt über drei bis vier Jahre hingezogen. Selbst das Joggen war schmerzhaft. Dann kommen Gedanke wie, dass ich nie wieder ohne Schmerzen Fußball spielen würde, auf. In Leipzig musste ich mich dann ausschließlich um meine Gesundheit kümmern. Mein Motto war immer: Wenn du Probleme hast, musst du mehr machen als alle anderen. Morgens bin ich um acht Uhr mit dem Fahrrad zum Trainingsgelände gefahren, habe in der Gruppe im Wasser trainiert, dann mittags alleine gegessen. Nachmittags bekam ich dann die medizinische Behandlung, danach trainierte ich wieder individuell. Abends um 18 Uhr bin ich dann vollkommen platt im Hotel angekommen. Das ging monatelang so, ohne dass ich nur einmal einen Ball am Fuß hatte.
Was waren die anderen Gründe für Ihre harte Zeit?
Ich hatte noch keinen echten Anschluss und war mehr oder weniger komplett auf mich alleine gestellt. Ich war zum ersten Mal in einer fremden Stadt, weit weg von zu Hause, besaß dazu noch keinen Führerschein. Der damalige Athletiktrainer lieh mir zeitweise sein Fahrrad, damit ich mobil war, mir Wohnungen in der Stadt anschauen und zum Training fahren konnte. In dieser Anfangszeit hat mir meine Familie schon stark gefehlt, wir haben aber jeden Tag telefoniert. Heimweh, Einsamkeit, die Verletzung – am Anfang kam alles zusammen.
Ich werde mein erstes Training in Leipzig nie vergessen. Vorher hatte ich schon Sprüche zu hören bekommen nach dem Motto „Du kommst hier her, kostest viel Geld und liegst drei Monate nur auf der Massagebank“. Ich war also ordentlich motiviert vor meinem ersten Training, doch in den ersten 15 Minuten sah ich keinen einzigen Ball. Das Spiel lief komplett an mir vorbei. Man hatte ja im Vorfeld schon viel über diesen Leipziger Stil, dieses Jagen, gehört, aber mittendrin ging ich total unter. Ich dachte mir nur: „Wie soll ich das schaffen?“
Wie haben Sie es geschafft?
Im Prinzip war auch diese Enttäuschung im Training ein totaler Segen, weil meine körperliche Schwäche noch mehr herausgestellt wurde. Ich habe daraufhin mit unserem Athletiktrainer Tim Lobinger an meiner Beinkraft, an meinem Oberkörper gearbeitet. Bei der Physis musste ich viel nachholen, aber fußballerisch wusste ich schnell, dass ich es dort packen kann. Nach meinem ersten Spiel haben das auch die anderen Jungs gemerkt.
Lesen Sie das komplette Porträt unter kimmich.11freunde.de