Weltmeister, Weltfußballer, Weltstar! Doch zugleich haftet Lothar Matthäus der Ruf des Dampfplauderers an, der kein Fettnäpfchen auslässt. Ein Gespräch über starke Schultern und Schubladendenken.
Das sagen Sie einem Journalisten. Die Risiken dieser Kritik sind Ihnen bewusst?
Absolut. Viele Freunde werde ich damit unter Journalisten nicht gewinnen. Das ist mir aber auch egal.
Wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal mit dieser Ehrlichkeit auf die Nase gefallen sind?
Sicherlich schon mit 18 oder 19 Jahren. Aber ich habe keine konkrete Szene vor Augen.
Wir sprachen über Vorbilder und starke Schultern. Hätten Sie sich als junger Spieler denn zumindest mehr Eingewöhnungszeit gewünscht? Man hat Sie schon 1980 als Wunderkind gefeiert und dafür nach schwächeren Leistungen sehr hart kritisiert.
Das war kein Problem für mich. Ich wollte Erfolg – und zwar immer und überall und so schnell wie möglich. Da konnten mich die Leute so viel kritisieren, wie sie wollten, am Ende war ich Weltmeister, Weltfußballer und Weltsportler. Die Fans haben mich verehrt, ich habe Titel gewonnen und alles erreicht, was ich mir gewünscht habe. Was mich bis heute ärgert, ist, dass man mich in eine Schublade gesteckt hat und mich bis heute nicht raus lässt.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Situation so: „In Italien habe ich einen Spitznamen: Il Grande. Der Große. Nur hier, in Deutschland, bin ich der Loddar.“
Überall auf der Welt werde ich mit Respekt und Anerkennung bedacht, auch in Deutschland. Vor unserem Gespräch war ich beim Bäcker. Die Bäckersfrau hat sich so gefreut, mich zu sehen, und ein Haufen Teenager hat zehn Fotos mit mir gemacht. Aber im Zeitschriftenständer lagen Zeitungen mit der Behauptung, meine Freundin und ich hätten uns verlobt und würden bald heiraten, weil sie einen neuen Ring am Finger trage. Den Ring hat sie seit eineinhalb Jahren!
Ist es generell ein Problem der deutschen Gesellschaft, dass sie gern in Schubladen denkt?
Die Gesellschaft weiß, was ihre Helden geleistet haben. Und das nicht nur auf dem Sportplatz. Nehmen wir Boris Becker: Der hat mit seinem Erfolg tausende Arbeitsstellen geschaffen und gesichert. Als Boris 1985 Wimbledon gewann, verkaufte Puma anschließend nicht mehr 500 Rackets im Monat, sondern 160 000! Für die Medien ist er trotzdem bis heute der Typ, der ein Kind in der Besenkammer zeugte.
Wenn Sie dieses Schubladen-Denken so stört, warum mussten Sie dann mit dem Sender Vox eine Sendung produzieren, in der Sie Joghurt im Kühlschrank zur Viererkette aufstellten?
Ich wollte diese Sendung machen, um mein Image in Deutschland zu verbessern. Ich saß mit jungen, motivierten Menschen zusammen, gemeinsam wollten wir ein tolles Projekt auf die Beine stellen. Sämtliche Folgen waren mit dem TV-Sender abgesprochen. Die Vorgabe war ganz klar: Mich und mein Leben so zeigen, wie es wirklich ist. Mir war bewusst, dass wir in Deutschland mit einem 0:2‑Rückstand an den Start gehen würden.
Aber dass Sie so hoch verlieren würden, hätten Sie nicht gedacht?
Es war alles abgesprochen. Sendezeit: Sonntag, 19.15 Uhr, sämtliche Folgen werden vor der EM ausgestrahlt. Ich habe mich reingehängt, weil mich vieles, was in den vergangenen Jahren über mich geschrieben wurde, verletzt hat. Und dann hat der Sender mich hängen lassen, sich nicht mehr an Absprachen gehalten und die Folgen so aufgebaut, dass ich in manchen Szenen am Ende wieder wie ein Trottel dastand. Aber ich bereue nichts. Entscheidungen bereut man nicht, man lernt höchstens aus ihnen und zieht seine Konsequenzen.
Haben Sie irgendwann mal den Wunsch verspürt, eine einsame Insel zu kaufen und für drei Jahre von der Bildfläche zu verschwinden?
Warum sollte ich das tun?
Sie haben schon so viel gewonnen, genügend Geld verdient und sind enttäuscht über Ihr Image. Grund genug, um zu sagen: Ihr könnt mich mal, ich lasse es mir jetzt gut gehen.
Ich erlaube mir eine Gegenfrage: Glauben Sie, dass Sie sich nach drei Monaten Urlaub noch wohl fühlen? Ob man nun die Möglichkeit dazu hat oder nicht: Morgens aufzuwachen und zu wissen, dass man keine Aufgabe hat, ist nicht befriedigend.
Lothar Matthäus, mit welchem Etikett ist Ihre Schublade versehen, wenn wir über die Journalisten sprechen, die Sie anprangern?
„Nicht erwünscht“. Oder: „Bei uns erwünscht, damit wir Schlagzeilen haben“.
Wie stehen die Chancen, dass Sie jemals aus dieser Schublade rausgelassen werden?
Ich erwarte nur Fairness. Wenn fair über mich berichtet wird, stehen die Chancen gut.
Aber so, wie wir Sie eben verstanden haben, sprechen Sie den deutschen Journalisten diese Fähigkeit ab.
Dann bleibe ich eben drin. Und werde damit leben.