Kein Tor in 182 Spielen. Trifft Dennis Diekmeier auch heute im Spiel gegen Köln nicht ins Schwarze, ist er der ungefährlichsten Spieler der Bundesligageschichte. Er selbst kann die „Bestmarke“ kaum erwarten.
Dennis Diekmeier, heute gegen Köln könnten Sie den Negativrekord von Markus Schuler brechen. Kommt schon Torschusspanik auf?
Im Gegenteil! Ich freue mich auf den Rekord – und dann geht’s los mit dem Toreschießen. (Lacht.) Im Ernst: Ich sehe diese Sache nicht so verbissen, ich nehm’s locker.
Zur Statistik: Seit Ihrer Jugend haben Sie nur ein Pflichtspieltor geschossen, 2010 in der Regionalliga für die zweite Mannschaft des HSV. In der Bundesliga sind Sie seit 182 Spielen ohne Tor, im Profibereich seit 230 Partien.
Ich habe nicht mal ein Abseits- oder ein Eigentor geschossen. (Lacht.) Aber ich war öfter nah dran. Ich erinnere mich an ein Spiel gegen Hannover, in dem ich in einer Eins-gegen-eins-Situation scheiterte. Ein anderes Mal, in Frankfurt, war es auch knapp. Eine Flanke segelte auf den zweiten Pfosten, wo ich einschussbereit wartete. In letzter Sekunde grätschte ein Mitspieler den Ball weg. Und dann war da noch das Spiel vergangene Saison in Leipzig, als ich nur die Latte traf.
Der HSV gewann 3:0, und Sie waren enttäuscht?
Es war ein großartiges Spiel, die vergebene Chance spukte mir trotzdem im Kopf herum. Nach dem Spiel durfte ich mir natürlich ein paar lustige Sprüche von meinen Mitspielern anhören, und meine Freunde schickten mir die Szene über WhatsApp. Wirklich dramatisch war aber ein anderes Beinahe-Tor: Karlsruhe, Relegationsrückspiel 2015. Lasogga köpft kurz vor Schluss an den Pfosten, und ich vergebe im Nachschuss aus fünf Metern. Freistehend!
Im Fußball sagt man: „Muss er machen!“
Meine Frau war damals nach Karlsruhe mitgereist und stand direkt im Fanblock. Nach der Chance herrschte ein großes Durcheinander, in den Gesichtern Fassungslosigkeit. Allerdings hat sie erst später im Fernsehen gesehen, dass ich es war, der diese Chance versiebt hatte.
Denken Sie vor dem Tor zu viel nach?
Ach, ich bin Abwehrspieler. Es ist nicht meine Aufgabe, Tore zu schießen. Außerdem komme ich nur selten in den Strafraum. Sogar bei Standards bleibe ich aufgrund meiner Schnelligkeit hinten.
Sie haben mal gesagt: „Als Kind träumte ich davon, das entscheidende Tor zu schießen und der gefeierte Held zu werden.“
Wie vermutlich jedes Kind, das Fußball spielt. In jungen Jahren versteht man die Komplexität eines Fußballspiels nicht. Die Idole sind die Stürmer, denn die schießen die Tore und stehen im Rampenlicht. So war es auch bei mir. Das erste Trikot, das mir mein Vater kaufte, war von Roy Präger. Thierry Henry fand ich auch toll. Der war so schnell und gleichzeitig filigran. So wollte ich auch spielen.
Als Verteidiger?
Früher war ich Stürmer, Rechtsaußen. Auch wenn Sie jetzt schmunzeln: Ich war eiskalt vor dem Tor, in der Jugend von Werder Bremen habe ich regelmäßig getroffen. Da muss es noch Statistiken im Netz geben. (Lacht.)
Warum schulten Sie auf Verteidiger um?
Eine Idee meines damaligen Trainers Mirko Votava. Er glaubte, dass ich hinten rechts meine Schnelligkeit besser ausspielen könne. Ich war total perplex, denn mit dieser Position konnte ich nichts anfangen. Aber im Rückblick muss man sagen: Er hat alles richtig gemacht. Kurze Zeit später wurde ich Jugendnationalspieler.
Was sagen Sie heute Ihrem Sohn, wenn er Ihre schönsten Tore auf Youtube sehen möchte?
Ich muss auch ihm erklären, dass Abwehrspieler seltener treffen – und er versteht das. Dann schauen wir uns gemeinsam schöne Buden von Ronaldo oder Messi an. Mein Lieblingstor zeige ich ihm natürlich auch: Zlatan Ibrahimovics Fallrückzieher gegen England. Außerdem sehen wir uns ausgefallene Torjubel an, die mag mein Sohn.
Wie werden Sie nach Ihrem ersten Tor jubeln?
Mein Sohn schlägt immer ein Rad, wenn er trifft. Aber das würde bei mir seltsam aussehen. Ich werde mir spontan was einfallen lassen.
Sprechen wir über eine Ihrer echten Qualitäten: das Flanken. Besonders in der Spielzeit 2012/13 waren Sie in blendender Assist-Form.
Wir spielten unter Thorsten Fink bis zum Ende um die Europa-League-Plätze mit und wurden am Ende Siebter. Für mich lief es auch sehr gut. Laut Statistik schlug ich die meisten Flanken, die zu Torchancen führten. In diesem Ranking stand ich vor Dani Alves. Das ist doch was!
Die Zuschauer interessieren sich mehr für Statistiken. Hat sich dadurch das Bild von Verteidigern verändert?
Ich finde schon. In Hamburg haben die Fans ein Gespür für Defensivarbeit. Sie verstehen, wann ein Tackling wichtig ist. Es ist ein geiles Gefühl, wenn man auf der Außenbahn in einer brenzligen Situation einen Gegenspieler samt Ball wegflext und die Fans aufstehen und applaudieren.
Zurück zum Toreschießen. Wussten Sie, dass auch Jerome Boateng 130 Spiele für seinen ersten Treffer brauchte?
Mein ehemaliger Mitspieler Matthias Ostrzolek machte sein erstes Bundesligator auch erst im 133. Spiel, vergangene Saison gegen Darmstadt. Dafür lud ich ihn zum Essen ein. Wir hatten eine Wette laufen, wer zuerst trifft.
Welchen HSV-Treffer fanden Sie in der letzten Saison besonders schön?
Lucas (Luca Waldschmidt, d. Red.) Kopfball zum 2:1 gegen Wolfsburg am letzten Spieltag. Das Tor an sich war zwar nicht sonderlich außergewöhnlich, aber die Rettung in letzter Minute und der damit verbundene Jubel waren unbeschreiblich schön.
Wie soll Ihr erstes Tor aussehen?
Ich bekomme den Ball auf der Außenbahn, klar. Dann dringe ich von außen in den Strafraum ein, volles Tempo, Doppelpass mit unserem Stürmer …
… klingt nach Thierry Henry.
Genau. Und dann schlenze ich den Ball ins lange Eck. Das wäre doch hübsch, oder?