Erst mit 17 Jahren kam Hans-Peter Briegel zum Fußball, nur wenig später war er Europameister. Hier spricht er über sein Leben als Volksheld in Verona, Weihnachtskarten von Diego Maradona und Kinder, die „Briegel“ heißen.
Mit Verona wurden Sie sensationell Meister. Wie kam es zu diesem Fußballwunder?
Das frage ich mich bis heute. Wir hatten nur 16 Mann im Kader, zum Glück hat sich niemand ernsthaft verletzt. Trainer Osvaldo Bagnoli hatte nicht einmal einen Assistenten, trotzdem trainierten wir zweimal am Tag. Und es funktionierte. Am ersten Spieltag schlugen wir Neapel mit Diego Maradona. Und gaben die Tabellenführung bis zum letzten Spieltag nicht mehr ab. Ein Start-Ziel-Sieg.
Im ersten Spiel direkt gegen Maradona. Es gibt sicherlich einfachere Aufgaben.
Ich sprach noch kein Italienisch. Vor der Partie kam Bagnoli in mein Zimmer und sagte: „Du: Maradona.“ Ich antwortete „Si“, und er ging wieder. Das waren meine taktischen Anweisungen. (Lacht.) Im Spiel nahm ich Maradona in Manndeckung und versuchte, nicht zu früh zu grätschen. Er war großartig. Vor dem Spiel jonglierte er zum Aufwärmen den Ball auf den Schultern. Damit hätte er im Zirkus auftreten können. Und menschlich war er ein feiner Kerl. Bis vor ein paar Jahren hat er mir jedes Jahr eine Karte zu Weihnachten geschickt.
Eine Weihnachtskarte von Maradona?
Keine Ahnung, wo er meine Adresse her hatte, aber immer im Dezember kam eine selbstgeschriebene Karte von ihm aus Buenos Aires. Lieber Peter, fröhliche Weihnachten und ein frohes neues Jahr. Ich konnte leider nie zurückschreiben, weil er seine Adresse nicht angab. Vor einigen Jahren hat er der Sportbild eines seiner seltenen Interviews gegeben. Und zum Abschluss gefragt, wie es mir gehe. Das hat mich sehr gefreut.
Sie hatten die Pfalz nie verlassen. Wie gefiel es Ihnen denn in Italien?
Sehr gut. Ich wohnte in Bardolino am Gardasee, auch heute mache ich dort immer noch Urlaub und gehe in die alten Restaurants. Mein Nachbar war unser Stürmer Preben Elkjaer Larsen, wir fuhren immer gemeinsam zum Training. Wenn er fuhr, musste ich öfter mal die Augen schließen, wenn er in den Kurven zum Überholen ansetzte. Einmal ging es schief, da kam uns ein Auto entgegen und wir landeten in einem Vorgarten.
Hellas Verona war nie zuvor und auch nie danach italienischer Meister. Wie war die Party?
Wir wurden am vorletzten Spieltag bei Atalanta Bergamo Meister. Und Verona war im Ausnahmezustand. Die Häuser waren in gelb-blaue Fahnen getaucht, die Leute übermalten die Zebrastreifen in Gelb-Blau, es gab von jedem Spieler eine sechs Meter hohe Figur aus Pappmaché, die wie beim Fasching durch die Straßen getragen wurden. Aber das Verrückteste passierte vor dem letzten Saisonspiel. Das Stadion war vollbesetzt und vier Jets der Frecce Tricolori, der Kunstflugstaffel der italienischen Luftwaffe flogen ins Stadion rein, wo sie kreuzten und wieder rausflogen.
Wie bitte?
Kein Witz. Die gleiche Staffel, die drei Jahre später in Ramstein abstürzte. Vor dem Spiel flogen sie ins Stadion und versprühten gelb-blauen Rauch. Fritz Walter, mit dem mich eine enge Freundschaft verband, besuchte mich mitsamt eines Bekannten zur Meisterfeier. Sein Bekannter ist vor Schreck von seinem Platz geflüchtet. Ich hörte das Gedonner bis in die Kabine.
Stimmt es eigentlich, dass Sie die Pyrotechnik nach Deutschland gebracht haben?
Indirekt. Es kamen immer wieder mal Kaiserslautern-Fans nach Verona, um mich spielen zu sehen. Dort war blau-gelbe Pyro an der Tagesordnung. Das hat die FCK-Fans beeindruckt, und so fingen sie auch auf dem Betzenberg mit Pyro an. Ich fand das vor den Partien immer ganz schön. Ich habe den Geruch noch heute manchmal in der Nase.
Sie kamen erst wieder als Trainer nach Deutschland.
Ich heuerte in Wattenscheid an, eine Katastrophe. Die Tochter des Mäzens Klaus Steilmann, Britta Steilmann, war im Vorstand und versuchte, dem Klub mit neuen Ideen ein besseres Image zu verpassen. Unter anderem hingen Plakate von uns überall in Bochum. Das meiste hat aber nur Unruhe gebracht. Sie berief auch Mannschaftssitzungen ein, ohne dass ich davon wusste. Nach neun Monaten warf ich hin.
Sie gingen in die Türkei, trainierten Besiktas, Trabzonspor und Ankaragücü. Jemals irgendwelche verrückten Klubbosse kennengelernt, die mit Pistole auf dem Tisch verhandeln?
Das nicht, aber einmal bedrohte mich ein Spieler bei Ankaragücü. Er war Ex-Nationalspieler, saß aber bei mir nur auf der Bank. Eines Tages setzte er sich mir gegenüber, in der Hand einen schweren Aschenbecher, und sagte, dass es besser wäre, wenn er demnächst spielen würde. Da wurde mir schon mulmig. Glücklicherweise konnte mein Co-Trainer die Situation entschärfen. Ich meldete den Vorfall dem Präsidenten und zwei Tage später war der Spieler weg.
Ihre größten Erfolge als Trainer feierten Sie mit der albanischen Nationalmannschaft. Stimmt es, dass dort Kinder auf den Namen „Briegel“ getauft wurden, nachdem Sie den Erzrivalen Griechenland zweimal geschlagen hatten?
Es stimmt, dass es Kinder gab, die mit Vornamen „Briegel“ hießen. Aber nicht wegen meiner Erfolge als Trainer, sondern weil wir in den Achtzigern mit der Nationalmannschaft zweimal in Albanien spielten. Dabei haben wir wohl einige Albaner ziemlich beeindruckt. Es gibt übrigens nicht nur kleine Briegels, sondern auch kleine Rummenigges und Schusters. Als ich Trainer in Albanien war, habe ich zwei der Briegels kennengelernt. Sie haben mich im Hotel besucht.
Warum sehen wir Sie eigentlich nicht mehr auf der Trainerbank?
In der Türkei gab es zwei Spielzeiten, nach denen ich mehrere Tage mit 41,5 Grad Fieber flach lag. Eine Stressreaktion. Mein Arzt sagte, das sei beide Male sehr knapp gewesen. Den Stress wollte ich mir einfach nicht mehr antun.