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Ben­jamin Kirsten, Sie spielen für Lok Leipzig. Trotzdem wollten Sie sich für dieses Inter­view in einem Restau­rant direkt am Dynamo-Sta­dion in Dresden treffen. Warum?
Ich war in meiner Zeit bei Dynamo oft nach dem Trai­ning hier essen. Das Restau­rant liegt direkt am Sta­dion und gehört zu diesem Verein, des­wegen habe ich schon früher meine Inter­views meist hier geführt. Dieser Ort hat für mich etwas sehr Nost­al­gi­sches. Außerdem wohne ich immer noch in der Stadt.

Nach Dresden kamen Sie im Jahr 2008. Über die Sta­tionen Lever­kusen und Mann­heim lan­deten Sie end­lich bei ihrem Her­zens­verein Dynamo.
Ich kam mit einem Plan – spä­tes­tens am Ende des dritten Jahres wollte ich Stamm­keeper sein. Meine erste Chance hatte ich im Oktober 2010. Doch als uner­fah­rener Tor­hüter griff ich in Sand­hausen gleich zweimal daneben. Dar­aufhin hatte meine Frau eine Idee: einen Men­tal­trainer. Das war für mich der Wen­de­punkt. In kurzer Zeit machte ich einen deut­li­chen Sprung nach vorne.

Drei Monate später standen Sie im Tor.
Ich bekam von Trainer Mat­thias Maucksch in der Rück­runde die Chance für drei Spiele. Dem Verein ging es finan­ziell nicht gut, die Zuschau­er­zahlen waren mau und wir standen nur auf Platz acht. Dann kamen die Ergeb­nisse und wir wurden mehr und mehr zu einer Mann­schaft. Die Zuschau­er­zahlen stiegen rasant: Erst 10.000, dann 14.000 und am vor­letzten Spieltag strömten fast 30.000 Leute im Sta­dion. Und auch ich selber hatte einen Lauf. Wenn ich heute Bilder von damals sehe, bekomme ich Gän­se­haut.

Sie stiegen auf in die zweite Liga, gleich­zeitig lief ihr Ver­trag aus. Als Auf­stiegs­held und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur war eine Ver­län­ge­rung doch eigent­lich reine Form­sache?
Sollte man meinen, aber damals gab es in der sport­li­chen Lei­tung anschei­nend andere Inter­essen. Man ver­trös­tete mich immer wieder, in der Zwi­schen­zeit wurden mit Dennis Eil­hoff und Wolf­gang Hesl zwei starke Tor­hüter ver­pflichtet. Und ich schlug gleich­zeitig das Angebot eines anderen Zweit­li­gisten aus. Der neue Ver­trag mit Dynamo kam erst sehr spät zu Stande.

Und plötz­lich saßen Sie auf der Tri­büne.
Schon die Rele­ga­ti­ons­spiele hatte ich mit einer Ver­let­zung gespielt. Erst im Oktober war ich wieder fit – und auf einmal hinter Eil­hoff und Hesl nur noch die Nummer drei.

Hätten Sie damals gerne den Verein gewech­selt?
Ich habe mich ständig mit meinem Vater gestritten. Er sagte, dass ich ver­rückt sei – weil mich die Ange­bote von anderen Zweit­li­gisten nicht inter­es­sierten. Aber ich habe es geliebt, vor den Spielen in Dresden mit der Stra­ßen­bahn zum Sta­dion zu fahren. Ich zog mir einen Kapu­zen­pull­over über und sog die Atmo­sphäre auf: Leute im Trikot, Leute mit Schal am Hand­ge­lenk, Betrun­kene in der Bahn. Diese Stim­mung rund um ein Fuß­ball­spiel machte für mich viel aus und ich konnte mir nicht vor­stellen, zu wech­seln. Es gab für mich neben Dresden keinen Plan B. Außerdem stand ich ja bald wieder im Tor: Dennis Eil­hoff, ein Supertyp, ver­letzte sich schwer am Finger und musste später sogar seine Kar­riere des­wegen beenden. Wolf­gang Hesl war eine Wucht, aber auch ihn setzte bald eine Ver­let­zung außer Gefecht. Plötz­lich war ich also wieder an der Reihe.

Im dar­auf­fol­genden Jahr wurden Sie noten­bester Spieler der zweiten Liga. Der Höhe­punkt Ihrer Kar­riere?
Mit fünf gehal­tenen Elf­me­tern in einer Saison – einer davon in der Rele­ga­tion – war das leis­tungs­mäßig nah dran am Optimum. Die wesent­lich gei­lere Phase für mich war aber das halbe Jahr zuvor, in dem ich mir den Stamm­platz wieder erar­beiten musste. Teil­weise waren wir vier Keeper im Trai­ning.

Bis zum Sommer 2015 blieben Sie die Nummer Eins. Dann war für Sie auf einmal Schluss in Dresden Warum mussten Sie gehen?
Ich hatte mich mit dem Verein schon fast auf einen neuen Ver­trag geei­nigt. Doch dann wurde Uwe Neu­haus als neuer Trainer vor­ge­stellt und meine Gespräche zogen sich immer weiter hin. Bis zu einem ganz bestimmten Moment, ich weiß es noch wie heute: Mitt­woch, 13:30 Uhr, Anruf von Sport­di­rektor Ralf Minge: Benny, komm mal ans Sta­dion.“ Ich fahre also hin, sehe nur sein Gesicht und denke: Scheiße.“ Ich habe die Ent­schei­dung von Neu­haus respek­tiert, aber für mich war es eine beschis­sene Situa­tion. Es war Ende April und ich hatte allen anderen Ver­einen bereits abge­sagt.

Sie hatten sich bis dahin voll mit Dynamo Dresden iden­ti­fi­ziert. 
Es war eine unheim­lich schwere Zeit für mich. Ich wollte nicht Rekord­spieler bei Chem­nitz oder irgend­einem anderen Klub werden, son­dern bei Dynamo.

Es folgte eine tur­bu­lente Zeit bei NEC Nij­megen.
Die waren skep­tisch, weil ich ein deut­scher Tor­hüter war – und in Hol­land gelten deut­sche Tor­hüter als schlechte Fuß­baller. Also musste ich die erste Ein­heit im Feld mit­spielen. Danach haben sie gesagt: Ok, wir nehmen dich.“ Dort haben sie eine andere Sicht auf den Fuß­ball. Wenn du in Deutsch­land einen Risi­ko­ball ins Aus schlägst, wird gebuht, in Hol­land wird geklatscht, weil du dich traust. Es war auch völlig neu für mich, dass alle Ver­tei­diger ange­spielt werden wollten. Sowas hat man in Deutsch­land bis vor ein paar Jahren selten erlebt. Ich bin dann die Nummer eins geworden, wurde sogar einmal zum Spieler des Spiels gekürt, habe ich mich dann aber leider ver­letzt. Ich hatte nur einen Halb­jah­res­ver­trag bis Ende Dezember unter­schrieben und mir war klar, dass ich ohne eine Ope­ra­tion im Januar keine sport­me­di­zi­ni­sche Unter­su­chung bestehen würde. Plötz­lich stand ich nicht mehr im Kader und bei Twitter lese ich von meiner Ent­las­sung. Der Verein hat sich später zwar dafür ent­schul­digt, aber das hat mir auch nichts mehr gebracht.

Wie ent­stand dann der Kon­takt zu Chi­cago Fire?
Die haben sich bereits kurz danach gemeldet, des­wegen war ich guter Dinge. Veljko Paun­ović, der jet­zige Trainer von Bas­tian Schwein­steiger, hatte mich in Hol­land gesehen und wollte mich unbe­dingt. Das Gespräch mit ihm war über­ra­gend. Wir trafen uns in Madrid, er bestellte vier Gerichte, hat von allen nur eine Gabel gegessen und den Rest wieder zurück­gehen lassen, weil er satt war. Vor meiner Ver­pflich­tung gab es nur ein Pro­blem: Der dama­lige Stamm­tor­hüter musste gehen.

Es ging um den Salary Cap“ – die ame­ri­ka­ni­sche Gehalts­ober­grenze für Teams.
Genau. Dum­mer­weise wurde Chi­cago Sean Johnson, der jetzt bei New York City FC spielt, damals nicht los. Also wollten wir tricksen: Chi­cago wusste, dass D.C. United einen Tor­hüter suchte – also sollte ich dort hin. Dann wäre ich schon mal in den USA gewesen und Chi­cago hätte leicht einen Trade“ ein­fä­deln können. Also bin ich weiter nach Washington geflogen und mit D.C. ins Trai­nings­lager. Dort fühlte es sich aller­dings sofort komisch an. Irgend­wann rief mich der Trainer in die Lobby – und teilte mir mit, dass sie keine Aus­län­der­plätze mehr frei hatten. Am glei­chen Nach­mittag flog ich wieder nach Hause.

Ein halbes Jahr später wollte Sie Chi­cago Fire immer noch.
Ich war zunächst skep­tisch, weil ich nicht wieder ent­täuscht werden wollte. Doch der Besitzer meinte es ernst. Der Klub gab in zwei Wochen alleine knapp 30.000 Dollar für meine Flüge, das Hotel und ein Taschen­geld aus. Und ich wurde auch sehr herz­lich emp­fangen, das erste Gespräch mit dem Trainer war super. Doch am nächsten Tag riss ich mir im Trai­ning das Syn­des­mo­se­band. Und der Ver­trag kam natür­lich nicht zu Stande.

Auch der dritte Anlauf nach Ame­rika war geschei­tert. Wie ging es Ihnen nach diesem Rück­schlag?
Für mich war klar, dass ich das nicht mehr will. Ich wollte nicht mehr durch die Gegend fliegen, nicht mehr irgend­wel­chen Leuten ver­trauen. Ich habe den Fuß­ball zu dieser Zeit gehasst. Ständig fragen die Leute: Was machst du denn jetzt?“ Und keiner kennt die Hin­ter­gründe. Damals bin ich drei Monate nicht in die Stadt gegangen.

Wie hat es Heiko Scholz geschafft, Sie zu Lok Leipzig zu lotsen?
Der ein­zige, dem ich neben meiner Familie noch ver­traut habe, war Heiko Scholz. Und Scholle und Lok boten mir die Mög­lich­keit, auch neben dem Fuß­ball etwas auf­zu­bauen. Ich kann jetzt den halben Tag in meiner Agentur arbeiten und mich um meine Fuß­ball­schule küm­mern. Dazu möchte ich Lok helfen, etwas auf­zu­bauen. Anfangs war es zwar etwas schwierig, da die Fans meine Dres­dener Ver­gan­gen­heit kri­tisch sahen. Ich habe mir aber mit meinen Leis­tungen langsam eine Akzep­tanz erar­beitet. Außerdem erwarte ich nicht, von den Fans gefeiert werden. Das steht anderen zu, die mehr für den Verein geleistet haben.

Lok und Dynamo sind für ihre emo­tio­nalen Fans bekannt. Brau­chen Sie diese enge Bin­dung der Fans zum Verein?
Ich durfte und darf für die wahr­schein­lich größten Tra­di­ti­ons­ver­eine des ost­deut­schen Fuß­balls spielen. Das macht mich stolz. Lok Leipzig kann mit etwas mehr Ver­trauen von der Stadt noch richtig auf­blühen. Der Verein steht nicht im Schatten von RB. Mit­tel­fristig gehört der Verein in die dritte Liga. Min­des­tens.