Bei Dynamo Dresden wurde er erst zum besten Keeper der zweiten Liga und dann vor die Tür gesetzt, in Amerika zerplatzten seine Träume gleich dreifach. Jetzt ist Benjamin Kirsten zurück – und ausgerechnet beim alten Rivalen Lok Leipzig gelandet.
Es folgte eine turbulente Zeit bei NEC Nijmegen.
Die waren skeptisch, weil ich ein deutscher Torhüter war – und in Holland gelten deutsche Torhüter als schlechte Fußballer. Also musste ich die erste Einheit im Feld mitspielen. Danach haben sie gesagt: „Ok, wir nehmen dich.“ Dort haben sie eine andere Sicht auf den Fußball. Wenn du in Deutschland einen Risikoball ins Aus schlägst, wird gebuht, in Holland wird geklatscht, weil du dich traust. Es war auch völlig neu für mich, dass alle Verteidiger angespielt werden wollten. Sowas hat man in Deutschland bis vor ein paar Jahren selten erlebt. Ich bin dann die Nummer eins geworden, wurde sogar einmal zum Spieler des Spiels gekürt, habe ich mich dann aber leider verletzt. Ich hatte nur einen Halbjahresvertrag bis Ende Dezember unterschrieben und mir war klar, dass ich ohne eine Operation im Januar keine sportmedizinische Untersuchung bestehen würde. Plötzlich stand ich nicht mehr im Kader und bei Twitter lese ich von meiner Entlassung. Der Verein hat sich später zwar dafür entschuldigt, aber das hat mir auch nichts mehr gebracht.
Wie entstand dann der Kontakt zu Chicago Fire?
Die haben sich bereits kurz danach gemeldet, deswegen war ich guter Dinge. Veljko Paunović, der jetzige Trainer von Bastian Schweinsteiger, hatte mich in Holland gesehen und wollte mich unbedingt. Das Gespräch mit ihm war überragend. Wir trafen uns in Madrid, er bestellte vier Gerichte, hat von allen nur eine Gabel gegessen und den Rest wieder zurückgehen lassen, weil er satt war. Vor meiner Verpflichtung gab es nur ein Problem: Der damalige Stammtorhüter musste gehen.
Es ging um den „Salary Cap“ – die amerikanische Gehaltsobergrenze für Teams.
Genau. Dummerweise wurde Chicago Sean Johnson, der jetzt bei New York City FC spielt, damals nicht los. Also wollten wir tricksen: Chicago wusste, dass D.C. United einen Torhüter suchte – also sollte ich dort hin. Dann wäre ich schon mal in den USA gewesen und Chicago hätte leicht einen „Trade“ einfädeln können. Also bin ich weiter nach Washington geflogen und mit D.C. ins Trainingslager. Dort fühlte es sich allerdings sofort komisch an. Irgendwann rief mich der Trainer in die Lobby – und teilte mir mit, dass sie keine Ausländerplätze mehr frei hatten. Am gleichen Nachmittag flog ich wieder nach Hause.
Ein halbes Jahr später wollte Sie Chicago Fire immer noch.
Ich war zunächst skeptisch, weil ich nicht wieder enttäuscht werden wollte. Doch der Besitzer meinte es ernst. Der Klub gab in zwei Wochen alleine knapp 30.000 Dollar für meine Flüge, das Hotel und ein Taschengeld aus. Und ich wurde auch sehr herzlich empfangen, das erste Gespräch mit dem Trainer war super. Doch am nächsten Tag riss ich mir im Training das Syndesmoseband. Und der Vertrag kam natürlich nicht zu Stande.
Auch der dritte Anlauf nach Amerika war gescheitert. Wie ging es Ihnen nach diesem Rückschlag?
Für mich war klar, dass ich das nicht mehr will. Ich wollte nicht mehr durch die Gegend fliegen, nicht mehr irgendwelchen Leuten vertrauen. Ich habe den Fußball zu dieser Zeit gehasst. Ständig fragen die Leute: „Was machst du denn jetzt?“ Und keiner kennt die Hintergründe. Damals bin ich drei Monate nicht in die Stadt gegangen.
Wie hat es Heiko Scholz geschafft, Sie zu Lok Leipzig zu lotsen?
Der einzige, dem ich neben meiner Familie noch vertraut habe, war Heiko Scholz. Und Scholle und Lok boten mir die Möglichkeit, auch neben dem Fußball etwas aufzubauen. Ich kann jetzt den halben Tag in meiner Agentur arbeiten und mich um meine Fußballschule kümmern. Dazu möchte ich Lok helfen, etwas aufzubauen. Anfangs war es zwar etwas schwierig, da die Fans meine Dresdener Vergangenheit kritisch sahen. Ich habe mir aber mit meinen Leistungen langsam eine Akzeptanz erarbeitet. Außerdem erwarte ich nicht, von den Fans gefeiert werden. Das steht anderen zu, die mehr für den Verein geleistet haben.
Lok und Dynamo sind für ihre emotionalen Fans bekannt. Brauchen Sie diese enge Bindung der Fans zum Verein?
Ich durfte und darf für die wahrscheinlich größten Traditionsvereine des ostdeutschen Fußballs spielen. Das macht mich stolz. Lok Leipzig kann mit etwas mehr Vertrauen von der Stadt noch richtig aufblühen. Der Verein steht nicht im Schatten von RB. Mittelfristig gehört der Verein in die dritte Liga. Mindestens.