Gleich wird Schalkes Coke vor dem Pokalspiel gegen Köln verabschiedet. Fußballerisch konnte er sich in Deutschland kaum zeigen. Dafür sprach er mit uns über ander Dinge: sein Studium, sein Fahrrad und seinen Job als Theaterproduzent.
Coke Andujar Moreno, Sie sind neben Ihrem Job als Fußballprofi seit diesem Sommer Theaterproduzent in Spanien. Wie kam es dazu?
Als ich 2011 zum FC Sevilla gewechselt bin, wollte ich die Stadt kennenlernen. Meine damalige Freundin und ich haben uns etwas gelangweilt und einfach gegoogelt, welche besonderen Sachen man in Sevilla anstellen kann. Wir stießen auf die Seite einer Bücherei namens „un gato en bicicleta“, also „die Katze auf dem Fahrrad“. Das klang verrückt und weckte unser Interesse. In der Bücherei wurden Theaterkurse für Laienschauspieler angeboten. Also meldeten wir uns an.
Wie haben die Leute aus dem Kurs auf Sie reagiert?
Der Regisseur Sergio Rodriguez hat zunächst gedacht, dass wir nicht lange bleiben würden. Und die Teilnehmer des Kurses – wir waren so zu zehnt – hatten kein großes Interesse an Fußball und kannten mich gar nicht. Mich hat das Theaterspielen aber direkt fasziniert und ich bin jeden Montag hingegangen. Im Laufe der Zeit wurden meine Kollegen richtig enge Freunde.
Was haben Sie konkret gemacht?
Wir haben Texte eingesprochen und für uns aufgeführt. Dazu gab es Übungen, wie man den Körper entspannt, wie man richtig betont und wie man vorträgt. Für mich war das wie Urlaub, weil ich komplett vom Fußball abschalten konnte. Auf der anderen Seite habe ich sehr viel gelernt, was mir auch in meinem alltäglichen Job als Fußballprofi nützt.
Und zwar?
Das Vertrauen in die Kollegen zum Beispiel. Wenn du einen Haspler hast oder mit deinem Text nicht weiterkommst, springt dir jemand zur Seite. Das läuft auf dem Fußballplatz nicht anders. Doch generell ist das Theaterspielen viel anspruchsvoller als das Fußballspielen. Wenn ich auf dem Rasen stehe, rufe ich das ab, was ich gelernt habe. Auf der Bühne allerdings musst du jemand anders sein, du musst weinen können, selbst wenn es dir gut geht, und umgekehrt. Du musst ein anderer Mensch werden.
Coke reckt als Kapitän nach zwei Toren im Europa-League-Endspiel 2016 gegen Jürgen Klopps Liverpool FC den Pokal hoch. (Bild:imago)
Wie muss man sich das vorstellen: Sie gewannen also mit Sevilla die Europa League und gingen tags darauf zum Theater-Workshop?
(lacht) Nein, ein paar Tage haben wir schon gefeiert, aber in der Woche darauf bin ich natürlich wieder hingegangen. Einer aus dem Kurs meinte zu mir: „Coke, ich habe mich 35 Jahre lang kein Bisschen für Fußball interessiert – und nun hänge ich am Handy und schaue jede Sekunde, wie es bei Sevilla gegen Liverpool steht!“
Hat einer Ihrer Mitspieler Sie mal begleitet?
Sie haben immer groß angekündigt, mal mitzukommen. Juan Cala oder Manuel del Moral waren schon auf dem Weg, haben mir aber dann geschrieben: „Ach Coke, weißt du, probt ihr mal, wir stoßen bei dem Bierchen danach dazu.“
Ihr Regisseur sagt, dass Sie selbst bald eine komödiantische Rolle in einem Stück übernehmen könnten.
(lacht.) Nein, nein. Ich könnte vielleicht einen Baum spielen, aber mehr nicht. Ich habe so großen Respekt vor der Leistung der Schauspieler, dass ich ihnen nicht im Weg stehen möchte. Sie sind auch Laien und verdienen nicht viel Geld mit diesem Mini-Theater, doch sie spielen aus Leidenschaft – und das außerordentlich gut. Ich bin nicht für die Bühne geschaffen.
Wie kam dann die Idee zustande, dass Sie Produzent werden?
Der Regisseur Sergio Rodriguez ist ein guter Freund von mir geworden und trat im Sommer mit der Idee für ein neues Stück an mich heran: La asemblea de las mujeres. Er wollte die griechische Komödie von Aristófanes neu interpretieren. Wir haben uns dann gemeinsam überlegt, wie wir das Ganze umsetzen, wie und wo wir es aufführen und wofür wir das Budget einsetzen. Als das Ganze öffentlich wurde, bekam ich sogar Angebote, auch andere Stücke zu produzieren. Aber langsam, ich muss erst einmal schauen, wie es läuft.
Haben Sie sich schon nach einem Theater in Gelsenkirchen umgeschaut?
Noch nicht, mein Deutsch reicht dafür noch nicht aus. Ich habe jetzt erst einmal damit angefangen, mir sehr viele Konzerte, auch von deutschen Künstlern, anzuschauen. Ich stehe total auf Live-Musik, da gibt es hier in der Gegend sehr viele Möglichkeiten. Zuletzt habe ich die Rolling Stones in Düsseldorf gesehen. Einmal im Leben muss man einfach die Stones erlebt haben. Ich hoffe, dass ich in ihrem Alter noch so fit bin…
Sie haben in der spanischen Musikszene sehr viele Bekannte wie zum Beispiel den Rockstar Leiva.
Ja, in Spanien bin ich nach den Konzerten noch hinter die Bühne zu den Musikern gelaufen, um mit ihnen zu plaudern. Ist es nicht Wahnsinn: Du schreibst etwas auf ein Blatt Papier und Monate später singen Abertausende diese Zeilen auf deinem Konzert?! Leiva spielte in der Band „Pereza“, die so etwas wie die Gruppe schlechthin in unserer Jugend war.
Es kursiert die Geschichte, wie er Sie einmal bei einem Training in Sevilla besuchte …
… oh ja, ein Horror. Unser damaliger Trainer Unai Emery ist bekanntlich jemand, der sehr viel Wert auf Taktik legt. Dieses Training dauerte anderthalb Stunden und wir haben keinen einzigen Ball berührt. Der Trainer hat uns in einer Formation auf dem Platz aufgestellt und uns nur hin- und her verschoben. Nach dem Training sagte Leiva zu mir: „Wow, das war sehr interessant.“ Ich meinte nur: „Erzähl doch nicht, ich bin vor Langweile fast gestorben.“
Sie haben mit Sevilla drei Mal hintereinander die Europa League gewonnen. Wie würden Sie diese Serie erklären?
Wir hatten eine besondere Beziehung zu diesem Wettbewerb. Manchmal kamen wir durch ein glückliches Tor weiter, manchmal schlugen wir klar besser besetzte Mannschaften. Im Fußball spielt das Selbstvertrauen nun einmal eine große Rolle und wir dachten einfach: „Die Europa League, das ist unser Cup, hier kann uns keiner etwas.“
Im Finale 2015 gegen Liverpool gelangen Ihnen zwei Tore. War das der beste Abend Ihrer Karriere?
Das war natürlich sehr speziell, ein Finale gewinnen, zwei Tore erzielen – ich werde mich sicherlich mein ganzes Leben daran erinnern. Vorher war mir nur einmal ein Doppelpack gelungen, in einem gewöhnlichen Ligaspiel gegen Saragossa. Doch – so merkwürdig es klingen mag – war das nicht einmal das schönste Spiel meiner Karriere. Ich mag vor allem jene Partien, in denen es eng ist, in denen wir als Mannschaft gefordert sind und ein Match drehen. Das Viertelfinalrückspiel gegen Sankt Petersburg, das wir in der Schlussviertelstunde noch zum 2:1 umbogen, fällt mir direkt ein oder das Pokalhalbfinale in Valencia, das wir in der letzten Minute gewannen. Dafür spielt man Fußball.
Es gab einmal ein Spiel, in dem Sie auf dem Platz weinten. Was war da los?
Oh ja, ich habe wohl drei Viertel des Spiels durchgeheult (lacht.) Es war das letzte Spiel mit meinem Heimatverein Rayo Vallecano, noch dazu das entscheidende um den Aufstieg in die erste Liga. Vor dem Spiel zeigte uns der Trainer ein Video mit Videobotschaften unserer Familien. Da hatten wir alle Tränen in den Augen, ich als Kapitän musste zur Platzwahl. Der Kapitän von unserem Gegner Deportivo Xerez fragte nur: „Coke, was ist mit dir los?“ Wir brauchten einen Punkt zum Aufstieg und führten eine Viertelstunde vor Schluss mit 3:0. Von da an habe ich jeden Ball nur weggeschlagen, weil ich mich sowieso nicht mehr konzentrieren konnte. Mir liefen wieder die Tränen herunter und bei einer Ecke kam wieder Xerez’ Kapitän: „Coke, das ist nicht dein Ernst.“ Und ich so: „Oh, doch, Junge.“
War das Video so emotional?
Das Video war nur der Auslöser, aber die ganze Situation war dermaßen emotional aufgeladen. In dieser Saison war es sportlich herausragend gelaufen, doch alles andere war eine Katastrophe. Der Klub war pleite. Wir bekamen monatelang kein Gehalt. Erst zum Ende der Saison überreichten sie uns Briefumschläge, in denen sie uns wöchentlich auszahlten. Es ist kaum zu glauben: Das Gehalt wurde bei Rayo nicht überwiesen, sondern in Umschlägen ausbezahlt. Einige Jahre zuvor wollten zwei Spieler ihr Geld abholen, als sie von Dieben mit Maschinenpistolen an der Geschäftsstelle überfallen wurden. Es hatte sich also herumgesprochen, wie der Klub seine Angestellten auszahlt.
Sie spielten also ohne Gehalt?
Ja, neun Monate lang. Für mich war das nicht so tragisch wie für die anderen Mitspieler mit Familie. Ich war damals Junggeselle und hauste in einer kleinen Wohnung. Als wir dann endlich das erste Gehalt bekamen, leiteten wir es direkt an die Angestellten und die Spieler mit Kindern weiter. Sie brauchten das Geld eben dringender.
Sie scheinen nicht viel zum Leben zu brauchen. Denn auch in Sevilla wohnten Sie in einer kleinen Wohnung mitten in der Stadt.
Na klar. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich gerne ins Theater oder zu Konzerten gehe. Da ergibt eine Mietwohnung im Zentrum am meisten Sinn. Sevilla ist eine Stadt zum Leben und Genießen. Da braucht man keine große Wohnung oder ein großes Auto. Zumal die Straßen dort sehr eng sind. Da bin ich einfach mit dem Rad gefahren.
Und mussten dauernd Passanten winken?
Ja, ja. Du bist gefahren und von überall rief jemand „Oh, Coke, was machst du hier?“ oder „Coke, was war los am Wochenende?“ Das war schon lustig. Hier in Deutschland wohne ich in Düsseldorf und fahre auch sehr oft mit dem Fahrrad. Aber hier muss ich nicht so viele Leute auf der Straße grüßen (grinst).
Wie haben Sie sich generell in Deutschland eingewöhnt?
Das Wetter ist natürlich etwas kälter, aber ansonsten fühle ich mich wohl. Franco di Santo hat mir sehr bei der Eingewöhnung geholfen, er ist ein wirklich enger Freund geworden. Gerade nach meinem Kreuzbandriss gleich in den ersten Tagen hat mich der Zuspruch des Vereins und der Fans hochgezogen. Das war sehr wichtig für mich.
In der vergangenen Saison erlitten Sie den Kreuzbandriss, in dieser Saison setzt der Trainer nicht mehr auf Sie. Haben Sie Ihren Wechsel zum S04 bereut?
Nein, die Verletzung kann dir als Profi überall passieren, das Gleiche gilt für die Entscheidung des Trainers. Ich muss einfach daran arbeiten, wieder häufiger auf dem Platz zu stehen. Ich habe aber trotz allem eine gute Beziehung zu meinen Kollegen und auch zum Trainer.
Sein erstes Spiel von Beginn an absolvierte Coke ausgerechnet im Derby gegen Dortmund im Frühjahr 2017. Foto: imago.
Domenico Tedesco sieht Sie nicht in der Dreierkette, sondern im Mittelfeld. Was meinen Sie dazu?
Ich habe mein Leben lang als Rechtsverteidiger gespielt, hauptsächlich in der Viererkette. Nun spielen wir nicht mehr in diesem System, aber ich kann auch in der Dreierkette rechts verteidigen. Die Position im rechten Mittelfeld oder auf der Sechs traue ich mir auch zu, das wäre kein Problem.
Stimmt es, dass Sie im Sommer den Klub wechseln wollten?
Wir haben das zumindest diskutiert, auch mit Christian Heidel. Für mich ist einfach wichtig, nach so einer schweren Verletzung wieder regelmäßig auf dem Platz zu stehen. Ich muss abschätzen, wie mein Körper auf die Belastung der Spiele reagiert. Ich hoffe, dass ich bald wieder die Chance dazu bekomme.
Zum Abschluss: Wo sehen wir Sie nach Ihrer Karriere? Auf der Bühne oder gar in einer Redaktion? Schließlich haben Sie in Madrid auch Journalismus studiert.
Ja, ich bin zwar zur Uni gegangen, aber ganz ehrlich: Das Journalismus-Studium hat mir nicht sehr viel Spaß bereitet. Mir war das Ganze etwas zu theoretisch und zu wenig praxisbezogen. Im zweiten Jahr hatten wir dann auch noch viele Trainingseinheiten am Nachmittag und ich schwänzte deshalb viele Vorlesungen. Also: Ich werde wohl eher im Theater als in einer Redaktion anzutreffen sein. Dann aber nicht auf der Bühne, sondern dahinter.