Schreien, schimpfen, jubeln – wenn Klaus Thomforde auf dem Platz stand, brannte die Luft. Aber wie wird man vom Finanzbeamten zum „Tier im Tor“?
Klaus Thomforde, Sie waren bereits Beamter auf Lebenszeit, haben sich dann aber für den Fußball entschieden. Eine gute Wahl?
Absolut. Wobei ich zu Beginn meiner Karriere weiterhin als Finanzbeamter gearbeitet habe. Das ging anfangs auch gar nicht anders. Ich kam 1983 zu St. Pauli, als der Klub noch in der Oberliga kickte. Nur mit dem Fußball hätte ich gar nicht genug verdient. Tagsüber habe ich also auf dem Amt gearbeitet, abends war dann Training. Eine unglaublich harte Zeit.
Wie lange ging das gut?
Die ersten zehn Jahre meiner Karriere war ich nebenher berufstätig. Aber mit der positiven Entwicklung des Vereins ließ sich ein Vollzeitjob irgendwann nicht mehr vereinbaren. Ich hatte das Glück, dass Gerhard Meyer-Vorfelder, der Präsident des VfB Stuttgart, damals Finanzminister in Baden-Württemberg war. Als Fußballerkollege hat er bei meiner Dienststelle in Niedersachsen ein gutes Wort für mich eingelegt und ich konnte fortan halbtags arbeiten. Aber irgendwann ging auch das nicht mehr, und ich musste eines von beiden aufgeben. Ich bin also vom Beamten auf Lebenszeit zum St. Pauli-Torwart auf Lebenszeit geworden.
Aus dem ruhigen Finanzbeamten der Anfangszeit wurde das emotionale „Tier im Tor“. Wie ist das passiert?
Ganz einfach: Ich wollte spielen. Mit Volker Ippig hatte ich aber einen Konkurrenten, mit dem der Konkurrenzkampf nicht immer fair verlief. Er hatte bei den Fans einen Stein im Brett, weil er außergewöhnliche Dinge tat. Er hatte zum Beispiel eine Weile in einem besetzten Haus gewohnt oder ein Jahr für die Entwicklungshilfe in Nicaragua gearbeitet. Ich war damals eben „nur“ der Finanzbeamte vom Dorf.
Sie haben sich also bewusst ein neues Image zugelegt?
Wir hatten 1988 ein Trainingslager in Spanien, die Mannschaft des FC Southampton war ebenfalls dort. Deren Keeper John Burridge und Jim Flowers faszinierten mich. Wie sie miteinander umgingen und sich über Schimpfwörter und Anschreien zu Höchstleistungen pushten. Das habe ich übernommen und gemerkt, dass das auf viele Mitspieler und Gegner eine Wirkung hat. Durch die neue, laute Art konnte ich viel besser auf meine Leistung aufmerksam machen. Und durch mein, ich nenne es mal: „verbales Mitspielen“ hatte ich plötzlich auch eine ganz andere Präsenz auf dem Platz. Und somit auch ein ganz anders Standing im Team.
kam mit 20 Jahren zum FC St. Pauli und ging nicht wieder weg. Aus dem ruhigen Torwart wurde mit der Zeit einer der emotionalsten Vertreter seiner Zunft, die Hamburger Morgenpost verglich ihn 1995 mit Norman Bates aus Alfred Hitchcocks „Psycho“. Nach 317 Erst- und Zweitligaspielen musste Thomforde seine Karriere 2000 beenden. Mittlerweile ist er Torwarttrainer der Junioren des FC St. Pauli sowie der deutschen U21-Nationalmannschaft.
Gab es Probleme mit Volker Ippig?
Wir hatten kein gutes Verhältnis. Als er aus Nicaragua zurückkam, fragte mich unser Trainer Willi Reimann, ob es ok für mich sei, wenn Ippig wieder zum Team stoßen würde. Ich war einverstanden, denn ich war der Überzeugung, dass wir zwei gute Torhüter brauchten. Aber als Ippig dann wieder da war, gingen die Scharmützel los. Er wohnte zum Beispiel bei der Familie des Klubpräsidenten und hatte damit eine gewisse Lobby, die Stimmung gegen mich machte. Auch über die Presse.
Den Konkurrenzkampf entschieden Sie trotzdem für sich, viele Jahre später wurden Sie zudem vor Ippig zum Jahrhunderttorhüter St. Paulis gewählt. Eine Genugtuung?
Na klar. Aber rein sportlich stand das aus meiner Sicht eigentlich nie zur Diskussion.
Ippig, Thomforde, Pliquett – ist der FC St. Pauli der Verein der etwas anderen Keeper?
Das glaube ich nicht. Verrückte Torhüter gibt es überall, genauso wie Keeper, die ihre ganze Karriere bei einem Klub bleiben. Ich habe mich da nie als Hüter einer Tradition gesehen.
Wann haben Sie das Tier im Tor das erste Mal im Pflichtspiel herausgelassen?
So richtig kam das erst im Abstiegskampf 1993. Wir hatten noch drei Spiele, die damalige Tabellenkonstellation war so eng, dass es um jedes Tor ging. Ich habe in diesen drei Spielen jeden Ball, der auf mein Tor kam, als Bedrohung für den Verein angesehen. Und bei jeder Parade entlud sich diese Anspannung. Wir gewannen 3:0 gegen Meppen, spielten 0:0 in Homburg und im letzten Spiel gegen Hannover 1:0, obwohl 96 Powerplay auf unser Tor spielte. Der Klassenerhalt war geschafft.
Fortan feierte Sie jede Parade mit der Säge. Die gehörte aber damals doch Stefan Kuntz. Hat er sich nie beschwert?
(Lacht) Nein. Die Säge hatte ich mir auch eher von Boris Beckers Beckerfaust abgeguckt.