Heute wird Eike Immel 60 Jahre alt. Wir sprachen einst mit ihm über die Tiefen und Höhen seiner Karriere, über Reue und die Kunst, aufzustehen. Und über seine Entscheidung, kurz vor der WM 1990 zurückzutreten.
Bereits mit 19 hüteten Sie als jüngster Torwart der DFB-Geschichte erstmals das Tor der Nationalmannschaft (am 11.10. 1980 beim Spiel gegen Holland, d. Red.). Glauben Sie, dass Ihnen diesen Rekord noch jemand nimmt?
Ach, es ist ja alles möglich im Fußball. Man hat jetzt erst – auch zu meiner Überraschung – gesehen, wie schnell Manuel Neuer einen Frank Rost vergessen macht. Zu meiner Zeit gab es auch ein paar unglückliche Umstände in Deutschland, durch die ich das überhaupt erst schaffen konnte. Sepp Maier hatte einen schweren Autounfall, Norbert Nigbur eine Meniskusoperation, und damit fielen die zwei besten Torhüter aus. So kamen Toni Schumacher zu seinem ersten Länderspiel und ich in den Kader. Es gehört also auch im richtigen Moment ein bisschen Glück dazu.
1988 gingen Sie als Nummer Eins in das EM-Turnier im eigenen Land. Können sie die Stimmung damals mit der WM von 2006 vergleichen?
Nein. Die WM war etwas ganz Außergewöhnliches, weil alles, von der Stimmung bis zum Wetter, gepasst hat – so etwas wird es wahrscheinlich nie wieder geben. Im Vorfeld der Euro 1988 hatten wir eine bessere Stimmung um die Mannschaft herum als 2006 vor der WM mit der Niederlage gegen Italien und den Diskussionen ums Spielsystem. Im Halbfinale der EM gegen Holland waren aber Dreiviertel des Stadions orange. Ich weiß nicht, wie die Holländer es geschafft hatten, mehr Karten als die Deutschen zu organisieren.
Bereits kurz nach der EM traten Sie überraschend aus der Nationalmannschaft zurück, weil Bodo Illgner im WM-Qualifikationsspiel gegen Finnland zwischen den Pfosten stehen durfte.
Auch das war tatsächlich etwas komplizierter. Ich hatte mir am letzten Spieltag eine Innenbandverletzung zugezogen, die noch nicht richtig auskuriert war. Aber ich war natürlich ehrgeizig und wollte den gerade gewonnenen Status nicht wieder verlieren. Ich wollte unbedingt spielen. Die Trainer haben das richtig entschieden, denn ich war nicht hundertprozentig fit. Tatsächlich ging es mit der Verletzung auch nicht richtig gut, aber das wollte ich damals nicht wahrhaben.
Wieso haben Sie dann diesen – von außen überstürzt wirkenden – Entschluss gefasst?
Es hatte nicht nur damit zu tun, dass der Bodo jetzt mal das eine Spiel spielen durfte. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass es sich um eine grundsätzliche Wende handelt. Bodo war ja einige Jahre jünger als ich, und ich dachte, man wollte sich langfristig auf ihn festlegen. Heute würde ich wahrscheinlich mehr Gegenwehr zeigen.
War es damals vielleicht falscher Stolz, der Sie zum Rücktritt bewogen hat?
Das kann falscher Stolz gewesen sein, aber ich hatte auch keine richtige Lobby. Es war damals schon schwer, sich gegenüber der Kölner und Münchner Fraktion zu behaupten. Wahrscheinlich war es ein Fehler, es nicht hartnäckiger zu versuchen. Aber mein Leben ist ja nicht nur durch Fehler gekennzeichnet.
Aber durch Rückschläge, nach denen Sie immer wieder aufgestanden sind.
Um ehrlich zu sein, habe ich das gar nicht so sehr als Rückschlag empfunden. Ich habe mich dann völlig auf den Verein konzentriert, ein Jahr später standen wir im UEFA-Cup-Endspiel, wir hatten hohe Ziele. Und ich muss sagen, dass meine Leistungen nach dem Rücktritt noch besser wurden – insofern hatte die Entscheidung auch etwas Gutes, denn sie hat mich als Torwart weitergebracht.
Wie erklären Sie sich das?
Ich hatte mehr Ruhe. Überall, wo ich zu Nationalmannschaftszeiten hinkam, schrieben die Medien vom großen Torhüterkampf. Wenn ich in Bochum war, hieß es Zumdick gegen Immel, wenn ich in Hamburg war, hieß es Ippig gegen Immel, es war ja schon hanebüchen, welche Namen plötzlich im Raum standen. Das war nicht ganz einfach. Dennoch: Die Nationalmannschaft ist das Größte, was man erreichen kann, und ich hätte mehr um sie kämpfen müssen. Aber bevor Sie weiterfragen: Ich bin da mit mir im Reinen.
In den Jahren nach der WM waren Sie bis zu Ihrem Abschied aus Stuttgart regelmäßig einer der besten Bundesligatorhüter. Nach der Meisterschaft mit dem VfB 1992 überflügelten Sie in der Kicker-Rangliste auch die Nationaltorhüter Illgner und Köpke.
Die Kicker-Rangliste finde ich schon relativ bedeutsam. Für jeden Spieler ist der Ärger groß, wenn er dort nicht berücksichtigt wird und die Freude genauso, wenn er weit oben steht. Ich sag’s mal so: Wenn man gute Leistungen gebracht hat, hofft man darauf, dass sie in der Rangliste honoriert werden.