Heute wird Benjamin Köhler 40 Jahre alt. Im Februar 2015 wurde bei ihm ein bösartiger Tumor im Lymphsystem festgestellt. Wir sprachen damals mit ihm ausführlich über seinen Kampf gegen den Krebs.
Waren Sie von den physischen Folgen der Chemotherapie überrascht?
Ich wusste, was auf mich zukommen würde. Aber als ich dann irgendwann beim Treppensteigen Pausen einlegen musste, war das schon ein krasser Moment. So schwach habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt.
Der ehemalige schwedische Nationalspieler Klas Ingesson, der 2014 an Krebs starb, hat kurz vor seinem Tod gesagt: „Vor dem Krebs habe ich ein egoistisches Leben geführt, in dem der Fußball das Wichtigste war. Jetzt zählt nur noch die Familie, und alles, was ich zuvor als selbstverständlich erachtete, hat einen viel höheren Stellenwert.“ Erkennen Sie sich wieder?
Absolut. Rausgehen, Freunde treffen, was essen gehen – das sind jetzt Dinge, auf die ich mich viel mehr freue und die ich viel mehr genießen kann. Einfach, weil ich Tage hatte, an denen das nicht möglich war und ich froh sein konnte, wenn mein Körper überhaupt eine Form von Nahrung akzeptierte.
Welche Erfahrungen haben Sie beim Kontakt mit anderen Krebspatienten gemacht?
Mit mir auf dem Zimmer lag ein junger Kerl, den hatte es viel übler als mich erwischt. Es war furchtbar, ihn so zu sehen. Gleichzeitig hat mir seine Situation zusätzlich Mut gemacht. Ich dachte mir: Wenn einer so krank ist und trotzdem kämpft, dann werde ich erst recht den Krebs besiegen. Richtig schlimm war es auf der Kinderkrebsstation. Viele Kids wissen gar nicht, was mit ihnen passiert. Als Vater von zwei Kindern musste ich die ganze Zeit daran denken, wie es wäre, wenn einer von meinen da liegen würde. Das wäre vermutlich grausamer, als selbst krank zu sein.
Ihr Arbeitgeber, Union Berlin, hat auf sehr rührende Weise auf Ihre Krankheit reagiert.
Kurz nach der Diagnose kamen Präsident Dirk Zingler und Manager Nico Schäfer zu Besuch und brachten einen neuen Ein-Jahres-Vertrag mit. Zu denselben Konditionen. Das war genau das, was ich brauchte, um mich voll auf meine Genesung zu konzentrieren. Und was am 7. Februar in der Alten Försterei abging, haben Sie ja sicherlich gesehen.
In der 7. Minute des Heimspiels gegen den VfL Bochum wurde das Spiel unterbrochen, die Spieler zogen ihre Trikots aus und zeigten Leibchen mit Ihrer Rückennummer 7. Sie wussten tatsächlich von gar nichts?
Nein, meine Frau und ich waren wirklich völlig ahnungslos. Ich dachte mir schon, dass irgendwas geplant sei. Aber nicht das. Das ging richtig unter die Haut.
Sind Sie gläubig?
Vor der Krankheit nicht so. Jetzt schon.
Woran glauben Sie?
An eine höhere Macht, die mein Leben lenkt. Jedenfalls hoffe ich das – sonst wären all die Stoßgebete umsonst gewesen.
Offenbar nicht, denn seit dem 23. Juli 2015 gelten Sie offiziell als geheilt. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Ich sollte am Nachmittag die Ergebnisse der letzten Untersuchung erfahren, hielt es aber nicht aus und rief schon um 10 Uhr morgens im Krankenhaus an. Die Stunde der Wahrheit. Eine Krankenschwester teilte mir mit, dass keine Krebszellen gefunden worden seien. Dass ich wieder gesund sei.
Wie haben Sie reagiert?
Ich legte auf und blieb erstmal sitzen. Das musste ich verarbeiten, es dauerte, bis ich die Nachricht wirklich aufgenommen hatte. Dann habe ich es genossen. Denn die Woche vor dieser abschließenden Diagnose war noch einmal schlimm.
Warum?
Ich hatte Angst davor, den Krebs doch nicht besiegt zu haben. Meine Mutter kam mir in den Sinn. Die hatte bereits dreimal Krebs. Ihr haben die Ärzte auch nach dem ersten Mal gesagt, dass sie wieder gesund sei. Fünf Jahre später kam die Krankheit zurück.
Macht Ihnen das ebenfalls Angst?
Schon. Aber ich bin ein positiver Mensch. Für mich ist die Krankheit überstanden. Ich muss zwar in regelmäßigen Abständen zur Nachuntersuchung, aber davon lasse ich mich jetzt nicht fertig machen.
Glauben Sie, dass der Krebs Sie auch als Fußballer verändert hat?
Vermutlich schon. Ich werde weiterhin um jeden Punkt kämpfen, mich über Siege freuen und über Niederlagen ärgern. Aber all das ist nicht mehr das Wichtigste im Leben.
Sondern?
Vertrauen. In sich selbst und in andere. Und darin, dass es sich für die wirklich wichtigen Dinge zu kämpfen lohnt.